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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Russische Drohung Atomschlag würde "Zerfall Russlands beschleunigen"
Nach einem mutmaßlichen Drohnenangriff auf den Kreml droht Russland mit Vergeltung. Die Ukraine und seine westlichen Verbündeten geben sich gelassen.
Nach dem Drohnen-Vorfall auf dem Kremlgelände in Moskau hat der russische Außenminister Sergej Lawrow "konkrete Aktionen" angekündigt. Viele Menschen deuten das als Drohung, fürchten abermals gar eine atomare Eskalation des Konflikts, wie sie Russland schon zu früheren Zeitpunkten in Erwägung zog.
Davon jedoch zeigten sich die Ukraine und mehrere westliche Staaten, die die Ukraine unterstützen, unbeeindruckt. "Nach Angaben des Militärgeheimdienstes der Ukraine sind solche Äußerungen ein Versuch, die internationalen Partner der Ukraine einzuschüchtern und die russische Bevölkerung vor dem Hintergrund des militärischen Versagens der Besatzer zu ermutigen", sagt Andrej Tschernjak, ein Vertreter des ukrainischen Militärgeheimdienstes (HUR), t-online. "Nach Schätzungen der HUR ist der Einsatz taktischer Nuklearmunition unwahrscheinlich und wird den Zerfall Russlands in mehrere unabhängige Staaten nur beschleunigen."
Russland wirft der Ukraine einen Drohnenangriff auf den Kreml in der Nacht zu Mittwoch vor. Videos sollen den Abschuss einer Drohne beweisen. Mehr dazu lesen Sie hier. Die Ukraine bestreitet die Vorwürfe – und auch Experten bezweifeln die russischen Behauptungen.
Sicherheitsexperte: "Propagandaschauspiel"
"Der Flugkörper dürfte in Moskau oder der näheren Umgebung gestartet worden sein und hat kaum Schaden angerichtet, weil es kein hochexplosiver Sprengstoff gewesen war", sagte der Sicherheitsexperte Joachim Krause t-online. "Das ganze Propagandaschauspiel der russischen Regierung und ihrer Medien dient wohl dazu, die Russen darauf einzustimmen, dass der Krieg gegen die Ukraine weitere Opfer von ihnen erforderlich machen wird."
Die Sorge, dass im Krieg Russlands gegen die Ukraine nun Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten, teile der an der Universität Kiel tätige Krause nicht. Die russische Führung habe ein anderes Ziel: "Die Winteroffensive Russlands ist gescheitert und die Angst vor einer ukrainischen Offensive versetzt die Politiker im Kreml in höchste Nervosität."
Großbritannien und USA entspannt
Auch international wurde die russische Drohung entspannt aufgenommen. Großbritannien sieht in den aktuellen Äußerungen keine entscheidende Veränderung zu Drohungen mit taktischen Atomwaffen im vergangenen Jahr, wie t-online aus Diplomatenkreisen erfuhr. Es handele sich entweder um den Versuch, den Westen vor der ukrainischen Offensive zu verunsichern oder einfach nach den Drohnen-Bildern in Russland selbst Stärke zu demonstrieren.
Auch der US-Geheimdienst rechnet derzeit nicht mit einem Einsatz russischer Atomwaffen im Ukraine-Krieg. "Es ist sehr unwahrscheinlich, das ist unsere aktuelle Einschätzung", sagte die Direktorin des Nationalen Geheimdienstes, Avril Haines, am Donnerstag vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats. Das gelte auch für den Fall, dass Russland schwere Verluste zu verzeichnen habe.
- Eigene Recherche
- Statement Andrej Tschernjak
- Statement Joachim Krause
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters