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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Amerikas Griff nach Kanada Nie zuvor wurden die USA so gedemütigt
Donald Trump gelüstet es anscheinend nach Kanada. Schon einmal wollten sich die Amerikaner das Nachbarland einverleiben. Der Krieg von 1812 gegen Großbritannien geriet allerdings zur Blamage.
Am 24. August 1814 hatte es US-Präsident James Madison plötzlich sehr, sehr eilig. Eigentlich hatte das amerikanische Staatsoberhaupt beim Städtchen Bladensburg beobachten wollen, wie seine überlegenen Streitkräfte ein angelandetes britisches Expeditionskorps vernichten würden. Doch es kam anders: Die Briten schlugen die Amerikaner, der Weg in die Hauptstadt Washington war frei.
Während Madison sich eiligst im Hinterland in Sicherheit brachte, zeigte seine Frau Dolley Courage. Im Weißen Haus sorgte die First Lady dafür, dass etwa Gemälde, darunter ein sehr berühmtes von Gilbert Stuart gemaltes Porträt George Washingtons, rechtzeitig vor der Ankunft der Briten abtransportiert werden konnten. Keinen Augenblick zu früh: Nachdem die britischen Truppen die Hauptstadt besetzt hatten, brannten sie große Teile davon nieder. Das Weiße Haus? Ging ebenso in Flammen auf wie das gerade entstehende Kapitol und zahlreiche Gebäude der Administration.
Als die "wohl größte Demütigung in der Geschichte der jungen Nation" beschreibt der Historiker Michael Hochgeschwender in seinem Buch "Die Amerikanische Revolution" das Niederbrennen der amerikanischen Hauptstadt Washington im Jahr 1814. Ausgerechnet durch die Briten, gegen die die USA von 1775 bis 1783 ihre Freiheit erkämpft hatten. Vom einstigen Traum mancher Kriegsbefürworter, den Vereinigten Staaten gar das britische Kanada einzuverleiben, war 1814 wenig geblieben.
Zwei Jahre zuvor – am 18. Juni 1812 – hatte der wankelmütige Madison seine Unterschrift unter die Kriegserklärung an Großbritannien gesetzt, davor hatten sich Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses dafür gefunden. Die USA fühlten sich von den Briten diskriminiert und drangsaliert, so hatte Großbritannien den Vereinigten Staaten den Handel mit Frankreich unter Napoleon Bonaparte untersagt, mit dem Großbritannien wiederum im Krieg stand.
"Kampf um unsere Freiheit"
Schlimmer noch: Die Royal Navy nahm sich das Recht heraus, ihren ungeheuren Bedarf an Matrosen durch das Stoppen amerikanischer Schiffe auf offener See zu stillen. Seeleute, die bei Kontrollen in irgendeiner Form als "britisch" deklariert wurden, mussten fortan bei der Royal Navy dienen. Wenn die Betreffenden nicht gleich vor Ort wegen Desertion aufgeknüpft wurden. Die Empörung über diese Praxis fortwährender Missachtung der amerikanischen Souveränität war gewaltig in den USA, zumal Teile der US-Öffentlichkeit den Briten auch vorwarfen, indigene Nationen zum Kampf gegen die Vereinigten Staaten aufzustacheln.
1812 wollte man es den Briten nun heimzahlen, der Krieg wurde propagandistisch als eine Art zweiter Unabhängigkeitskrieg gerahmt. "Dies ist der zweite Kampf um unsere Freiheit", tönte der Parlamentarier John Calhoun. Nicht zuletzt, weil zwar große Teile der USA, aber nicht alle den militärischen Konflikt mit den Briten guthießen. Die Staaten in Neuengland waren allein wegen ihrer wirtschaftlichen Verflechtung mit Großbritannien skeptisch.
Für die Amerikaner war nach Kriegsausbruch das benachbarte Kanada als Angriffsziel naheliegend. Dessen Eroberung war das "zentrale Ziel" der USA, wie der Historiker Volker Depkat in seiner "Geschichte der USA" schreibt. Dabei wähnten sich die Amerikaner auf einer Art Befreiungsmission, wie Michael Hochgeschwendner darlegt. Sie gingen davon aus, dass sich die Kanadier mit ihnen gegen die Kolonialmacht Großbritannien erheben würden. Oder wenigstens die französischsprachigen Siedler in Québec. Fehlanzeige. Ganz im Gegenteil, kanadische und teils frankokanadische Milizen schlugen sich sogar überaus erfolgreich im Kampf gegen die Invasoren aus dem Süden.
Entsprechend schlecht stand es um die Erfolgsaussichten, als noch im Sommer 1812 der amerikanische Plan in die Realität umgesetzt werden sollte, mittels dreier Angriffskorridore gen Norden vorzudringen: über Detroit, Niagara und Richtung Montreal. Allerdings kamen die wenigen in Kanada stationierten britischen Truppen – unterstützt von indigenen Verbündeten – den zahlenmäßig haushoch überlegenen Amerikanern mit einem Vorstoß auf US-Gebiet zunächst zuvor.
Militärisches Desaster
Es kam noch schlimmer: Im August 1812 bekleckerte sich US-General William Hull keineswegs mit Ehre, als er aus Panik gleich präventiv mit 2.000 Mann in Detroit vor einer unterlegenen britischen Truppe kapitulierte. Das brachte ihm später vor dem Kriegsgericht ein Todesurteil wegen Feigheit ein, aber Hull erhielt noch rechtzeitig eine Begnadigung aus Washington. Viel zu oft reihte sich so Niederlage an Niederlage für die Amerikaner, die zahlenmäßig überlegen, aber meist schlecht organisiert waren und noch miserabler geführt wurden. War eine Eroberung Kanadas so realistisch? Wohl kaum. Ein weiterer amerikanischer Vorstoß auf kanadisches Gebiet scheiterte am Ende ebenso.
Einzig die United States Navy hatte größere Erfolge zu vermelden. Ihre modernen und kampfstarken Fregatten gaben der als nahezu unbesiegbar geltenden Royal Navy Kontra. So rang etwa die berühmte und heute noch in Dienst stehende "USS Constitution" im August 1812 in einem berühmten Gefecht die britische "HMS Guerrière" nieder. Gegen die Übermacht der Briten zur See konnten die wenigen US-Kriegsschiffe letztlich aber wenig ausrichten, die Royal Navy etablierte eine Seeblockade vor der Küste der Vereinigten Staaten.
So zog sich der Krieg hin. Erst allmählich holten die US-Streitkräfte ihren eklatanten Rückstand bei der Ausbildung und Führung ihrer Truppen auf. So gelangen fortan auch verschiedene militärische Erfolge in Gefechten und Schlachten.
Allerdings nicht in der entscheidenden Schlacht bei Bladensburg am 24. August 1814, die Briten und Kanadiern die Einnahme Washingtons ermöglichte. Dass diese die feindliche Hauptstadt gleich zerstörten, lag Michael Hochgeschwendner zufolge an einem "gewissen Rachebedürfnis": Denn die Amerikaner hatten bei ihren Vorstößen auf kanadisches Gebiet ähnliche Taten begangen.
Nach ihrem Erfolg in Washington wandten sich die Briten gegen Baltimore in Maryland, das die Amerikaner als das eigentliche Ziel der Expedition vermutet hatten. Entsprechend war die Stadt besser verteidigt. Vor allem schützte Fort McHenry die Einfahrt zum wichtigen Hafen. Die Briten nahmen die Befestigung am 13. September 1814 unter Dauerfeuer, sie schossen auch Raketen auf die US-Besatzung ab, alles aufmerksam beobachtet von einem Amerikaner namens Francis Scott Key, der sich zu Verhandlungen an Bord eines britischen Kriegsschiffs begeben hatte.
Geburtsstunde einer Nationalhymne
Als am nächsten Morgen nach der Kanonade noch immer das Sternenbanner über Fort McHenry wehte, war Key so bewegt, dass er ein Gedicht darüber schrieb. "And the rockets' red glare, the bombs bursting in air, gave proof through the night that our flag was still there" (Und der Raketen grelles, rotes Licht, die in der Luft explodierenden Bomben, bewiesen die Nacht hindurch, dass unsere Flagge noch da war"), heißt es darin. Seit 1931 ist das vertonte Gedicht als "The Star-Spangled Banner" die offizielle Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika.
So war der Erfolg der Einnahme Washingtons für die Briten durch die erfolgreiche Verteidigung Baltimores etwas getrübt. Weit im Süden wollten die Truppen Großbritanniens hingegen einen weiteren Erfolg für ihren König George III. erringen: New Orleans in Louisiana sollten sie erobern. Die Briten waren siegesgewiss, in offener Feldschlacht hatten sie die Amerikaner schließlich schon oft besiegt.
Doch mit Andrew Jackson befehligte am 8. Januar 1815 ein Mann mit Kampfgeist die US-Truppen in der Schlacht von New Orleans. Militärische Erfahrung hatte Jackson im Krieg gegen die Indigenen erworben, in dem er keine Gnade zeigte. Bei New Orleans führte Jackson seine zahlenmäßig unterlegenen Truppen dann zum triumphalen Sieg.
Ein Sieg, der besonders für die besiegten Briten bitter war. Denn zum Zeitpunkt der Schlacht von New Orleans herrschte eigentlich bereits Frieden zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Er war wenige Wochen zuvor in Europa geschlossen worden, nur hatte diese Neuigkeit die Neue Welt noch nicht erreicht. Viel gewonnen hatte am Ende keine der beiden Seiten. Kanada blieb britisch, durchaus im Sinne des Großteils seiner Bewohner, die keine Amerikaner werden wollten.
Immer noch wenig Lust auf die USA
2012 – also 200 Jahre nach Ausbruch des Britisch-Amerikanischen Krieges von 1812 – zelebrierte die kanadische Regierung mit millionenschweren Feierlichkeiten die Selbstbehauptung Kanadas über die damaligen Invasoren aus dem Süden. Auch wenn historisch gesehen Kanada als britisches Dominion 1867 erst als Staat geschaffen worden ist.
Wenn nun Donald Trump als alter und neuer Präsident öffentlich über Kanada als zukünftigen 51. Bundesstaat der USA sinniert, werden nicht nur zwischen Vancouver und Québec Erinnerungen an das Jahr 1812 wach. Das Jahr, in dem die USA Kanada "befreien" wollten – ohne den Willen der Kanadier zu beachten.
- Eigene Recherche
- Michael Hochgeschwender: "Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763 - bis 1815", München 2016
- Volker Depkat: "Geschichte der USA", Stuttgart 2016
- Christof Mauch: "Die Präsidenten der USA. Historische Porträts von George Washington bis Joe Biden", 2. fortgeführte und aktualisierte Auflage, München 2021
- Christof Mauch: "Die 101 wichtigsten Fragen. Amerikanische Geschichte", 2. Auflage, München 2016
- nzz.de: "Kanada gedenkt des Kriegs mit Amerika"
- whitehousehistory.org: "Treasures of the White House: George Washington"