Großrazzia gegen 'Ndrangheta Das steckt hinter der Mafiaorganisation aus Italien
Eine Großrazzia gegen Mitglieder der italienischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta sorgt für Aufsehen. Was ist über die Gruppierung bekannt? Ein Überblick.
Europaweite Großrazzia, auch in Deutschland: Am frühen Mittwochmorgen sind hierzulande mehr als 1.000 Polizisten gegen Mitglieder der italienischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta ausgerückt. Bei dem Einsatz durchsuchten die Beamten bundesweit Dutzende Wohnungen und vollstreckten rund 30 Haftbefehle. Hier lesen Sie mehr zu den aktuellen Entwicklungen.
Was steckt hinter der italienischen Mafiaorganisation, wie ist 'Ndrangheta organisiert und welchen Bezug hat sie zu Deutschland? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was steckt hinter 'Ndrangheta?
Die 'Ndrangheta gilt als die weltweit größte und einflussreichste italienische Mafiaorganisation. Nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) ist sie derzeit die "relevanteste Mafiagruppierung" mit einer dominanten Stellung auf dem europäischen Kokainmarkt. "Sie versucht, ihr Territorium auszuweiten und Einfluss auf kalabrische Migrantengemeinschaften auszuüben", erklärte das BKA.
Ihre Wurzeln hat die 'Ndrangheta in der italienischen Region Kalabrien, der Spitze des italienischen "Stiefels" auf dem Festland gegenüber der Insel Sizilien. Sie soll sich schon in den 1860er-Jahren gegründet haben, als eine Gruppe Sizilianer von der Insel verbannt wurde. Der Begriff 'Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Mut oder Treue.
Wie ist die Mafiagruppierung organisiert?
Die 'Ndrangheta ist nicht klassisch hierarchisch organisiert, anders als Filme über andere Mafiaclans wie die Cosa Nostra nahelegen. Familien schließen sich in sogenannten Lokalen zusammen, die von Dreigespannen geleitet werden. Ein solches Dreigespann bilden der über Leben und Tod entscheidende "Capo Bastone", der "Contabile" – ein Buchhalter – und der "Capo Crimine", der die Verbrechen schließlich plant.
Mehrere "Lokale" bilden einen "Bezirk". Die "Bezirke" vereinen sich wiederum in der sogenannten Provinz. Der "Capo Provincia" steht an oberster Spitze: Er koordiniert die "Lokale" und ist für die Lösung von Konflikten zuständig.
Zu den meistgesuchten italienischen Mafia-Bossen zählte etwa Pasquale Bonavota, den die italienischen Carabinieri in der vergangenen Woche in Genua festnahmen. Er war bis zuletzt Boss des Sant-Onofrio-Clans der 'Ndrangheta. Sant’Onofrio ist eine Gemeinde in Kalabrien. Hier lesen Sie mehr über ihn und seine Festnahme.
Allein im Kerngebiet Kalabrien hat die 'Ndrangheta rund 160 Clans mit schätzungsweise 6.000 Mitgliedern. Die Bundesregierung schätzte zuletzt, dass die Organisation in Deutschland bis zu 1.000 Mitglieder hat. Von bis zu 20 "Lokalen" ging die Regierung hierzulande aus.
Was werfen die Behörden den Mitgliedern vor?
Die Mafiaorganisation ist laut Nachrichtenagentur dpa im internationalen Drogenhandel aktiv, verdient ihr Geld aber auch mit Waffen, Geldwäsche oder Korruption. Ihren Umsatz schätzen manche Experten auf mehr als 100 Milliarden Euro.
Den Verdächtigen in Deutschland, gegen die sich die aktuellen Razzien richten, werfen die Behörden konkret Geldwäsche, bandenmäßige Steuerhinterziehung, gewerbsmäßigen Bandenbetrug sowie Rauschgiftschmuggel vor.
Welchen Bezug hat die Gruppierung zu Deutschland?
Zu trauriger Bekanntheit gelangte sie hierzulande durch spektakuläre Morde in Duisburg. Dort gipfelte vor einem italienischen Restaurant im Jahr 2007 eine Fehde verfeindeter Familien in einem Blutbad. Die Tat schockierte die Öffentlichkeit, weil italienische Mafiaorganisationen in Deutschland – anders als in Italien – öffentliche Gewalt lange vermieden hatten, um ihre hiesigen Aktivitäten zu schützen.
Bis dahin galt Deutschland weithin lediglich als Rückzugsort für in Italien unter Druck geratene Mitglieder. Tatsächlich bauten 'Ndrangheta-Zellen Experten zufolge allerdings seit spätestens Anfang der Neunzigerjahre Standorte in Deutschland auf.
Besonders aktiv sind die Mitglieder unter anderem im Rheinland, in Thüringen und im südlichen Baden-Württemberg, wo sie beispielsweise mit Drogenschmuggel, Immobiliengeschäften und Betrugsdelikten auffällig wurden.
Wo führte die Polizei hierzulande nun Razzien durch?
Schwerpunkte des Einsatzes in Deutschland waren nach Angaben des BKA Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit jeweils rund 500 Beamtinnen und Beamten. In Nordrhein-Westfalen wurden 51 Häuser, Wohnungen, Büros und Geschäftsobjekte durchsucht. Zudem vollstreckten die Beamten 15 Haftbefehle.
An den Razzien waren auch die Einsatzhundertschaft und das Spezialeinsatzkommando (SEK) beteiligt. In der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt wurden vier Objekte durchsucht und ein EU-Haftbefehl vollstreckt.
In Rheinland-Pfalz gab es laut Staatsanwaltschaft 50 Durchsuchungsbeschlüsse und 10 Haftbefehle. Unterstützt wurden die Einsatzkräfte dort von Spezialeinheiten des Bundes und anderer Länder sowie des Zolls und der Steuerfahndung.
In Bayern laufen den Angaben zufolge Ermittlungen gegen acht Personen. Seit dem Morgen durchsuchten mehr als 130 Einsatzkräfte 10 Objekte, gegen 4 Personen wurden EU-Haftbefehle vollstreckt.
Im Saarland durchsuchten die Einsatzkräfte in der Landeshauptstadt Saarbrücken ein Wohnhaus und Geschäftsräume eines 47-jährigen Mannes, außerdem eine Räumlichkeit, die er in Saarlouis angemietet hatte. Der mit Haftbefehl gesuchte Mann wurde in Italien festgenommen. Ein weiterer mit Haftbefehl gesuchter 25-Jähriger aus dem Saarland wurde ebenfalls in Italien festgenommen. An den Maßnahmen waren den Angaben zufolge rund 90 Einsatzkräfte beteiligt, darunter Spezialeinheiten und die Bereitschaftspolizei.
Wo ist 'Ndrangheta außerdem aktiv?
Abseits von Italien und Deutschland ist die Gruppierung hauptsächlich in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Kanada, den USA sowie Kolumbien und Australien aktiv. Wie das BKA erklärt, wird das Verfahren durch eine gemeinsame Ermittlungsgruppe geführt, an der Europol und Eurojust, die Agentur der EU für Zusammenarbeit in Strafsachen, beteiligt seien.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- correctiv.org: "Die Mafia, kurz erklärt: #2 — Die ‚Ndrangheta"
- faz.net: "'Das ist ein gewaltiges Sicherheitsrisiko'"