Verschwendung von Ressourcen Der ausgelaugte Planet
Strapazierte Äcker, abgeholzte Wälder, überfischte Meere: Die Menschheit verbraucht laut einer WWF-Studie 50 Prozent mehr Ressourcen, als die Erde langfristig bieten kann. Auch Deutschland bekommt die Verschwendung nicht in den Griff.
Zwei Faktoren dürften über die Zukunft der Menschheit entscheiden. Nummer eins: Die Weltbevölkerung wächst; laut der jüngsten Schätzung der Vereinten Nationen könnte sie im Jahr 2100 bei 13 Milliarden liegen. Nummer zwei: Der Ressourcenverbrauch der Menschheit steigt fast exakt genauso schnell.
Sollten sich diese beiden Faktoren nicht voneinander abkoppeln lassen, hat die Menschheit ein Problem. Denn sie verbraucht schon jetzt eineinhalbmal so viel, wie die Erde langfristig bieten kann. Sollten die gegenwärtigen Trends anhalten, wären bereits im Jahr 2030 zwei Erden notwendig, um den Ressourcenhunger von Homo sapiens zu decken, heißt es im neuen "Living Planet Report" der Umweltorganisation WWF.
Der 180 Seiten starke Bericht, den der WWF am Dienstag veröffentlicht hat, bietet eine alarmierende Lektüre. Schon der gegenwärtige Stand der Dinge ist erschreckend genug:
- Seit etwa 1970 verbraucht die Menschheit mehr Ressourcen, als die Erde im gleichen Zeitraum erneuern kann. Seitdem wird die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage immer größer.
- Die Artenvielfalt geht derweil rapide zurück: Zwischen 1970 und 2010 hat sich die Größe von mehr als 10.000 untersuchten Wirbeltier-Populationen im Durchschnitt halbiert.
- Der Säuregehalt der Ozeane steigt und gefährdet damit Schalentiere, die die Grundlage der Nahrungspyramide in den Meeren bilden.
- Die Menge des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre eilt von Rekord zu Rekord. Wissenschaftler warnen vor einer gefährlichen Erwärmung, die die Ressourcenprobleme verschärfen könnte.
Noch beunruhigender ist, dass der WWF-Report keinerlei Anzeichen einer Trendwende erkennen lässt. Dabei wäre die Entkopplung von Bevölkerungswachstum und Ressourcenverbrauch die entscheidende Voraussetzung dafür, die Menschheit wieder in den Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens zu führen.
Doch in Entwicklungsländern steigt der Ressourcenhunger schon durch das rasante Bevölkerungswachstum, und in großen Schwellenländern wie Indien, Brasilien oder China kommt der kaum weniger schnell steigende Lebensstandard hinzu: Künftig wollen auch dort viele Millionen Menschen Auto fahren, Fleisch essen und Luxusgüter kaufen.
Selbst in hochentwickelten Industriestaaten wie Deutschland gibt es nach Angaben des WWF keine Anzeichen einer Trendwende: In den vergangenen 20 Jahren hat sich kaum etwas verändert - allem Klimaschutz, aller Mülltrennung und Energiesparlampen zum Trotz. Derzeit verbraucht Deutschland die Ressourcen von umgerechnet 2,6 Erden - etwa genau so viel wie Ende der Sechzigerjahre.
Eine Zahl für ein komplexes Problem
Die Maßeinheit für den Ressourcenbedarf ist der sogenannte ökologische Fußabdruck. Er umfasst alle Flächen, die für den menschlichen Verbrauch benötigt werden - etwa Fischgründe, Wälder, Acker- und Weideland oder bebaute Flächen. Auch der Kohlendioxidausstoß ist mit eingerechnet, als die Waldfläche, die nötig wäre, um das nicht von den Ozeanen absorbierte CO2 wieder aufzunehmen. Dem ökologischen Fußabdruck gegenüber steht die Biokapazität der Erde. Sie gibt an, wie viel der Planet langfristig bereitstellen kann.
"Die großen Probleme bei der Berechnung bestehen darin, diese vielfältigen Probleme auf eine Zahl zu reduzieren", sagt Helmut Haberl, Ökologie-Professor an der Uni Klagenfurt. Allerdings könne der ökologische Fußabdruck eine solche Zahl durchaus liefern - "und sie ist auch sinnvoll, etwa wenn es darum geht, den Umweltverbrauch verschiedener Volkswirtschaften in einigermaßen vergleichbarer Weise in ihrer Größenordnung darzustellen und zu vergleichen".
Allerdings warnt Haberl vor einer Überinterpretation des ökologischen Fußabdrucks: "Er ist nicht als richtungssichere Maßzahl für Umweltpolitik geeignet, hierzu ist eine wesentlich breitere Informationsbasis nötig."
Jes Weigelt vom Institut for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam sieht einen Schwachpunkt des Reports darin, dass der WWF große Länder oder gar Ländergruppen über einen Kamm schert - obwohl es in großen Staaten wie Brasilien oder China teils extreme Unterschiede beim ökologischen Fußabdruck unterschiedlicher Bevölkerungsschichten gebe, etwa zwischen Stadt- und Landbewohnern.
"Robuste und ernstzunehmende Aussagen"
Insgesamt aber halten sowohl Weigelt als auch Haberl den WWF-Report für stichhaltig. Er enthalte "robuste und ernstzunehmende Aussagen", so Haberl. Eine verzerrende Auswahl von Studien, um eine bestimmte Botschaft zu transportieren, sei nicht erkennbar. Es gebe "eine ganze Reihe an sehr gut dokumentierten Problemen, die deutlich zeigen, dass der Ressourcenverbrauch der Menschheit die ökologischen Grenzen deutlich übersteigt", erklärt Haberl.
Die Frage ist: Was tun, wenn der Ressourcenhunger mit der Bevölkerung immer weiter wächst? Ein Zauberwort ist die "nachhaltige Intensivierung": Die Produktivität der Nutzflächen soll steigen, so dass auch eine größere Bevölkerung in Zukunft ernährt werden kann.
Jes Weigelt glaubt allerdings nicht, dass das funktionieren kann. "Die Produktivität pro Hektar kann kaum noch bedeutend gesteigert werden", meint der Agrarökonom. "Die Ökosysteme sind vielerorts an den Grenzen ihrer Belastbarkeit angekommen." Zwar würde die globale Getreide-Produktion theoretisch ausreichen,Milliarden Menschen mehr zu ernähren, als heute auf der Erde leben. Allerdings landet weniger als die Hälfte des Getreides auf dem Teller. Der größere Teil wird zu Biosprit und Tierfutter verarbeitet oder landet im Müll.
Auch Haberl geht nicht davon aus, dass technologische Neuerungen allein das Ressourcen- und Umweltproblem lösen können. Zwar gebe es viele nützliche und hilfreiche Technologien, etwa Solarenergie, Kohlenstoff-Abscheidung (CCS) oder neue Mobilitätssysteme. Aber der großflächige Einsatz solcher Techniken "kann nicht einfach an die Techniker delegiert werden, ohne den Rest der Gesellschaft und Wirtschaft zu behelligen", so Haberl. "Sie wird die Organisation der Gesellschaft weitreichend verändern - etwa durch andere Siedlungsstrukturen, Mobilitätssysteme, andere Zeitverwendungsmuster, andere Konsummuster."
Davor müsse man sich zumindest in den Industriestaaten nicht unbedingt fürchten. "Viele Aspekte des derzeitigen Lebensstils sind ja letztlich gar nicht so erstrebenswert", meint Haberl. "Die Steigerung des Konsums materieller Güter würde für viele Menschen nicht die umfassend verstandene Lebensqualität erhöhen."