Wolf Biermann über Ostdeutsche "Das ist keine Sehnsucht, das ist aggressives Selbstmitleid"
Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann hat Ostdeutschen "bleibende Seelenschäden" attestiert. Sie seien von zwei Diktaturen hintereinander "doppelt geprägt."
Menschen aus der DDR haben Liedermacher Wolf Biermann zufolge zu viel erdulden müssen und deswegen bleibende Seelenschäden erlitten. "Die Ostdeutschen sind nach zwei Diktaturen hintereinander doppelt geprägt. Kaputte Häuser und Straßen kann man in 30 Jahren wieder aufbauen, kaputte Menschen dauern etwas länger", sagte der 86-Jährige dem "Tagesspiegel". "Wir alle gehen nicht nur kaputt an den Schlägen, die wir einstecken, sondern auch an den Schlägen, die wir nicht austeilen."
Wolf Biermann hat in der DDR eigenen Angaben zufolge 1965 ein totales Auftritts- und Publikationsverbot bekommen. Er sei zum radikalen Kritiker der Parteidiktatur geworden. Elf Jahre später wurde er aus der DDR ausgebürgert.
Vererbt "von Generation zu Generation"
Die neue Ostalgie-Welle mit derzeit erfolgreichen Büchern über den DDR-Alltag und die verkorkste deutsche Einheit spiegele keineswegs eine Sehnsucht nach alten Zeiten wider: "Das ist keine Sehnsucht, das ist aggressives Selbstmitleid." In der DDR habe es für die Menschen viele gute Gründe gegeben, sich feige zu verhalten.
Aber es mache chronisch seelenkrank, wenn man immer den Schwanz oder den Kopf einzieht, so Biermann. "Diese Deformation wird unbewusst vererbt von Generation zu Generation." Seiner Meinung nach waren nicht genug Menschen im Widerstand gegen die DDR. "Vielleicht waren wir an die 1.000 Leute in der ganzen DDR, die sich gewehrt haben." Im Vergleich zu 16 Millionen "gehorsamen Untertanen" sei das nicht besonders viel gewesen.
- Nachrichtenagentur dpa