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Abstimmung: Dieses Schneckenrennen lehrt fürs Leben


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Kurioser Trick
Warum bei diesem Rennen immer die gleiche Schnecke gewinnt


28.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Schneckenrennen: Bei Online-Abstimmung gewinnt immer eine bestimmte Schnecke, wenn die Mitspieler das Experiment nicht kennen.Vergrößern des Bildes
Schneckenrennen: Bei Onlineabstimmung gewinnt immer eine bestimmte Schnecke, wenn die Mitspieler das Experiment nicht kennen. (Quelle: Screenshot Twitter)

Die eigentlich sinnloseste Umfrage überhaupt fasziniert derzeit wieder Menschen: Der Sieger steht vorab fest, wenn vier Schnecken zur Wahl stehen – aber daraus lässt sich fürs Leben lernen.

Wenn die Fernsehsender "Dinner for One" aus dem Mottenschrank holen, hat Jörg Lohrer die "gleiche Prozedur wie jedes Jahr" auf Twitter bereits gestartet: Gerade läuft dort wieder ein kurioses Wettrennen, mit dem der Religionspädagoge jedes Jahr Menschen verblüfft. Er lässt in einer Abstimmung vier identischen Schnecken gegeneinander antreten – und es gewinnt immer die gleiche Schnecke. Dahinter steckt Psychologie, die auch Trickserei bei der Positionierung möglich macht.

Wer das Experiment selbst mitmachen will und gespannt ist, ob er oder sie ebenfalls auf die Siegerschnecke tippt, sollte erst einmal nicht weiterlesen, sondern vorher abstimmen. Für die, die keinen Twitter-Account haben, gibt es ohne Anmeldung die Umfrage auch hier:

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Die Anordnung bei der Umfrage ist aber nicht identisch: Die Schnecken nebeneinander statt untereinander anzuordnen, kann einen verfälschenden Effekt haben. Und auch die Namen könnten sich auf die Wahl auswirken: Die vier Schnecken wirken dann direkt unterschiedlich.

Platz entscheidet über Ausgang

Zu erwarten wäre eigentlich, dass alle Schnecken mehr oder weniger gleich viele Stimmen erhalten – bei vier Schnecken eben jeweils 25 Prozent. Als Lohrer 2016 die Frage an Weihnachten zum ersten Mal stellte, kam die Siegerschnecke auf 41,6 Prozent. In den Folgejahren waren es jeweils zwischen 42,2 und 45,7 Prozent für jeweils die gleiche Schnecke in der Liste. In diesem Jahr führt dieses Exemplar sogar mit mehr als 48 Prozent, die Abstimmung läuft bis Silvester.

Wenn Teilnehmer das Experiment nicht kennen, geht mehrheitlich immer die dritte Antwortmöglichkeit als deutlicher Sieger hervor – zur Verblüffung der meisten. Das ist nicht nur Spielerei: Wer Umfragen oder Tests erstellt, kann sich das Prinzip zunutze machen und so das Ergebnis in eine Richtung verändern. Wenn die Teilnehmer keine Ahnung haben, was die korrekte Antwort ist, ist der Anteil der richtigen Lösungen um bis zu 35 Prozent höher, wenn sie in der Mitte platziert ist.

So schreibt es die inzwischen emeritierte israelische Psychologie-Professorin Maya Bar-Hillel von der Hebräischen Universität Jerusalem in einem Beitrag für das Magazin "Perspectives on Psychological Science". Als Expertin für Wahrscheinlichkeiten und Entscheidungstheorie erklärt sie nicht die Vorliebe für Schnecke 3, sehr wohl aber, warum die erste und die letzte Schnecke völlig chancenlos sind: Bei gleichwertigen Auswahlmöglichkeiten gibt es eine Abneigung gegen die Ränder. Es wird dann eher etwas gewählt, was in der Mitte liegt.

Das ist Jörg Lohrer bewusst, der auf Twitter Jahr für Jahr die Schnecken auf die Reise schickt: "Ich finde es spannend, wie völlig irrelevant manche Umfrageformate sind. Die Ergebnisse scheinen mehr vom Format als von den Inhalten her zu entstehen."

Vom Schneckenrennen zu öffentlichen WC

Die Kenntnis der Aversion gegen Ränder lässt sich auch im Alltag nutzen, solange sie nicht zu vielen Menschen bewusst ist: Wer auf eine öffentliche Toilette mit mehreren Kabinen geht, kann sich relativ sicher sein, dass auf den Kloschüsseln hinter den äußeren Türen weniger Menschen gesessen haben, sofern nicht gerade alle sehr stark frequentiert sind. Wenn mehrere Reihen Müsli im Regal stehen, wird unwillkürlich eher zu denen in der Mitte gegriffen.

Den Positionseffekt gibt es in dieser Form laut Bar-Hillel jedoch nur, wenn die Antworten gleichwertig sind. Bei Speisekarten ist die Auswirkung umgekehrt: Experimente haben eine Vorliebe für Gerichte gezeigt, die am Anfang oder Ende eines Menüs stehen. Das wurde auch in einer Studie mit einer Online-Hotelauswahl von Vier-Sterne-Hotels mit sehr ähnlichen Bewertungen und Preisen registriert.

Die Ränder haben einen Vorteil, weil sie besser im Kurzzeitgedächtnis bleiben. Ein Gastronom könnte also Gerichte, von denen er gerne mehr verkaufen möchte, an den Anfang oder das Ende der Karte setzen. Wenn Schnecken auf der Speisekarte gegen Hummer oder Kalb gewinnen sollen, sollten sie folglich eher nicht in der Mitte verborgen sein. Allerdings ist der Effekt schwach und es gibt stärkere Argumente: Vegetarier werden das Rindersteak nicht bestellen, auch wenn es auf der Speisekarte besser platziert ist.

Auf Wahllisten kann Platz 1 helfen

Wenn die Schnecken mit anderen Kandidaten zu einer Wahl antreten sollten, wäre wiederum der Platz ganz oben auf dem Wahlzettel am besten – oder auch am Ende: Uninformierte Wähler, für die die Wahl eine Last ist, neigten dazu, ihre Stimme dem ersten zu geben, wenn gegen diesen nichts spreche. Nicht informierte Wähler mit großer Skepsis allen Kandidaten gegenüber machten eher beim letzten ihr Kreuz: Keiner in der Liste hat sie angesprochen, beim letzten geben sie gewissermaßen auf und ihre Stimme ab.

Die Annahme, dass die Platzierung auf dem Wahlzettel eine Rolle für die Stimmvergabe spiele, gibt es schon lange. Ebenso existieren Studien, die das belegten. Oft hätten sie aber andere mögliche Erklärungen unberücksichtigt gelassen und seien nicht nach dem Zufallsprinzip erstellt worden, so Psychologin Bar-Hillel. Nominierungswahlen in den USA, bei denen in verschiedenen Bezirken in ganz unterschiedlicher Reihenfolge Namen aufgeführt wurden, lieferten allerdings einen Beleg aus der Realität: In 71 von 79 Bezirken erhielten Kandidaten einen höheren Anteil, wenn sie an erster Stelle standen.

Aber niemand hat es so einfach wie Schnecke 3 in der Twitter-Abstimmung. Und Lohrer seufzt über seinen jährlichen Twitter-Erfolg: "Du gibst das ganze Jahr alles, um öffentlich Religionspädagogik zu betreiben, und dann sind es immer die gleichen vier Schnecken, die Zehntausende begeistern."

Verwendete Quellen
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