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Tabak: So lange frönt die Menschheit schon dem blauen Dunst


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Entdeckung in alten Gräbern
So lange frönt die Menschheit schon dem blauen Dunst


17.04.2018Lesedauer: 4 Min.
Ankunft in der Neuen Welt: Die Spanier waren von den rauchenden Ureinwohnern völlig verblüfft.Vergrößern des Bildes
Ankunft in der Neuen Welt: Die Spanier waren von den rauchenden Ureinwohnern völlig verblüfft. (Quelle: ullstein bild)

1492 erreichte Kolumbus Amerika. Und stieß auf Ureinwohner, die mit Wonne Tabak rauchten. Wie lange Amerikas erste Bewohner dem Nikotin bereits huldigten, fanden Forscher nun an einem besonderen Körperteil heraus.

Als die Schiffe von Christopher Kolumbus Ende Oktober 1492 vor der heutigen kubanischen Provinz Oriente Anker warfen, wähnte sich der Entdecker endlich an seinem großen Ziel China. Auf der Suche nach dem herrschenden Großkhan sandte er einen arabischen Gelehrten und zwei Matrosen landeinwärts.

Den Großkhan trafen die Männer dort zwar nicht an, dafür wurden sie jedoch Zeugen einer merkwürdigen Szene: "Die Emissäre trafen eine Gruppe von Einheimischen, die unterwegs in ihre Dörfer waren, mit einem Feuerbrand in der Hand und Kräutern, deren Rauch sie tranken, wie sie es gewohnt sind", notierte Kolumbus am 6. November 1492 in sein Tagebuch. Drohte die Glut auszugehen, reichten ihnen mitlaufende kleine Jungen neue Flammen. Reihum gaben sie dann das Räucherwerk weiter und nahmen nacheinander große Schlucke. Es war das erste Mal, dass Europäer eine kubanische Zigarre sahen.

Geraucht oder gekaut

Für Kolumbus und seine Männer war die Erfahrung neu. Doch wie lange vor ihrer Ankunft frönten die Einwohner Amerikas bereits dem Tabak? Bislang mussten die Forscher sich in dieser Frage auf Funde von Pfeifen, verkohlten Tabaksamen oder getrockneten Blättern berufen. Samen und Blätter bleiben allerdings nur unter sehr günstigen Bodenbedingungen erhalten. Und eine Pfeife allein bedeutet noch lange nicht, dass sie auch für Tabak genutzt wurde. "Außerdem war es durchaus üblich, Tabak zu kauen", schreibt ein Forscherteam um Jelmer Eerkens von der University of California und Davis und Shannon Tushingham von der Washington State University in einem Aufsatz im "Journal of Archaeological Science", "oder in organisches Material wie Zuckerrohr oder größere Blätter eingewickelt wie Zigaretten zu rauchen."

Um den Anfängen des Tabakgenusses auf die Spur zu kommen, wählten die Forscher also einen ganz anderen Ansatz. Sie untersuchten die Zähne von jahrhundertealten Toten auf Ablagerungen von Tabak. "Der Mund ist die Schnittstelle zwischen dem Körperinneren eines Menschen und der äußeren Umgebung", schreiben sie. Alles, was in den Mund gelangt und sich auf den Zähnen ablagert, erzählt von den Interaktionen des Individuums mit seiner Umwelt, von seinem Konsumverhalten und seiner Gesundheit. Tabakblätter in einem Grab müssen nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Tote sie zu Lebzeiten tatsächlich geraucht hat. Wer aber Rückstände von Tabak auf seinen Zähnen trägt, hat ihn mit Sicherheit auch konsumiert.

Zahnstein kann auch nützlich sein

Die Spuren lagern sich nicht in den Zähnen ab, wohl aber in den Ablagerungen auf den Zähnen, dem Zahnbelag und vor allem dem Zahnstein – und überstehen dort unbeschadet die Jahrhunderte. Zahnstein ist eine komplexe Mischung aus Eiweißen, Kohlehydraten, Phosphaten und Mikroorganismen, die sich wie ein Panzer um die Zähne legt, wenn diese nicht regelmäßig von den Ablagerungen befreit werden. In dieser Schicht suchten die Forscher nach Nikotin, einem Alkaloid der Tabakpflanze mit der chemischen Formal "C10H14N2".

Da der Konsum von Tabak, vor allem im Westen Nordamerikas, noch relativ unerforscht ist, konzentrierten die Wissenschaftler sich auf Funde aus Kalifornien. Zehn Zähne von insgesamt acht Toten aus drei verschiedenen Fundorten südöstlich der San Francisco Bay Area nahmen sie in ihre Studie auf, der älteste starb vor rund 6.000 Jahren, der jüngste vor etwa 300 Jahren.

Bei zwei der Proben wurden sie fündig. Die eine war ein Schneidezahn eines über 45-jährigen Mannes, der vermutlich im 13. Jahrhundert gestorben war. In seinem Grab hatte auch eine Pfeife gelegen, in der die Forscher ebenfalls Nikotinrückstände nachweisen konnten. Interessanterweise fanden sie auf einem Backenzahn des Toten keine Spuren von Nikotin. Während der Frontzahn sogar stark vom Tabak verfärbt war, blieb sein Backenzahn "sauber".

Keine Modeerscheinung

Der Rauchstrom aus der Pfeife strich demnach nur über die Frontzähne und ließ die hinteren Mundpartien relativ unberührt. Ein Zahn ohne Nikotin macht also noch lange keinen Nichtraucher. Eines aber steht fest: Der Mann lebte lange bevor Kolumbus seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzte. Was seine Männer auf Kuba beobachteten, war keine neue Modeerscheinung, sondern eine lange etablierte kulturelle Gewohnheit.

Die zweite Probe war ein Backenzahn einer etwa 35 bis 44 Jahre alten Frau, die vor rund 420 Jahren starb. Generell konsumieren in allen Gesellschaften Frauen seltener Tabak als Männer. Eine Vermutung ist, dass Frauen aus evolutionären Gründen instinktiv die Aufnahme von Pflanzengiften vermeiden, um ihren Nachwuchs nicht zu gefährden. Diese Frau aber hatte bereits die damalige durchschnittliche Lebenserwartung der Einwohner Kaliforniens von etwa 40 Jahren erreicht.

"Wahrscheinlich war sie bereits Großmutter", vermuten die Forscher, ihre Familienplanung war längst abgeschlossen. Es gibt aber auch noch eine zweite mögliche Erklärung. Tabak wurde oft von Schamanen geraucht, er war fester Bestandteil vieler religiöser und medizinischer Riten. Denkbar ist also auch, dass die Frau ihn quasi aus beruflichen Zwecken rauchte. Die Nikotinrückstände auf ihrem Backenzahn sprechen allerdings eher dafür, dass sie den Tabak kaute.

Raucher oder Nichtraucher?

Interessanterweise fanden die Forscher auf den Zähnen eines Mannes, der auf demselben Friedhof begraben lag und eine Pfeife als Grabbeigabe mitbekommen hatte, kein Nikotin an den Zähnen. Auch seine Pfeife wurde negativ auf Nikotin getestet. Rein archäologisch hätte jeder Ausgräber den Mann als Raucher kategorisieren können – erst die genaue Untersuchung des Zahnsteins und der Pfeife stellen klar, dass er nicht – oder wenn, dann nur sehr wenig – rauchte. "Die Pfeife könnte allerdings auch zum Rauchen anderer Produkte als Tabak genutzt worden sein", warnen die Forscher.

Mit ihrer neuen Methode haben Eerkens, Tushingham und ihre Kollegen den Werkzeugkasten der Archäologie erheblich erweitert. Mit der "Zahnsteinanalyse" lässt sich fortan sehr genau zuordnen, welches Individuum welche Substanz auf welche Art und Weise konsumiert hat. "Diese Analysemethode kann unsere festgefahrenen Sichtweisen zu Gender, Alter, und sozialen Status von Drogenkonsumenten infrage stellen", schließen sie ihren Aufsatz.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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