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Ampel-Aus und Stillstand: So könnte Deutschland wieder durchstarten


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Tagesanbruch
500 Milliarden Euro – und los

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 13.11.2024 - 07:27 UhrLesedauer: 8 Min.
Am Fraunhofer-Institut in Wildau bei Berlin werden künftige Schlüsseltechnologie erforscht.Vergrößern des Bildes
Am Fraunhofer-Institut in Wildau bei Berlin werden künftige Schlüsseltechnologien erforscht. (Quelle: imago images)

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Die Stagnation ist zum beherrschenden Zustand in Deutschland geworden. Nicht nur die Wirtschaft und die Politik stagnieren, auch im Alltag erleben die Bürger täglich den Stillstand. Nehmen sie das Auto, stehen sie im Stau. Sitzen sie in der Bahn, gelangen sie zu spät ans Ziel. Die Briefzustellung zwischen Großstädten dauert fast so lange wie nach Afrika. Amtliche Genehmigungen zu bekommen, gleicht vielerorts einem Hindernislauf, und wer auf die vermessene Idee verfällt, ein Haus zu bauen oder gar ein Unternehmen zu gründen, ist hoffnungslos verloren. Die Infrastruktur rottet vor sich hin, Behörden arbeiten analog statt digital, und weil das erste deutsche Gebot "Du sollst alles gründlich tun!" lautet, werden täglich neue Gesetze und Vorschriften erlassen, um den Alltag der 83 Millionen Menschen noch weiter zu verkomplizieren.

In den Merkel-Jahren kümmerte sich die Bundesregierung mit viel Geld um die Rettung klammer EU-Staaten und die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Ampelregierung erbte einen Reformstau, scheiterte bei der Lösungssuche aber schon an der Prioritätensetzung. Wegen der Haushaltsvorgaben der Bundesverfassungsrichter hätten sich die Koalitionäre entscheiden müssen, was sie konsequent anpacken und was nicht: klimafreundliche Energiewende? Bundeswehr-Aufrüstung? Pflegereform? Mehr Polizisten? Mehr Geld für Rentner, Kinder und sozial Schwache? Sie wollten alles zugleich und auf nichts verzichten. Das Ergebnis sind Neuwahlen.

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Das Ampeldrama illustriert, warum die deutsche Politik überfordert ist, Weichen für die notwendige Generalreform des Landes zu stellen: Partei- und Regierungsvertreter handeln meistens nur kurzfristig von Legislaturperiode zu Legislaturperiode. Vorausschauende Entscheidungen, für die es nicht sofort Applaus von der eigenen Wählerklientel gibt, sind die Ausnahme.

Dabei wären eine Aufbruchstimmung und eine positive Vision dringend notwendig für das sedierte Land. Ebenso wie ein Wachstumsschub für die Wirtschaft, der sich nicht in rituellen Beschwörungen des "Bürokratieabbaus" erschöpft. Was braucht es, um hierzulande langfristiger als nur von Wahl zu Wahl zu denken, was brächte Deutschland wirklich voran? Das habe ich Cyriac Roeding gefragt, den ich im Frühjahr in Kalifornien kennenlernte und nun auf der Suche nach Antworten angerufen habe. Der gebürtige Konstanzer hat beim amerikanischen Fernsehsender CBS in Los Angeles und New York den Mobilfunkbereich aufgebaut, wechselte anschließend zum Risikokapitalgeber Kleiner Perkins und entwickelte in einem Kellerbüro eine Shopping-Prämien-App. Mit Unterstützung internationaler Forscher gründete er dann im Silicon Valley das Unternehmen Earli, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Krebs durch eine revolutionäre Methode endgültig zu besiegen: Die Krebszellen sollen sich selbst ausschalten. Das World Economic Forum ernannte Roeding zu einem "Tech Pioneer" und "Global Innovator", für die Entwicklungen in Deutschland interessiert sich der 51-Jährige nach wie vor sehr. Hier sind seine Antworten auf meine Fragen:

Cyriac, du hast eine beeindruckende Karriere im Silicon Valley gemacht. Wäre ein solcher Weg auch in Deutschland möglich gewesen?

Cyriac Roeding: Wahrscheinlich leider nicht. In den USA konnte ich schnell verschiedene Perspektiven kennenlernen und das nötige Kapital für meine Ideen einsammeln. Tech-Bio hat sehr hohes Potenzial für klinische und finanzielle Erfolge, kostet aber viel Geld. Unsere Firma Earli hat bereits 97 Millionen Dollar eingesammelt. Diese Flexibilität und die Möglichkeit, für neue "Moonshot"-Ideen so große Summen zu erhalten, sind in Europa bisher kaum vorhanden.

Warum ist das so?

Eigentlich haben wir in Deutschland alles, was es braucht: Geld, gut ausgebildete Talente und das Interesse, etwas Neues aufzubauen. Woran es hapert, ist die Verfügbarkeit des großen Kapitals für Start-ups, besonders in kritischen Wachstumsphasen. Zudem haben wir ein Mentalitätsproblem: das "deutsche Abwiegeln".

Was genau meinst du damit?

Ich gebe dir ein Beispiel: die Reaktion der deutschen Autoindustrie auf Tesla. Als Elon Musk mit Tesla vor rund 15 Jahren durchstartete, wurde das Unternehmen in Deutschland kaum ernst genommen. Selbst als die ersten Autos vom Band liefen, kritisierten viele deutsche Autobauer nur die mangelnde Verarbeitungsqualität. Sie hatten damit anfangs zwar recht – auch mein erster Tesla war fehleranfällig –, aber sie unterschätzten die Geschwindigkeit von Teslas Lernkurve. Mit dem Abwiegeln nach dem Motto "Die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird" gaukeln wir uns vor, dass wir ja noch viel Zeit haben, bis eine Sache wirklich erfolgreich wird. Daher investieren wir nicht richtig – obwohl wir in Wirklichkeit gar keine Zeit haben. Während wir noch abwiegeln, holen uns die anderen ein, dann überholen sie uns und werden schließlich uneinholbar.

Ist das nur ein Problem deutscher Unternehmen oder der gesamten Gesellschaft?

Es ist definitiv ein Mentalitätsproblem. Aber wir müssen nicht jeden Einzelnen in Deutschland verändern. Es genügt, wenn wir eine weitaus kleinere Gruppe wichtiger Entscheider dazu bringen, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen.

Wen hast du da im Blick?

Wir brauchen die Bundesregierung, die Landesregierungen, Wagniskapitalgeber, ein paar große Unternehmen und Universitäten und natürlich junge Unternehmer, Wissenschaftler und Ingenieure. Für jede dieser Gruppen sind unterschiedliche Ansprachen nötig.

Was sollte die Politik konkret tun?

Zwei Dinge sind entscheidend: Erstens brauchen wir eine Vision für ein Deutschland der Zukunft – etwas, worauf wir alle uns freuen und wofür wir kämpfen können. Zweitens müssen wir das nötige Kapital bereitstellen. Ich schlage vor, dass wir einen Staatsfonds aufbauen, ähnlich wie es Singapur oder Norwegen vorgemacht haben. Dieser Fonds sollte mit 50 Milliarden Euro starten und über zehn Jahre auf 500 Milliarden Euro wachsen.

Wozu braucht es einen solchen Fonds?

Geld ist der erste Dominostein, der fallen muss, damit alle anderen folgen. Wenn ordentlich Kapital da ist, wollen plötzlich alle mitmachen. Entgegen unserer normalen Mentalität müssen wir hier klotzen, nicht kleckern. Wir brauchen kritische Masse im internationalen Vergleich. Der Fonds sollte in zehn wesentliche Zukunftsbereiche investieren, darunter künstliche Intelligenz, Kernfusion, Biotechnologie, Robotik, Quantentechnologien und Gesundheitstechnik.

Wie lässt sich sicherstellen, dass derart angeschobene Investitionen erfolgreich werden?

Der Fonds sollte zunächst nur co-investieren dürfen, und zwar mit den Top-10-Prozent der weltweit besten Wagniskapitalgeber. Ob diese nun aus den USA kommen oder aus Deutschland, ist zunächst mal zweitrangig. So stellen wir sicher, dass das Geld sorgfältig eingesetzt wird und irgendwann mit großer Rendite an die ganze deutsche Bevölkerung zurückfließt. Je stärker unser Startup-Ökosystem wird, desto stärker werden auch die deutschen Wagniskapitalgeber – eine Erfolgsspirale.

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Wie sieht also deine Vision für das Deutschland des Jahres 2034 aus?

Ich sehe Deutschland als einen der drei führenden Innovationsstandorte weltweit. Wir müssen jetzt die Lebensbedingungen der nächsten Generationen sichern. Der Wohlstand, den wir heute genießen, basiert auf Innovationen von vor 50, 60 Jahren. Wenn wir jetzt nicht handeln, schneller und risikofreudiger agieren, werden unsere Kinder und Enkelkinder nicht mehr in einem Wohlstandsland leben. Das ist keine Schwarzmalerei, das ist ein Faktum. Deshalb sollten wir alle miteinander daran arbeiten, Deutschland wieder an die Spitze technologischer und unternehmerischer Innovationen zu bringen. Es wird nicht nur schwierig werden, sondern es wird auch eine Freude sein, daran zu arbeiten. Schwierige Wege, die zu wichtigen Zielen führen, sind lebenserfüllend.


Redeschlacht im Bundestag

In den Terminfragen hat man sich also verständigt: Am 11. Dezember wird Olaf Scholz die Vertrauensfrage schriftlich stellen, am 16. Dezember soll der Bundestag darüber abstimmen. Die erwartete Niederlage würde dann den Prozess zu vorgezogenen Neuwahlen einleiten, die am 23. Februar 2025 stattfinden könnten – einigen organisatorischen Herausforderungen zum Trotz.

Zuvor aber dürfte es heute, genau eine Woche nach dem Ampel-Aus, noch einmal hoch hergehen im Parlament: Für 13 Uhr ist eine Regierungserklärung des Noch-Kanzlers angesetzt, die dieser wohl dazu nutzen wird, einmal mehr die FDP als Schuldigen des Koalitionsbruchs zu brandmarken. Darauf folgt eine hitzige Aussprache: Nicht nur Oppositionsführer Friedrich Merz will dem Kanzler antworten, sondern auch CSU-Chef Markus Söder. Der ist zwar kein Bundestagsabgeordneter, darf dort als Mitglied des Bundesrats aber das Wort ergreifen. Die Union möchte den Auftritt ihres Spitzenduos als "Signal der Geschlossenheit" verstanden wissen.

Und was wird aus dem Wunsch der Sozialdemokraten, auf den letzten Metern noch ein paar Ampelprojekte zu verwirklichen? Nicht viel. Aus der CDU heißt es, die geplanten Gesetze zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts und zur Verlängerung der Telefonüberwachung seien für sie zustimmungsfähig. Außerdem sei man gewillt, die Mandate für vier Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verlängern. Bei Rente, Steuern und Ukraine soll es dagegen keine Schützenhilfe für die rot-grüne Minderheitsregierung geben. Die "Fortschrittskoalition" endet unvollendet.


Weiser Rat

Zuletzt sorgte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung durch internen Streit für Schlagzeilen: Seit "Wirtschaftsweisen"-Ratsmitglied Veronika Grimm ein Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy angenommen hat, beharken sich die Wissenschaftler auf offener Bühne und prozessieren sogar gegeneinander. Ungeachtet dessen präsentiert das Gremium unter Vorsitz von Monika Schnitzer heute Nachmittag sein Jahresgutachten. Der Inhalt lässt sich in groben Zügen erahnen: Nachdem die Bundesregierung bereits im Oktober ihre Konjunkturprognose gesenkt hat, dürften auch die Wirtschaftsweisen ihre Wachstumserwartungen nach unten schrauben. Noch Anfang des Jahres hatten sich die Top-Ökonomen für eine Lockerung der Schuldenbremse ausgesprochen. Was daraus wurde, ist bekannt.


Abgang mit Anstand

Mit den Worten "When they go low, we go high" prägte Michelle Obama 2016 eine griffige Formel für den Umgang mit Donald Trump und dessen Gefolgsleuten: Wenn die anderen an niedere Instinkte appellieren, zeigen wir erst recht, was Anstand ist. Diesem Leitspruch folgt heute Joe Biden: Der scheidende US-Präsident empfängt den republikanischen Wahlsieger im Weißen Haus, obwohl der ihm nach seiner Niederlage 2020 ein solches Treffen verwehrt hatte. Das Treffen könnte zur Schicksalsstunde für die Zukunft der Ukraine und die Sicherheit Europas werden, schreibt unser Korrespondent Bastian Brauns. Zu schade, dass es mit Stil und Würde im Oval Office ab dem 20. Januar dann wieder für vier lange Jahre vorbei ist.

Trump hat indes weitere wichtige Regierungsposten bekannt gegeben. Sein Verteidigungsminister wird der Fox-News-Moderator Pete Hegseth. Elon Musk soll gemeinsam mit Vivek Ramaswamy ein einflussreiches Gremium leiten.


Bild des Tages

Maksym Kulyks Leben ist zerstört. Bei einem russischen Raketenangriff auf die Stadt Krywyj Rih wurden seine 32-jährige Ehefrau Olena, sein zehnjähriger Sohn Kyrylo, sein zweijähriger Sohn Dmytro und seine zwei Monate junge Tochter Ulyana getötet. Helfer fanden ihre Leichen unter den Trümmern eines Hauses. Der Terrorist im Kreml verschont bei seinem verbrecherischen Angriffskrieg weder Frauen noch Kinder. Umso schlimmer, dass die Unterstützung der Ukrainer durch die USA und die EU-Staaten nachlässt.


Die gute Nachricht

Der Klimaschutz kommt nur langsam voran, soeben ist die 1,5-Grad-Obergrenze gerissen worden. Mancherorts sind trotzdem positive Entwicklungen zu beobachten: So wird unter Brasiliens Präsident Lula im Amazonasgebiet so wenig Regenwald abgeholzt wie seit zehn Jahren nicht mehr.


Ohrenschmaus

Noch eine gute Nachricht kommt aus der Musikbranche: Die Goldkehlchen Simon & Garfunkel, jahrelang zerstritten, haben sich im hohen Alter versöhnt. Wer weiß, vielleicht singen sie ja auch noch mal zusammen?


Lesetipps

Kein Prominenter hat Donald Trump im Wahlkampf so stark unterstützt wie Elon Musk. Was genau der superreiche Tesla-Chef nun als Gegenleistung bekommt, verrät Ihnen unser Reporter David Schafbuch.


Deutschlands Außenpolitik steht im Schatten des Zusammenbruchs der Ampelregierung. Außenministerin Annalena Baerbock wird mit den Sorgen der internationalen Partner konfrontiert, berichtet mein Kollege Patrick Diekmann.


Im Alter genug Geld zu haben, ist gar nicht schwer. Mein Kollege Leon Bensch erklärt Ihnen, wie es geht.


Zum Schluss

Wer kommt, wer geht?

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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