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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schreckliches Geheimnis Der Tätowierer von Auschwitz – die Geschichte hinter der Nummer 32407
Fünf Ziffern für jeden Gefangenen: In Auschwitz wurden aus Menschen Nummern. Und Ludwig Eisenberg machte sie dazu.
In den unvorstellbaren Schrecken des Konzentrationslagers Auschwitz wurde jeder Name ausgelöscht, jede Identität gestohlen – und durch eine Nummer ersetzt. Und Ludwig Eisenberg, den man Lale nannte, war der Mann, der diese Nummern stach. Jeden Tag drückte er die Nadel in die Haut unzähliger Gefangener und hinterließ die Zeichen eines beispiellosen Grauens. Er war der Tätowierer von Auschwitz.
Drei Jahre gelang Lale das Überleben. Bis die Nazis ihn 1945 angesichts der anrückenden Roten Armee gehen ließen. Wie er es schaffte, so lange in der Hölle auf Erden zu überleben, blieb 50 Jahre lang sein Geheimnis – bis der Tod seiner geliebten Frau Gita ihm den Mut gab, die Geschichte zu erzählen, die er bis dahin verschwiegen hatte. Er vertraute sich Heather Morris an, einer Bekannten seiner Familie. Sie schrieb seine Geschichte auf und erzählte sie in dem Buch "Der Tätowierer von Auschwitz: Die wahre Geschichte des Lale Sokolov" der Welt. Diesen Namen nahm Lale nach dem Krieg an.
Aus Lale wird Nummer 32407
Als die Nazis 1942 in seine Heimatstadt in der damaligen Slowakei kamen, hieß er noch Eisenberg. Er gab sich selbst als Juden zu erkennen. Er war 26 Jahre alt und glaubte naiv an das zynische Versprechen der Nationalsozialisten "Arbeit macht frei". Stattdessen fand er sich in der Hölle von Auschwitz wieder. Anstatt eines Namens trug er fortan eine Nummer: 32407.
Arbeit fanden die Nazis tatsächlich für Lale – eine perfide Erfüllung eines grausamen Versprechens. Unter entwürdigenden Bedingungen musste er Baracken für Mitgefangene errichten. Die harte Arbeit brachte ihn schnell an seine Grenzen. Schon kurz nach seiner Ankunft erkrankte er schwer an Typhus, einer Krankheit, die für Tausende den Tod bedeutete. Für Lale jedoch wurde sie zum Wendepunkt.
Da Lale keine schwere körperliche Arbeit mehr verrichten konnte, nahm ihn der Mann, der ihm bei seiner Ankunft in Auschwitz seine Nummer in die Haut tätowiert hatte, unter die Fittiche. Er wurde Lales Mentor, brachte ihm nicht nur das Handwerk des Tätowierens bei, sondern auch die Regeln des Überlebens in einer Welt, die jede Menschlichkeit zu verschlingen schien.
Eines Tages verschwand Lales Lehrmeister jedoch. Der junge Slowake sollte nie erfahren, was aus ihm geworden war. Doch nun brauchte das Konzentrationslager einen neuen Haupttätowierer – und Lale rückte nach. Die neue Position verdankte er nicht zuletzt seinen Sprachkenntnissen, vermutete er später. Neben seiner Muttersprache beherrschte Lale ein bisschen Deutsch, Russisch, Französisch, Ungarisch und Polnisch.
Josef Mengele: "Eines Tages, Tätowierer, werde ich dich nehmen"
Fortan arbeitete er für den politischen Flügel der SS. Dokumente aus dem KZ belegen seine Erzählungen. Seine Rolle als Tätowierer verschaffte ihm im Lager einige Privilegien: Er erhielt zusätzliche Rationen, durfte in einem Einzelzimmer schlafen und hatte sogar gelegentlich freie Zeit. "Dennoch hat er sich selbst nie als Kollaborateur betrachtet. Er tat das, was er getan hat, um zu überleben", sagte Heather Morris in einem Interview mit der BBC über ihn. Sie erinnerte sich an seine Worte. "Du hast genommen, was auch immer dir angeboten wurde. Du hast es genommen und warst dankbar, weil es bedeutete, dass du am nächsten Morgen aufwachst."
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Doch trotz der Privilegien war Lales Alltag von ständiger Angst geprägt. Besonders Josef Mengele, berüchtigt für seine grausamen Experimente, machte ihm das Leben zur Qual. Immer wieder soll Mengele Lale gedroht haben. "Oft schlich er sich von hinten an ihn heran, während er leise eine Opernmelodie vor sich hin pfiff, und versetzte ihm einen Schauer des Schreckens", schreibt Heather Morris in ihrem Buch. "Eines Tages, Tätowierer, werde ich dich nehmen", soll Mengele immer wieder gesagt haben. Für Mengele war Lale nichts weiter als ein potenzielles Versuchskaninchen.
Und so senkte Lale seinen Kopf, genau wie sein Mentor es ihm beigebracht hatte, und tätowierte Nummer für Nummer in die Haut unzähliger Gefangener. Jede dieser Prozeduren war ein weiterer Akt der Demütigung und Entmenschlichung, die die Häftlinge bereits bei ihrer Ankunft über sich ergehen lassen mussten. Ab diesem Zeitpunkt benutzten die Gefangenen offiziell nicht mehr ihre Namen, sondern nur noch ihre Nummern.
Überleben um jeden Preis
Im Juli 1942 sollte Lale eine weitere Nummer tätowieren: 34902 lauteten die fünf Ziffern. Er hielt den dünnen Arm eines Mädchens in den Händen. In dem Moment, als er ihre Nummer auf ihren linken Arm tätowierte, tätowierte er ihre Nummer in sein Herz, erzählte er Jahre später. Es war der Anfang einer großen Liebe. Das Mädchen hieß Gita, eine Gefangene des Frauenlagers Birkenau. Von diesem Tag an setzte Lale alles daran, ihr das Leben im Lager ein wenig erträglicher zu machen: Er schmuggelte heimlich Briefe zu ihr, arrangierte geheime Treffen, gab ihr zusätzliche Rationen und sorgte dafür, dass sie eine leichtere Arbeit bekam. Gitas Nähe wurde zu seinem Licht in der Dunkelheit.
Seine Position nutzte er offenbar auch, um anderen Gefangenen zu helfen. "Er wusste tief im Inneren, dass er überleben würde", schreibt Morris in ihrem Buch. "Er hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein und nutzte alle Möglichkeiten, die er hatte, um zu manipulieren."
Doch Lales Hilfe war nicht ohne Eigennutz. Wie Morris andeutet, nutzte er seine Stellung auch, um sich persönlich zu bereichern. Von anderen Gefangenen nahm er Schmuck und Geld an sich – teilweise, um diese Wertsachen in umliegenden Dörfern gegen Nahrung einzutauschen, teilweise, um sie selbst zu behalten. Später rechtfertigte er sich gegenüber Morris: Er habe diese Wertsachen nicht den Gefangenen, sondern den Nazis entwendet, die sie sonst an sich gerissen hätten.
Wundersames Wiedersehen
Als die Nazis 1945 Auschwitz räumen mussten, war Lale endlich frei und kehrte in seine Heimatstadt Krompachy zurück. Den Weg dorthin bezahlte er mit den Habseligkeiten anderer Gefangener, die er während seiner Zeit im Lager gesammelt hatte. In Krompachy angekommen, fand er seine Schwester und das Elternhaus wieder – beide hatten den Krieg überstanden. Doch von Gita fehlte jede Spur.
Zunächst schien es, als wäre sie für immer verloren. Doch das Glück, das Lale schon so oft das Leben gerettet hatte, stand ihm erneut zur Seite. Eines Tages, auf einer Straße in der Heimat, lief sie ihm buchstäblich in die Arme. Sie hatte ihn gefunden – ein unerwartetes und beinahe wundersames Wiedersehen.
Die Welt nach dem Krieg
So endete der Krieg für Lale und Gita, doch ihre Reise war noch lange nicht vorbei. Im Oktober 1945 heiratete das Paar und nahm den Nachnamen Sokolov an, um in der von der Sowjetunion kontrollierten Slowakei weniger aufzufallen. Lale baute sich mit einem eigenen Textilgeschäft eine neue Existenz auf. Heimlich sammelten sie Geld, das sie aus dem Land schmuggelten, um den jungen Staat Israel zu unterstützen.
Doch dieser stille Widerstand blieb nicht unbemerkt. Als die kommunistische Führung von ihren Aktivitäten erfuhr, wurde Lales Geschäft verstaatlicht. Das Paar stand erneut vor der Herausforderung, alles, was sie aufgebaut hatten, zu verlieren – ein Schicksal, das sie bereits zu gut kannten.
Das Glück blieb Lale treu. Während eines Wochenendurlaubs nutzten er und Gita die Gelegenheit zur Flucht aus dem Ostblock. Ihr Weg führte sie zunächst nach Wien, dann nach Paris und schließlich an das andere Ende der Welt: nach Australien. In Melbourne fanden sie endlich eine Heimat, ließen sich nieder und gründeten eine Familie. Mit der Geburt ihres Sohnes begann ein neues Kapitel.
Doch die Narben der Vergangenheit blieben – verborgen unter der Oberfläche. Selbst ihre engsten Freunde und Verwandte kannten das Geheimnis des Tätowierers von Auschwitz nicht. Bis zu dem Tag, als Gita starb und Lale seine Geschichte Heather Morris anvertraute.
- Heather Morris: Der Tätowierer von Auschwitz: Die wahre Geschichte des Lale Sokolov
- bbc.com: "The search for Cleopatra's tomb" (Englisch)