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Queen Elizabeth II. (✝96): "Putins Untat hat sie sicherlich schockiert"


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Biograf über Elizabeth II.
"Die Queen war stinksauer"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 04.12.2022Lesedauer: 6 Min.
Elizabeth II.: Die verstorbene Monarchin wusste, wie sie ihre Missbilligung zum Ausdruck bringen konnte.Vergrößern des Bildes
Elizabeth II.: Die verstorbene Monarchin wusste, wie sie ihre Missbilligung zum Ausdruck bringen konnte. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Die Queen füllte die Seiten der Boulevardpresse, doch Elizabeth II. war auch eine geschickte Politikerin. Ein neues Buch schildert ihre Erfolge – und wie sie ihren Willen bekam.

Elizabeth II. hatte es nicht leicht. Ihre Familie sorgte immer wieder mit Skandalen für öffentliches Aufsehen, politisch hatte die Queen auf den ersten Blick wenig zu sagen. Aber stimmt das auch? Im Gegenteil, sagt der Historiker und Biograf Ronald D. Gerste. Wie geschickt die britische Königin agierte und welche Erfolge ihr gelangen, erklärt Gerste im Gespräch.

t-online: Herr Gerste, die britische Monarchie ist ein Kuriosum. Einerseits ist sie Hauptlieferant für Klatschmedien in aller Welt, andererseits genoss kaum jemand derartiges Ansehen wie Elizabeth II. Wie ist dieses Missverhältnis zu erklären?

Ronald Gerste: Seien wir ehrlich, die Royals erwecken den Eindruck einer Chaostruppe – mit ihren ganzen Affären und Fehltritten. Das ist ein Wahnsinnstheater. Elizabeth II. trat hingegen ganz anders in Erscheinung, die Menschen bezeichneten sie als ernsthaft und zurückhaltend. Sie strahlte Würde und Weisheit aus, nicht nur in hohem Alter, sondern auch schon in jüngeren Jahren.

Sie haben nun mit "Die Queen. Elisabeth II. und ihr Zeitalter" eine politische Biografie über Großbritanniens Langzeitmonarchin veröffentlicht. Kann man die Politik von Klatsch und Tratsch trennen?

Das geht ganz hervorragend. Denn die Queen war weit mehr als nur die Dompteurin der Royals.

Schalten und walten können Großbritanniens Herrschergestalten allerdings schon seit langer Zeit nicht mehr nach Belieben, die Verfassung beschränkt ihre Rolle vor allem auf repräsentative Aufgaben.

Die Queen wirkte durch ihre Persönlichkeit, das ist richtig. Sie äußerte sich auch so gut wie nie in Interviews, sodass wir relativ wenig über ihre eigentlichen Ansichten und Überzeugungen wissen. Was ihr zudem Statur gab, war ihre außergewöhnlich lange Regierungszeit, ganze Generationen junger Britinnen und Briten wurden innerhalb dieser geboren. Selbst die Amtszeiten der deutschen Kanzler Helmut Kohl und Angela Merkel nehmen sich dagegen ausgesprochen kurz aus. Sie war einfach immer da. Das mag banal klingen, ist aber eine Tatsache.

Ronald D. Gerste, 1957 in Magdeburg geboren, ist promovierter Mediziner und Historiker. Er lebt in der Nähe der amerikanischen Hauptstadt Washington, D.C., und schreibt regelmäßig als Korrespondent für deutschsprachige Medien. Weiterhin ist Gerste Autor zahlreicher Bücher zur US-Geschichte wie auch zur Geschichte der Medizin. Nach "Die Heilung der Welt. Das Goldene Zeitalter der Medizin 1840–1914" erschien kürzlich seine politische Biografie "Die Queen. Elisabeth II. und ihr Zeitalter".

Wofür war sie aber da? Diese Frage stellten Antimonarchisten immer wieder. Immerhin sind die Royals eine durchaus kostspielige Angelegenheit für Großbritannien.

Die Bedeutung der Königsfamilie liegt in der Symbolik. So paradox es auch klingen mag, die britische Monarchie hat auch eine stabilisierende Wirkung auf die Demokratie. In Großbritannien wird das Mehrheitswahlrecht angewendet, das zwar deutliche Mehrheiten produziert, dem aber auch eine gewisse Härte innewohnt. Weil der Sieger überaus deutlich gewinnt. Eine unerschütterliche Institution wie eine Königin oder einen König an der Spitze des Staates zu haben, neutral und ausgleichend, ist da ein gewisser Trost. Bisweilen hat die Queen aber durchaus subtil ihre Missbilligung zum Ausdruck gebracht – auch wenn sie offiziell schweigen musste.

Haben Sie ein Beispiel?

Mit dem konservativen Premierminister Edward Heath verstand sie sich nicht besonders gut …

… sein Amtsvorgänger Harold Wilson von der Labour Party hat Heath einmal als gefühllos und eiskalt bezeichnet.

Das ist richtig. Zudem brachte Heath dem Commonwealth of Nations, das Großbritannien bis heute vor allem mit seinen ehemaligen Kolonien verbindet, wenig Sympathie entgegen. Für Elizabeth II. hingegen war das Commonwealth eine Herzensangelegenheit.

1970 kam es dann darüber zum Eklat.

Die Queen wollte im Folgejahr zum Gipfeltreffen der Commonwealth-Staaten nach Singapur reisen, Heath untersagte es ihr kurzerhand. Die Queen war stinksauer, um es einmal salopp auszudrücken – und diese Verärgerung wurde auch gezielt an den richtigen Stellen platziert, um Heath bloßzustellen. Ein Premier, der die Monarchin derart verärgert, war bei den Britinnen und Briten nicht unbedingt beliebt. Ihre Anhänger, darunter Kanadas damaliger Regierungschef Pierre Trudeau, sorgten dann dafür, dass der Gipfel 1973 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa stattfand. Wohin die Queen reisen konnte, egal, was Edward Heath dagegen sagen mochte.

Es war möglich, weil die britische Königin auch Staatsoberhaupt Kanadas war.

Einer Herrscherin den Besuch ihres eigenen Landes zu verbieten, war schlichtweg unmöglich. Der Gipfel von 1973 war dann auch sehr bedeutend, weil sich die Länder des Commonwealth für einen Stopp von Kernwaffentests aussprachen. "Nur die Queen versteht den wahren Wert des Commonwealth", lobte später der "Daily Telegraph".

Immer wieder versuchten vor allem die Medien, Elizabeths wahre Meinung an ihrem Auftreten abzulesen. So auch nach der Brexit-Abstimmung.

2016 war die Abstimmung, die die sogenannten Brexiteers knapp gewonnen haben. Im Jahr darauf geschah dann bei der Eröffnung des Parlaments etwas Ungeheuerliches: Elizabeth II. trug nicht Staatsrobe und Krone, sondern ein blaues Kleid und einen Hut in der gleichen Farbe. Obendrein zierten den Hut Blüten mit gelbem Zentrum.

Ein Schelm, wer dabei nicht an die Flagge der Europäischen Union denkt.

Jedenfalls behaupteten später sowohl die Schneiderin des Kleids wie auch die Hutmacherin, dass ihnen diese Tatsache nicht aufgefallen sei. Ob Elizabeth II. diese Tatsache ebenfalls entgangen ist? Wer weiß. Sie war eine Meisterin der subtilen Botschaften, ihre Persönlichkeit war ihre politische Stärke. Wie gesagt.

Der Brexit wurde am 31. Januar 2020 vollzogen. Wird die Queen wehmütig gewesen sein, als ihr Land die Europäische Union verließ? Immerhin hatte sie vor Jahrzehnten selbst einiges dafür getan, dass Großbritannien Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als deren Vorgängerin werden konnte.

Insbesondere Frankreich stand damals diesem Ansinnen überaus ablehnend gegenüber. Was machte die Queen? Sie bearbeitete den wenig anglophilen Präsidenten Charles de Gaulle. Es dauerte etwas, aber unter dessen Nachfolger Georges Pompidou war es dann so weit, Paris gab den Widerstand auf.

Nun hatten die EU-Gegner vor der Brexit-Abstimmung den Britinnen und Briten "blühende Landschaften" versprochen, davon ist so gut wie nichts Wirklichkeit geworden. Hatte die Queen geahnt, dass sich ihr Königreich auf Abwegen befand?

Ich vermute ja. Aber ihr blieb wenig anderes übrig, als dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. Und aufgrund ihrer viele Jahrzehnte währenden Herrschaft ist ihr eine Tatsache bewusst gewesen: Nichts ist unmöglich. Bis 1989 hatte es niemand für möglich gehalten, dass der Eiserne Vorhang in Europa fallen würde. Vielleicht kehren die Briten ja bald zurück in die Europäische Union – wer weiß?

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Nun haben wir viel über die richtigen Entscheidungen der Queen gesprochen – hat sie auch Fehler gemacht?

Nicht viele, aber einige doch. 1957 trat der konservative Premier Anthony Eden zurück, daraufhin bestellte Elizabeth Harold Macmillan als seinen Nachfolger zu sich. Das war allerdings etwas voreilig, denn bei den Konservativen war man sich selbst noch nicht so ganz einig, wer das Amt kriegen sollte. Damit sorgte die Queen für Verdruss.

Macmillan machte dann aber trotzdem das Rennen. 1997, als Lady Diana starb, regte sich aber in der britischen Presse heftige Kritik an der Queen. Sie sei emotionslos angesichts von Dianas Tod.

Die Queen hat sich richtig verhalten, so wie es ihrer Auffassung und Stellung entsprach. Dass sich die Presse so auf Elizabeth einschoss, hatte einen einfachen Grund: Diese Leute hatten die Paparazzi bezahlt, die Diana in den Tod hetzten. Nun die Queen mit fragwürdigen Vorwürfen zu überziehen, lenkte von der eigenen Schuld ab – und steigerte noch dazu die Auflage.

Nun ging die Queen nicht allein durchs Leben, sondern an der Seite von Prinzgemahl Philip. Während sie Etikette und Form wahrte, ließ er wenige Fettnäpfchen aus. Wie passte das zusammen?

Ganz hervorragend. Elizabeth wusste Humor sehr zu schätzen, Philip hatte reichlich davon. Für diese Ehe hatte er auch reichlich aufgegeben. Eigentlich war er Marineoffizier mit Leib und Seele, das musste Philip selbstverständlich sein lassen. Zur Hochzeit 1947 durften dann seine Schwestern nicht anreisen, weil ihre Ehemänner deutsche Aristokraten gewesen sind. Die Wunden des Krieges waren noch sehr frisch.

Philipp starb 2021, am 8. September 2022 hieß es dann: Die Königin ist tot, lang lebe der König. Wird Charles III., der im Seniorenalter den Thron bestieg, das Vereinigte Königreich zusammenhalten können?

Ich denke schon. Er hatte, weiß Gott, eine lange Ausbildungszeit, die Reaktionen der Menschen auf ihn waren auch recht positiv. Selbstverständlich standen die Dinge im Vereinigten Königreich aber nicht zum Besten bei Elizabeths Tod.

Brexit und Corona, Rekordinflation und der russische Krieg gegen die Ukraine haben das Land in eine tiefe Krise gestürzt. Von der rasanten Geschwindigkeit, mit der die Premierminister wechseln, einmal ganz abgesehen.

Gut, dass die Queen das nicht mehr erleben musste. Sie starb ja kurze Zeit, nachdem sie Liz Truss zur Premierministerin ernannt hatte. Dass diese dann einen Negativrekord in der Downing Street mit nur knapp sechs Wochen Amtszeit aufstellen würde, konnte niemand ahnen.

Nun hatte sich die Queen über Jahrzehnte für Frieden und Verständigung eingesetzt, im Februar 2022 erwiesen sich diese Bemühungen durch Russlands Überfall auf die Ukraine als gescheitert.

Putins Untat hat die Queen sicherlich schockiert. Aber ich denke, dass sie aus hartem Holz geschnitzt war, immerhin hat sie den Zweiten Weltkrieg erlebt. Und Elizabeth wusste, dass man sich Diktatoren in den Weg stellen muss.

Eine letzte Frage: Was bezeichnen Sie als größtes Verdienst der Queen?

Elizabeth II. war die erste Diplomatin ihres Landes. Sie hat insbesondere innerhalb des Commonwealth viel für eine friedliche Verständigung geleistet, Südafrikas großer Freiheitskämpfer Nelson Mandela sprach sie mit ihrem Vornamen an. Als ihr Sarg dann gen London transportiert worden ist, standen Menschen aller Hautfarben am Straßenrand und weinten. Ich denke, das sagt einiges aus.

Herr Gerste, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ronald Gerste via Videokonferenz
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