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Freibad-Randale: Psychologe schätzt Situation ein – "Tickende Zeitbombe"


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Situation in Freibädern
"Das kann die Gewalt sofort eskalieren lassen"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 15.07.2023Lesedauer: 4 Min.
Kopfsprung ins Wasser (Archivbild): Das Berliner Columbiabad ist seit vergangenem Sonntag geschlossen.Vergrößern des Bildes
Kopfsprung ins Wasser (Archivbild): Das Berliner Columbiabad ist seit vergangenem Sonntag geschlossen.
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Warum kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen in Freibädern? Der Psychologe Kazım Erdoğan glaubt, die aktuellen Maßnahmen erfassen das Problem nicht.

Berliner Schwimmbad-Mitarbeiter haben ihrer Wut in einem Brandbrief Luft gemacht. Darin berichten sie von einem "untragbaren Ausmaß der Umstände" und richten sich damit an die Führung Berliner Bäder-Betriebe. Zuerst berichtete der "Tagesspiegel".

Der Vorwurf: Nicht nur Mitarbeiter werden von den Badegästen bedroht, sondern auch Frauen und Minderheiten, vor allem trans und queere Menschen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Das hatte nun erste Folgen. Nach Auseinandersetzungen von Besuchern wurde das Columbiabad im Bezirk Neukölln am vergangenen Sonntag vorübergehend geschlossen. Als Reaktion sollen jetzt die Sicherheitsmaßnahmen erhöht werden.

Kazım Erdoğan ist über die Vorfälle nicht verwundert. Der Berliner Psychologe und Experte für Migration engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Gewalt. Im Gespräch mit t-online erläutert Erdoğan, was er von den neuen Sicherheitsmaßnahmen hält, warum der vermeintliche Migrationshintergrund nicht der Hauptgrund für die Eskalation der Gewalt ist und was getan werden muss, um das Problem zu lösen.

t-online: Herr Erdoğan, das Columbiabad in Neukölln wurde aufgrund von massiven Anfeindungen des Personals und Gewaltausbrüchen geschlossen. Sie hat das nicht überrascht, warum?

Kazım Erdoğan: Weil die Gewalt generell gestiegen ist, unabhängig von Freizeiteinrichtungen oder Freibädern. Deshalb wundert es mich nicht mehr, wenn es zu solchen Ereignissen kommt. Wir haben es noch nicht geschafft, präventive Maßnahmen einzuleiten, die nötig wären. Die Gewalt in Freibädern sollten wir nicht separat behandeln. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Trotzdem: Warum nimmt augenscheinlich die Gewalt in einigen Freibädern zu?

Dafür bräuchten wir genauere Informationen über diese jungen Menschen: Über ihre Familienverhältnisse, ihren gesundheitlichen Zustand, waren sie alkoholisiert oder standen sie unter Drogen? Manchmal spielen auch gruppendynamische Prozesse eine Rolle, genauso wie die hohen Temperaturen. Auch die Pandemiezeit liegt noch nicht lange zurück: Wenn man in engen Verhältnissen wohnt, die Kommunikation mit den Eltern nicht die beste ist, dann ist man vielleicht eine tickende Zeitbombe.

Kazım Erdoğan
Kazım Erdoğan (Quelle: imago stock&people/imago-images-bilder)

Zur Person

Kazım Erdoğan, geboren 1953, arbeitet als Psychologe und Soziologe in Berlin und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Migrations- und Integrationsfragen. Er ist Vorsitzender des Vereins "Aufbruch Neukölln" und hat unter anderem eine Selbsthilfegruppe für türkische Männer gegründet. 2012 wurde ihm für sein Engagement der Bundesverdienstorden verliehen.

Sie setzen sich als Psychologe schon lange mit Migrations- und Integrationsthemen auseinander. In dem Brief, den das Personal der Freibäder geschrieben hat, heißt es, dass die Störer in der Regel aus arabischen, zum Teil auch aus tschetschenischen Familien stammen.

Viele Informationen habe ich nicht: Ich weiß nicht, ob sie etwa aus streng religiösen Familien stammen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie über die Regeln, Sitten und Bräuche von Deutschland ausreichend informiert sind, das Gleiche gilt für Respekt, Anstand und Bildung. Man müsste sich damit beschäftigen, ob die jungen Menschen in das Freibad gehen und sich denken: "Für mich gelten keine Regeln, ich kann hier machen, was ich will." Wir müssen uns fragen: Mit wem haben wir es zu tun und was sind die Gründe, die zu diesem Aufstand geführt haben? Allein die Tatsache, dass sie eine arabische oder tschetschenische Zuwanderungsgeschichte haben, scheint für mich nicht die Hauptrolle zu spielen. Gewalt kennt weder Sprache noch Ethnie oder Religion. Aber mit den richtigen Mitteln lässt sie sich eindämmen.

Ab Samstag soll der Eintritt in die Freibäder nur noch nach Vorzeigen eines Ausweises möglich sein. Zudem sollen in einigen Orten mobile Polizeiwachen entstehen und das Sicherheitspersonal aufgestockt werden. Ist das der richtige Weg?

Für mich ist das eine halbe Lösung. Es entsteht der Eindruck, dass Menschen keine Gewalt ausüben, wenn sie ihren Namen auf irgendwelchen Karten vorzeigen. Das ist nicht so. Auch die früheren Einlass-Stopps sind nicht sinnvoll: Wie fühlen sich denn diejenigen, die dann ausgegrenzt werden? Dann wird es zu unnötigen Auseinandersetzungen kommen. Für mich sind das Schnellschüsse. Mit mehr Sicherheitskräften, Polizisten oder mobilen Wachen würde ich mich nicht wohlfühlen, obwohl ich die Arbeit der Polizei sehr schätze. Aber dann ist man nicht frei.

Sie glauben, dass sich von den Regeln einige Leute noch stärker provoziert fühlen?

Das schließe ich nicht aus. Ich habe Angst, dass sich die Gewalt in andere Straßen und Regionen verlagert. Die Sicherheitskräfte werden auch schauen, wie die Menschen aussehen, auch wenn sie gar nicht negativ aufgefallen ist. Wenn dann nur eine Kleinigkeit schiefläuft, kann das die Gewalt sofort eskalieren lassen.

Wie würden Sie stattdessen vorgehen?

Wir dürfen die Maßnahmen nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden. Man muss die Menschen, um die es geht, mitnehmen und mit ihnen sprechen. Wenn man mit den Betroffenen und deren Eltern spricht, ergeben sich vielleicht bessere Ideen, als sie die Politik oder sogenannte Experten haben.

Von außen wirkte es so, als wären die Störer nicht gesprächsbereit.

Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung kann ich sagen: Wenn man in einer ruhigen Atmosphäre redet, auf seine Zunge achtet und mit Menschen spricht, ohne sie zu stigmatisieren oder auszugrenzen, kann man kleine Brötchen backen. Wir stehen am Anfang und sind dazu verdammt, klein anzufangen. Wir müssen zu den Elternhäusern und dort ins Gespräch kommen, präventive Arbeit leisten. Viele Eltern wissen gar nicht, dass die Kinder auffällig und gewalttätig geworden sind. Es ist nicht normal, dass Menschen in Familien, die sich muslimisch nennen, bespuckt oder grundlos angegriffen werden. Angeblich soll es sich auch um Wiederholungstäter handeln: Warum wurde da so lange gezögert und gezaudert? Warum hat die Politik die Unterbesetzung der Bäder so lange hingenommen? Dieser Brandbrief mag der letzte Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das Problem ist uns aber schon lange bekannt.

Die Politik hat also zu lange zugesehen?

Nicht nur, wir alle zusammen! Ich möchte nicht mit dem Finger auf die Politik zeigen, weil ich im wahrsten Sinne des Wortes meine, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Wir müssen zusammen eine Mannschaft bilden, die die Bälle in die gleiche Richtung spielt. Die Politik oder Geld allein wird das nicht hinkriegen, härtere Strafen und mehr Sicherheitskräfte auch nicht. Wir müssen uns noch ernsthafter und intensiver überhaupt mit dem Thema Gewalt beschäftigen. In diesem wunderbaren Land reden wir zu viel. Wir machen so viele Treffen und Gipfel, aber der Handlungsteil kommt zur kurz. Wir handeln nicht so rasch, die Mühlen mahlen sehr langsam. Da müssen wir uns aufrappeln.

Her Erdoğan, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Kazım Erdoğan
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