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Darum ist die Corona-Lage in Osteuropa außer Kontrolle


"Eigentümliche Explosion"
Darum ist Corona in Osteuropa außer Kontrolle


21.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Intensivpflege auf einer Moskauer Corona-Station: In Russland starben zuletzt etwa 1.000 Menschen täglich mit dem Virus.Vergrößern des Bildes
Intensivpflege auf einer Moskauer Corona-Station: In Russland starben zuletzt etwa 1.000 Menschen täglich mit dem Virus. (Quelle: Maxim Shemetov/reuters)

Krankenhäuser vor dem Kollaps, neue Lockdowns und hohe Opferzahlen: In Osteuropa ist ein Ende der Pandemie nicht in Sicht. Die mangelnde Impfbereitschaft ist nur ein Problem.

Während die Pandemie in Deutschland in den Hintergrund tritt und die Politik das Auslaufen des Corona-Ausnahmezustands diskutiert, erleben osteuropäische Länder gerade eine dramatische Trendwende. Von Lettland, bis Russland gerät die Lage zunehmend außer Kontrolle.

So hatte Rumänien am Mittwoch die höchste Corona-Sterberate zu verzeichnen – weltweit. In dem Land allein sind in 24 Stunden mehr Menschen an oder mit Corona gestorben als in der gesamten EU im selben Zeitraum: 574. "Apokalyptisch", so beschreibt die Bukarester Ärztin Victoria Arama die Situation in den rumänischen Krankenhäusern. Covid-Patienten würden sich auf den Klinik-Korridoren gegenseitig wegschubsen, um an Sauerstoffgeräte zu kommen.

Lettland und Moskau gehen zurück in den Lockdown

In der Ukraine wurde am Dienstag mit 538 Corona-Toten die höchste Zahl seit Beginn der Pandemie registriert. Auch Russland meldet Höchststände: zuletzt mehr als tausend Tote pro Tag. In Polen verdoppelte sich die Zahl der Neuinfektionen von Woche zu Woche, so der Gesundheitsminister des Landes: "Wenn diese Situation anhält, durchbricht sie alle Prognosen, die uns bislang vorliegen." Er spricht von einer "eigentümlichen Explosion" der Pandemie in seinem Land.

Lettland reagiert bereits und geht erneut in den Lockdown, genauso wie die russische Hauptstadt Moskau. Geschäfte, Bars und Restaurants müssen wieder schließen, in der Hoffnung, das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bekommen. Für ganz Russland hat Staatschef Wladimir Putin einwöchige Ferien ausgerufen, die Ukraine verhängt neue Restriktionen in einigen Regionen.

Was ist da los?

Diese Länder lassen sich nicht einfach über einen Kamm scheren, zu unterschiedlich sind die Bedingungen. Die politische Kultur, die Kommunikation der jeweiligen Regierungen, die sozialen Voraussetzungen des Zusammenlebens, das Vertrauen der Menschen in die Institutionen.

Doch ein Muster sticht ins Auge:

Die geringe Impfquote

In Lettland sind nur etwas mehr als die Hälfte der 1,9 Millionen Einwohner vollständig gegen Corona geimpft. In Rumänien haben nur 34,8 Prozent den vollen Impfschutz. In Russland sind 35 Prozent der Menschen vollständig gegen das Virus geimpft, Bulgarien ist mit 20 Prozent Schlusslicht innerhalb der EU, in der Ukraine sind bislang sogar nur 19 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft.

Warum ist die Impfquote so niedrig?

Die geringen Impfquote haben unterschiedliche Gründe. Zunächst ist da die Verfügbarkeit des Impfstoffes: Auch nach dem Anlaufen der Produktion ist die Verfügbarkeit weltweit sehr unterschiedlich. Das ist auch im Fall der osteuropäischen Länder so: Während Russland selbst den eigenen Impfstoff Sputnik V herstellte, hatten andere Länder mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. Etwa in der Ukraine: Nach anfänglichen Lieferverzögerungen sind dort mittlerweile die Impfstoffe von Astrazeneca, Biontech/Pfizer und Moderna verfügbar.

Gleichzeitig stimmt in vielen Fällen auch: Die Nachfrage nach den Impfstoffen ist nicht so hoch wie erwartet. Bulgarien und Rumänien etwa haben einen Teil ihrer Impfstoffe gespendet oder weiterverkauft, um sie vor dem Verfall zu retten.

Ein wichtiger Faktor scheint also zu sein:

Die mangelnde Impfbereitschaft in der Bevölkerung

In einer Corona-Umfrage in 28 Ländern wurden über 50-Jährige auch zu ihrer Impfbereitschaft befragt. In Rumänien gaben 54 Prozent derjenigen, die noch nicht geimpft sind, an, dies auch weiterhin nicht tun zu wollen. In Bulgarien waren es 45 Prozent. Auch in Lettland sei die Quote der Impfverweigerer recht hoch, schreiben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts. Dort wollen sich 46 Prozent derjenigen, die über 50 Jahre alt und noch ungeimpft sind, auch weiterhin nicht impfen lassen.

In Russland gibt mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung in Umfragen an, sich nicht impfen lassen zu wollen. Selbst Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Mittwoch, er habe sich die Spritze bisher nicht geben lassen, weil er bereits "viele Antikörper" habe.

Wie ist das zu erklären?

Ein Faktor sei die Lebensweise, erklärt Félix Krawatzek vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien. In Russland hätten Menschen außerhalb der großen Städte oft das Gefühl: "Ich habe doch gar kein Risiko." Gleichzeitig seien die Bedingungen dort ideal für die Verbreitung des Virus, weil Gemeinschaft und Geselligkeit großgeschrieben werde.

Die Probleme in Russland seien aber auch "ein Stück weit hausgemacht", sagt Krawatzek. Neben dem mangelnden Vertrauen in die politischen Institutionen, sei es vor allem die schlechte Kommunikation, die die geringe Impfquote erklären könne. "In Russland hat man sehr schlecht kommuniziert, dass die Impfung notwendig ist", so der Experte.

Gleichzeitig sei durch einen doppelten Standard Unsicherheit in der Gesellschaft geschürt worden: Westliche Impfstoffe würden diskreditiert, Sputnik V dagegen als Super-Impfstoff angepriesen. "Das führt zu einer Spannung, in der das ganze Projekt der Impfung unglaubwürdig erscheint", so Krawatzek.

Das wirkt sich bis in die russischsprachigen Gemeinden in anderen Ländern aus. Elisabeth Bauer leitet das Auslandsbüro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung für die baltischen Staaten, und sagt: "Wir haben in Lettland das Problem, dass die russischsprachige Minderheit sich in einer Parallelwelt befindet, was Informationen anbelangt" – ein wichtiger Faktor für die geringe Impfquote im Land, so Bauer.

Für sie ist der Hauptfaktor für die ansteigenden Infektionszahlen in Lettland aber ein anderer: "Bis zum Sommer hatten wir eigentlich eine gute Impfquote in Lettland", sagt Bauer. Dann habe ein sehr guter Sommer die Impfungen ausgebremst – jetzt verlagere sich das Leben nach drinnen, und die Infektionszahlen steigen.

Ein weiteres Problem in Lettland: Gerade in der älteren Bevölkerung, die vom Virus besonders bedroht ist, sei die Impfbereitschaft gering. Die Angst vor Nebenwirkungen sei sehr ausgeprägt, erklärt die Expertin.

Im Fall von Rumänien werden Verschwörungstheoretiker in Medien und dem Showbusiness für die geringe Impfquote verantwortlich gemacht. Außerdem gelten in dem Land gerade Priester der Rumänisch-Orthodoxen Kirche als Vertrauenspersonen – von diesen träten nur wenige als engagierte Fürsprecher der Corona-Impfung hervor.

Auch die politische Klasse hält sich nicht immer an die Regeln. Jüngst hielt die Regierungspartei PNL in Anwesenheit von Staatschef Iohannis einen Parteitag mit 5.000 Delegierten ab. Die Polizei verhängte nachher ein Bußgeld wegen Verletzung der Abstandsregeln und Maskenpflicht.

Was also dagegen tun?

Aufgrund der desaströsen Lage in Rumänien hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht nur Hilfen für die Ausstattung der Krankenhäuser versprochen, sondern will dem Land auch helfen, die Impfbereitschaft vor Ort zu fördern.

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In der Ukraine scheint die dramatische Verschlechterung der Lage bereits Wirkung zu zeigen: Wegen steigender Infektions- und Opferzahlen ist die Nachfrage nach Corona-Impfungen deutlich gestiegen. Wie die Behörden am Mittwoch mitteilten, wurden binnen 24 Stunden 226.587 Menschen gegen das Virus immunisiert – so viele wie noch nie seit Beginn der Impfkampagne in der Ukraine im Februar. In Online-Netzwerken verbreitete Bilder zeigten lange Warteschlangen vor den Impfzentren des Landes.

Auch in Lettland sei in den letzten Tagen bereits ein deutlicher Anstieg der Impfquoten zu verzeichnen, so die Landeskennerin Elisabeth Bauer. Ältere Menschen, die sich impfen lassen, sollen nun zusätzliche Hilfen für die gestiegenen Energiekosten hinzubekommen. Auch seien die Familienärzte aufgefordert, insbesondere ältere Patienten zu kontaktieren und in Beratungsgesprächen von einer Impfung zu überzeugen.

Zusätzlich fahren in einigen Gegenden Lettlands nun Impfbusse, die dazu beitragen sollen, die Hürden für die Impfung so niedrig wie möglich zu halten. "Ich gehe davon aus, dass bis zum 15. November sehr viel mehr Menschen in Lettland geimpft sind", sagt Bauer. Das sei auch die Idee hinter dem Lockdown, bis Mitte November deutlich mehr Menschen zu impfen: Zu diesem Datum soll der Lockdown wieder enden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Elisabeth Bauer von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Auslandsbüro für die baltischen Staaten
  • Interview mit Félix Krawatzek vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien
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