Widerstandskämpfer: "Es war falsch" 47 Deutsche hingerichtet? Franzose bricht Schweigen
Als 18-Jähriger sah Edmond Réveil, wie Widerstandskämpfer gefangene deutsche Soldaten hinrichteten. Fast 80 Jahre später bricht er sein Schweigen.
Jahrzehntelang hat Edmond Réveil sein Geheimnis für sich behalten, erst jetzt, im Alter von 98 Jahren, spricht er öffentlich über seine Erlebnisse in dem Wald bei Meymac im Südwesten Frankreichs. Als 18-Jähriger wurde Réveil Zeuge, wie Widerstandskämpfer der Résistance dort 47 gefangene deutsche Soldaten und eine mutmaßliche französische Kollaborateurin erschossen und verscharrten.
"Die Welt muss wissen, was dort geschehen ist", sagte Réveil jetzt der Lokalzeitung "La Montagne". Das gehöre zur "historischen Wahrheit" und die Öffentlichkeit müsse davon erfahren, so Réveil, der unter dem Decknamen Schmetterling selbst zum Widerstand gehörte, an den Hinrichtungen nach eigener Aussage aber nicht teilnahm. "Es musste geheim bleiben, aber es war falsch, Gefangene zu erschießen."
Gefangene mussten ihre Gräber ausheben
Die deutschen Soldaten und die mutmaßliche Gestapo-Kollaborateurin seien Teil einer Gruppe gewesen, die bei einem Angriff der Résistance im nahegelegen Tulle gefangen genommen wurde, berichtet Réveil. Die Widerstandskämpfer hätten aber keine Möglichkeit gesehen, die Leute gefangen zu halten. So habe man diese in der Nacht zum 12. Juni 1944 in ein Waldstück geführt, wo sie zunächst ihre eigenen Gräber ausheben mussten.
Die Résistance-Kämpfer hätten sich bereit erklärt, jeweils einen der Gefangenen zu erschießen. Réveil habe sich verweigert, sei aber bei den Erschießungen dabei gewesen. Ein deutschsprachiger Widerstandskämpfer aus dem Elsass habe den Gefangenen zuvor mitgeteilt, dass sie getötet würden. Schon 2019 habe er seine Geschichte bei einem Veteranentreffen erzählt, berichtet Réveil. Doch erst jetzt wendet er sich an die Öffentlichkeit.
"Auge um Auge, Zahn um Zahn"
Nach Réveils Enthüllungen suchen das staatliche französische Veteranenbüro und der deutsche Verein Kriegsgräberfürsorge nun gemeinsam nach den Überresten der Hingerichteten. Mit Lasertechnik untersuchen die Helfer derzeit ein Waldstück im nahen Corrèze. Den genauen Ort des Geschehens kann Réveil nicht mehr benennen, weil sich die Landschaft und die Bewaldung inzwischen stark verändert hätten. Sollte die Expedition Erfolg haben, würden die gefundenen Knochen den deutschen Behörden übergeben.
Im Sommer 1944 gingen die deutschen Besatzer zunehmend brutal gegen die französische Zivilbevölkerung vor. Am 6. Juni waren die alliierten Streitkräfte beim sogenannten D-Day an der Küste der Normandie gelandet. Nur zwei Tage vor den von Réveil geschilderten Ereignissen hatte die Waffen-SS im 120 Kilometer entfernten Oradour-sur-Glane 642 Menschen erschossen oder lebendig verbrannt, darunter auch 247 Kinder – es war das schlimmste deutsche Massaker in Frankreich.
Auch für den Angriff der Résistance in Tulle, bei dem die 47 Deutschen gefangen genommen wurden, rächte sich die SS brutal: Sie erhängte 99 Männer und deportierte 149 weitere, von denen die meisten in Konzentrationslagern der Nazis umkamen. "Für uns hieß es damals buchstäblich 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'", erinnert sich Réveil.
- lamontagne.fr: "On n’aurait pas dû les tuer" : un résistant brise l'omerta sur l'exécution de 47 soldats allemands en juin 1944 en Corrèze (französisch; Stand: 19. Mai 2023)
- theguradian.com: French resistance fighter, 98, reveals mass execution of German prisoners (englisch; Stand: 19. Mai 2023)