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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angriff auf Israel "Das ist ein echter Bruch"
Nina S. lebt in Berlin. Das jüdische Neujahrfest will sie gemeinsam mit ihrer Familie und ihren Freunden in Israel feiern. Doch der iranische Angriff am Dienstag auf Israel verhindert die Reise in ihre Heimat.
Als die Islamische Revolutionsgarde des Iran am Dienstagabend ihre Angriffe auf Israel gestartet hat, war Nina S. bereits auf dem Weg von Limassol zum Flughafen Larnaka auf Zypern, um am Abend nach Israel zu fliegen. Nina S. heißt in Wirklichkeit anders. Doch die Israelin, die seit fast 20 Jahren in Berlin lebt, ist um ihre Sicherheit in Deutschland besorgt und hat die Redaktion von t-online deshalb um das Verwenden eines Pseudonyms gebeten.
"Das traurigste Rosch HaSchana aller Zeiten"
In Israel wollte S. gemeinsam mit ihrer Familie und Freunden das jüdische Neujahrsfest Rosch HaSchana, das am Mittwochabend beginnt, feiern. Doch als Dienstagabend ihr Telefon klingelte, sagte ihr Vater, dass es besser sei, wenn sie jetzt nicht nach Tel Aviv komme. "Es ist wahrscheinlich das traurigste Rosch HaSchana aller Zeiten", schrieb sie später auf ihrer Facebook-Seite.
t-online: Frau S., wie geht es Ihnen heute?
Nina S.: Inzwischen bin ich wieder ruhiger. Gott sei Dank ist ein Freund von mir auf Zypern. Ich bin jetzt in seinem Gästehaus. Dienstagabend war es stressig und erschreckend. Ich wollte zum Flughafen, als mein Vater gegen 18 Uhr Ortszeit anrief und sagte, ich solle nicht kommen. Er meinte, das hätte jetzt keinen Sinn. Außerdem könne er mich nicht vom Flughafen abholen, weil alle in die Bunker müssen. Meine Eltern leben in der Nähe von Tel Aviv. Innerhalb einer halben Stunde ging es dann los. Meine Mutter und mein Vater saßen zwei Stunden im Bunker. Wir waren die ganze Zeit über WhatsApp in Verbindung.
Haben Sie auf Zypern Urlaub gemacht?
Ich bin am Sonntag aus Berlin angekommen und wollte von hier aus nach Israel weiterfliegen. Nun bleibe ich erst einmal hier, bei dem Freund aus Berlin. Zufällig habe ich heute zwei Familien aus Israel getroffen. Sie stammen aus dem Kibbuz Dafna im Norden von Israel und sind schon seit sechs Monaten auf Zypern. Heute Abend wollen wir gemeinsam ein bisschen Rosch HaSchana feiern. Es ist wirklich eine seltsame Situation: Wir sind fast zu Hause, Israel ist so nah. Gestern haben sogar einige Leute in den sozialen Netzwerken geschrieben, dass sie die Lichter der Raketen, die von Iran auf Israel abgefeuert wurden, von Zypern aus sehen konnten. Es ist ein krasses Gefühl.
Können Sie es beschreiben?
Es ist, als ob du die Kontrolle darüber verlierst, wo du hin willst. Es ist Krieg, richtig Krieg. Ich war seit Oktober 2023 fünf Mal in Israel. Doch jetzt ist es einen Schritt weiter, weil eine weitere Front mit Libanon geöffnet wurde. Als meine Eltern gestern im Bunker waren und wir gechattet haben, konnte ich die Angst meiner Familie spüren. Sie schrieben mir, dass sie die Explosionen hören konnten. Eine Freundin, mit der ich gesprochen habe, erzählte, ihre kleine Tochter habe die ganze Zeit im Bunker aus Angst geschrien. Nicht alle Leute in Israel können in so einer Situation nach Griechenland, Zypern oder Berlin flüchten. Ich denke dabei aber auch an die Menschen in Gaza oder unsere anderen Nachbarn. Andererseits weiß ich aus Gesprächen mit Freunden, dass sie sich heimatlos fühlen, weil sie ihre Häuser oder Kibbuzim im Norden Israels verlassen mussten.
Was auch erstaunlich ist: in der Nacht von Montag zu Dienstag habe ich schlecht geschlafen. Als ich morgens aufgewacht war, hatte ich das Gefühl, dass es ein sehr langer Tag wird. Tagsüber war ich super müde und musste an den 7. Oktober denken. Manche Leute sind seitdem auch müde und haben keine Ruhe mehr bekommen.
Haben Sie die Bilder aus Berlin am Dienstagabend gesehen?
Nein. Was ist da passiert?
In Wedding und Kreuzberg haben pro-palästinensische Anhänger und Aktivisten nach dem iranischen Angriff auf Israel gejubelt und vor Freude getanzt. Wie nach dem Überfall der Hamas-Terroristen am 7. Oktober, nur ohne Baklava.
Das ist schrecklich und macht mir Angst. Früher habe ich mir darüber Gedanken gemacht, wie ich besonders gut mit meinen Nachbarn zusammen leben kann. Inzwischen denken sie darüber nach, wie sie ohne mich besser leben können. Das macht mir wirklich Angst und das ist ein echter Bruch. Wenn ich durch Berlin laufe, gebe ich mich nicht mehr als Jüdin oder Israelin zu erkennen. Und wenn ich auf der Straße einen Anruf bekomme, habe ich Angst, auf Hebräisch zu antworten.
Ich verstehe nicht, wie man solche Angriffe oder dass jemand getötet wird, feiern kann. Das tut weh. Mir käme nie in den Sinn, so etwas zu bejubeln.
- Interview mit Nina S. (02.10.2024)
- Eigene Recherche