t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanoramaKriminalität

Berlin: Zehn Jahre Haft für Stasi-Mord von 1974


Urteil in Berlin
Lange Haft für Stasi-Mord von 1974

Von t-online, mtt

Aktualisiert am 14.10.2024 - 13:41 UhrLesedauer: 3 Min.
Der Angeklagte am Montag vor Gericht: Er wurde für einen Mord im Auftrag der Stasi verurteilt, den er 1974 beging.Vergrößern des BildesDer Angeklagte am Montag vor Gericht: Er wurde für einen Mord im Auftrag der Stasi verurteilt, den er 1974 begangen hatte. (Quelle: Sebastian Gollnow/dpa)

Am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße ist ein Mann im Auftrag der Stasi erschossen worden. 50 Jahre später fiel das Urteil.

Ein heute 80-jähriger ehemaliger Stasi-Mitarbeiter ist zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgericht Berlin sprach den Mann aus Leipzig schuldig, vor 50 Jahren einen Mord begangen zu haben.

Die Staatsanwaltschaft hatte zwölf Jahre wegen heimtückischen Mordes beantragt. Der damalige Stasi-Oberleutnant habe am 29. März 1974 aus einem Hinterhalt heraus den 38-jährigen Polen Czesław Kukuczka im Auftrag der Stasi aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern erschossen, hieß es in der Anklage. Manfred N. habe zur Tatzeit einer Operativgruppe des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit angehört und sei mit der "Unschädlichmachung" des Polen beauftragt worden.

Das Opfer gab eine Whiskey-Flasche als Bombe aus

Der 38 Jahre alte Kukuczka hatte zuvor versucht, seine Ausreise zu erzwingen. Er wollte über Berlin in den Westen, vermutlich hatte er vor, zu zwei Tanten in die USA zu reisen. Am 29. März 1974 tauchte er in der polnischen Botschaft in Ostberlin auf und behauptete, er habe eine Bombe in seiner Aktentasche.

In Wahrheit führte Kukuczka nur eine zerbrochene Whiskey-Flasche, einen alten Rasierer und Schuhputzzeug mit sich, außerdem hatte er in seinen Unterlagen eine US-Adresse notiert. Aus seiner Tasche ragte eine Schlinge, die er festhielt.

Die Polen alarmierten die deutsche Stasi – und diese ging zum Schein auf den Wunsch des Mannes ein. Ausreisepapiere wurden ausgestellt und Kukuczka zum Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße gebracht. Als er dort jedoch den letzten Kontrollpunkt passiert hatte, fiel der Schuss. Die Kugel zerfetzte Lunge, Milz und Leber. Die Stasi brachte ihr Opfer aber nicht in die nächstgelegene Klinik, sondern ins Haftkrankenhaus in Berlin-Hohenschönhausen. Dort starb er um 18.32 Uhr auf dem Operationstisch.

Zehntklässlerinnen aus Hessen werden Zeuginnen der Bluttat

Schülerinnen einer 10. Klasse aus Hessen, die Ost-Berlin besucht hatten, wurden Zeuginnen der Tat. Sie schilderten im Prozess, was sie damals wahrgenommen hatten. Eine heute 65-Jährige erinnerte sich: "Hinter mir stand ein Mann mit einer Reisetasche."

Nachdem er seinen Pass zurückbekommen habe, sei er zielgerichtet auf die Unterführung zugegangen. Plötzlich sei jedoch ein Mann in einem langen Mantel und mit Sonnenbrille von hinten vorgetreten – und der Schuss sei gefallen. Der Mann mit der Reisetasche sei zusammengesunken. "Das sehe ich noch bildlich vor mir", berichtete die Zeugin. Danach seien sofort die Türen geschlossen worden. "Wir hatten unheimliche Angst."

Richter am Montag: Tat "gnadenlos ausgeführt"

N. habe die Tat zwar nicht aus persönlichen Motiven begangen, sagte der Vorsitzende Richter Bernd Miczajka in der Urteilsbegründung am Montag. Sie sei von der Stasi geplant gewesen. Er habe sie aber "gnadenlos ausgeführt". Die Kammer sei in dem Prozess zu der zweifelsfreien Überzeugung gekommen, dass der Angeklagte der Täter sei. Über diesem in der Stasi-Hierarchie stehende Menschen könnten nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden.

Die Staatsanwaltschaft hatte ein höheres Strafmaß mit der Argumentation gefordert, N. habe damals durchaus Handlungsspielraum gehabt und hätte dem Opfer etwa auch in Arme oder Beine schießen können, um es an der Ausreise zu hindern.

Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Sie stellte infrage, ob N. überhaupt der Schütze gewesen sei. Der Angeklagte selbst hatte sich vor Gericht nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Kukuczkas Angehörige zeigten sich nach dem Urteil dankbar

Die Ermittlungen zu dem Fall waren über viele Jahre nicht vorangekommen. Laut Staatsanwaltschaft Berlin gab es erst 2016 einen entscheidenden Hinweis zur möglichen Identität des Schützen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv.

Der Prozess wurde wegen seiner historischen Bedeutung aufgezeichnet. Die Angehörigen des Opfers – eine Tochter, zwei Söhne und eine Schwester – traten im Verfahren als Nebenkläger auf. Es sei ihren Mandanten nie um eine bestimmte Strafe oder Rache gegangen, betonten die Anwälte. "Die Nebenkläger sind dem Gericht, dem deutschen Staat dankbar, dass es dieses Verfahren gab", so Anwalt Rajmund Niwinski.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website