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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dritte Corona-Impfung Booster-Vorbild Israel? Es gibt entscheidende Unterschiede

In keinem Land wurden bisher mehr Drittimpfungen verabreicht als in Israel. Die vierte Infektionswelle ist dort bereits gebrochen. Ist das Modell ein Vorbild für Deutschland?
Naftali Bennett hatte eine einfache Botschaft: "Wenn man sich ein drittes Mal impfen lässt, werden wir in der Lage sein, einen vierten Lockdown zu verhindern", sagte der israelische Ministerpräsident im August. Die dritte Impfung des 49-Jährigen wurde anschließend in sozialen Netzwerken live übertragen. Das Land hatte zuvor die Auffrischungsimpfung für alle über 40-Jährigen erlaubt. Mittlerweile sind dort Booster-Impfungen für jeden ab zwölf Jahren möglich, vorausgesetzt, die letzte Impfung liegt mindestens fünf Monate zurück.
Von einem neuen Lockdown ist in Israel keine Rede mehr: Während in anderen Ländern wie in Deutschland die Zahlen in der vierten Welle weiter steigen, hat Israel diese bereits gebrochen. Lag Mitte September in dem Land die Sieben-Tage-Inzidenz noch bei mehr als 800, ist sie Anfang November auf weniger als 50 gesunken. Gleichzeitig ist das Land bei den Drittimpfungen weltweit führend: Rund 45 Prozent der Einwohner haben dort bereits die dritte Spritze gegen das Coronavirus erhalten, in Deutschland sind es nur 2,4 Prozent. Sollten wir uns also an dem Land ein Beispiel nehmen?
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Vielversprechende Studien
Grundsätzlich gibt es wenig Zweifel an der steigenden Schutzwirkung durch eine dritte Impfung: Das legt etwa eine Studie der Technischen Universität in Haifa nahe. Dort stellten Forscher fest, dass zweifach geimpfte Menschen über 60 Jahren eine deutlich höhere Ansteckungsgefahr als dreifach geimpfte in dieser Altersgruppe haben. Laut Daten des Gesundheitsministeriums soll das Infektionsrisiko elfmal geringer sein.
Eine weitere Studie kam Ende Oktober zu dem Schluss, dass eine Booster-Impfung auch deutlich besser vor schweren Krankheitsverläufen schütze. "Man sieht am Beispiel Israels, dass das Boostern einen echten Unterschied macht", betonte am heutigen Dienstag auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz. Der Minister befinde sich in intensivem Austausch mit Experten aus dem Land. Die Wirkung der Drittimpfungen verdeutlichte er mit einer Grafik, die den fallenden R-Wert in Israel zeigten.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Konzept auch in Deutschland kommen wird", sagt der Virologe Martin Stürmer t-online. Die Frage sei allerdings, wann. Denn die aktuelle Situation in Israel sei aus mehreren Gründen mit der in Deutschland nicht vergleichbar.
Deutlich schnellere Impfkampagne
Stürmer gibt zu bedenken, dass Israel auch bei den Erst- und Zweitimpfungen weltweit lange die führende Nation war. Dementsprechend liegt dort bei vielen Menschen die letzte Impfung bereits mehr als sechs Monate zurück, wodurch der Schutz durch die Vakzine geringer geworden ist. In Deutschland hat die Impfkampagne dagegen erst im Sommer merklich an Fahrt aufgenommen. Insofern seien viele Menschen hier auch für die kommenden Monate noch besser geschützt.
Dass die Zahl an Drittimpfungen in Israel so hoch ist, liegt auch an den speziellen Corona-Maßnahmen. Der Gang in das Restaurant oder zum Konzert ist dort an den sogenannten Grünen Pass geknüpft. Sechs Monate nach der Zweitimpfung verfällt er und lässt sich nur per Test oder Booster-Impfung verlängern.
Auch dürften weitere Maßnahmen dafür gesorgt haben, dass die Infektionszahlen gesunken sind: Nachdem das Land im Juli kurzzeitig die Maskenpflicht aussetzte, ist sie nahezu in allen Innenräumen wieder Pflicht. Ausnahmen gelten nur in wenigen Situationen, etwa zu Hause oder beim Sport.
Konzentration auf Risikogruppen
Was kann Deutschland also aus der Situation in Israel lernen? Auch wenn es für flächendeckende Booster wohl noch zu früh ist, rät Martin Stürmer dazu, deutlich stärker für Drittimpfungen in gewissen Gruppen zu werben: "Wenn wir jetzt ein Chaos vermeiden wollen, müssen wir uns auf die Risikogruppen konzentrieren."
Ähnlich sieht es auch die Ständige Impfkommission (Stiko): Sie empfiehlt den dritten Piks mindestens sechs Monate nach der Zweitimpfung für Menschen ab 70, Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Bewohner von Pflegeheimen, Pflegepersonal und medizinisches Personal mit direktem Patientenkontakt.
Booster-Impfungen für alle wie in Israel hält Stürmer erst zu Ende des Winters für denkbar. Da das Infektionsrisiko allerdings mit Beginn des Frühlings wohl wieder zurückgehen werde, könnte die dritte Impfung aber auch erst im kommenden Herbst wieder ein Thema sein.
- Eigene Recherchen
- Nachrichtenagentur Reuters und dpa
- Interview mit Martin Stürmer am 2.11.2021
- Ministry of Health: "Wearing a mask in public settings" (englisch)
- The New England Journal of Medicine: "Protection of BNT162b2 Vaccine Booster against Covid-19 in Israel" (englisch)
- The Lancet: "Effectiveness of a third dose of the BNT162b2 mRNA COVID-19 vaccine for preventing severe outcomes in Israel: an observational study" (englisch)
- Ourworldindata: "Coronavirus Vaccinations" (englisch)