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Ukraine-Krieg: Gräber in Isjum: 99 Prozent der Leichen mit Folterspuren


Massengräber entdeckt
Gouverneur von Isjum: 99 Prozent der Leichen mit Folterspuren

Von t-online, dpa, reuters, afp, wan, jro

Aktualisiert am 16.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Ukrainian serviceman uses a metal detector to inspect a mass grave at a site on an improvised cemetery of civilians and Ukrainian soldiers in the town of Izium
Massengrab in Isjum: Aufnahmen zeigen die entdeckte Stelle in der befreiten Stadt. (Quelle: Glomex)
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Hunderte Leichen wurden nahe der ostukrainischen Stadt Isjum geborgen. Die Hintergründe soll nun ein internationales Untersuchungsteam klären.

Fast alle der nahe der ukrainischen Stadt Isjum exhumierten Leichen weisen nach Angaben des örtlichen Gouverneurs Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf. Der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Synegubow, schrieb am Freitag im Onlinedienst Telegram, dies sei bei "99 Prozent" der Leichen der Fall. "Mehrere Leichen haben auf dem Rücken gefesselte Hände und ein Mensch wurde mit einem Seil um den Hals begraben", erklärte Synegubow. Offensichtlich seien diese Menschen "gefoltert und hingerichtet" worden.

Synegubow veröffentliche auch mehrere Fotos von hunderten Gräbern, die in einem Wald in der Nähe der von ukrainischen Truppen zurückeroberten Stadt Isjum im Osten des Landes entdeckt worden waren. Nach ukrainischen Behördenangaben wurden 443 Gräber entdeckt, darunter eines mit 17 Soldaten. Die ukrainischen Behörden hatten am Freitag mit der Exhumierung der Leichen begonnen. Der Chef der ukrainischen Polizei, Ihor Klymenko, hatte zuvor mitgeteilt, sich bei den meisten der gefundenen Leichen um Zivilisten handle.

Der Beauftragte der ukrainischen Regierung für die Vermisstensuche, Oleg Kotenko, sagte, die Gräber seien während der Gefechte um die Einnahme Isjums durch Russland im März und während der russischen Besatzung ausgehoben worden. Viele Menschen seien an Hunger gestorben. "Dieser Teil der Stadt war abgeschnitten, es gab keine Versorgungsmöglichkeiten", so Kotenko.

Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen (UN) Beobachter entsenden. "Sie (die Beobachter) wollen sich dorthin begeben, um mehr darüber herauszufinden, was passiert sein könnte", sagt eine UN-Sprecherin in Genf. Wann ein solcher Besuch stattfinden könnte, blieb zunächst unklar.

In der vergangenen Woche hatten ukrainische Truppen durch ihre Gegenoffensiven die russischen Truppen weitgehend aus dem Gebiet Charkiw vertrieben. Aktuell stehen nach ukrainischen Angaben noch etwa sechs Prozent des Gebiets unter russischer Kontrolle.

Selenskyj sieht Hinweise auf Kriegsverbrechen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte am Freitag, dass es unter den Leichenfunden Hinweise auf Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer gebe. Es seien ganze Familien und Menschen mit Folterspuren verscharrt worden, sagt er der Nachrichtenagentur Reuters. Die Funde sollten mit internationaler Hilfe untersucht werden – am Freitag sollten Medienvertreter den Fundort besuchen.

Der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Synegubow, erklärte, dass in den Gräbern zahlreiche Leichen mit auf dem Rücken gefesselten Händen vorgefunden wurden. "Nach unseren Informationen weisen alle Bestatteten Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf", sagte Synegubow.

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"Das ist nur eine der Massengrabstätten, die in der Nähe von Isjum gefunden wurden", sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. In den russisch besetzten Gebieten habe es monatelang "Terror, Gewalt, Folter und Massenmorde" gegeben. Den russischen Streitkräften wird seit Monaten vorgeworfen, in den besetzten Gebieten in der Ukraine zahlreiche Gräueltaten an Zivilisten begangen zu haben.

Vermisstenbeauftragter: "Möchte das nicht Butscha nennen"

Die Bilder aus Isjum erinnern an Massengräber, die nach dem Abzug russischer Truppen in Kiewer Vororten wie Butscha entdeckt wurden. Butscha gilt seitdem als Symbol für schwerste Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Diesem Vergleich tritt der ukrainische Vermisstenbeauftragte Oleh Kotenko entgegen. "Ich möchte das nicht Butscha nennen – hier wurden die Menschen, sagen wir mal, zivilisierter beigesetzt", sagte Kotenko dem TV-Sender "Nastojaschtschee Wremja" in der Nacht zum Freitag. Präsident Selenskyj hatte in einer ersten Reaktion von einem "Massengrab" gesprochen, verwies aber zugleich auf weitere Ermittlungen.

Die Suche nach weiteren Toten geht unterdessen weiter. Nach Angaben des ranghohen Polizisten Serhij Bolwinow seien auch in weiteren zurückeroberten Gebieten zahlreiche Gräber entdeckt worden. In Isjum seien jedoch die meisten Leichen gefunden worden, so Bolwinow.

Die Sucharbeiten werden durch Minen erschwert, sagte Kotenko der Agentur Unian zufolge. Dennoch werde jede Anstrengung unternommen – insbesondere auch, um die Körper gefallener Soldaten an ihre Familien übergeben zu können: "Wir setzen die Arbeit fort (...), damit die Familien die Soldaten, die für die Ukraine gestorben sind, so schnell wie möglich angemessen ehren können", sagte Kotenko.

Hinweise auf Folter und andere Kriegsverbrechen

Schon in der vergangenen Woche hatte es Hinweise auf Kriegsverbrechen in den Gebieten gegeben, aus denen vor Kurzem russische Truppen abgezogen waren. Die ukrainischen Behörden hatten nach eigenen Angaben in einer zurückeroberten Ortschaft im Osten der Ukraine vier Leichen mit "Spuren von Folter" entdeckt. Erste Ermittlungen wiesen darauf hin, dass die in Salisnytschne in der Region Charkiw gefundenen Menschen "von russischen Soldaten während der Besetzung des Ortes" getötet worden seien, schrieb die regionale Staatsanwaltschaft am Montag im Online-Netzwerk Facebook. Am Freitag hatte die Staatsanwaltschaft bereits aus dem ostukrainischen Dorf Hrakowe den Fund zweier Leichen mit Folterspuren und Einschusslöchern im Hinterkopf gemeldet.

Der ukrainische Polizeichef Igor Klymenko berichtete am Freitag zudem von mindestens "zehn Folterräumen", die in der Region Charkiw entdeckt worden seien. Sechs davon befänden sich in Isjum, zwei weitere in der kleinen Stadt Balaklija. Klymenko berichtete von einem Folterverlies, das russische Einheiten im Keller der Polizeistation von Balaklija errichtet hatten. Die Stadt mit zuvor etwa 30.000 Einwohnern war am 3. März von russischen Truppen eingenommen waren, seit einer Woche weht wieder die ukrainische Fahne über dem Rathaus der Kreisstadt. In den sechs Monaten der Besatzung seien mindestens 40 Personen in dem Verlies eingesperrt worden, hieß es von der örtlichen Polizei auf Facebook.

Verwendete Quellen
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