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Boris Herrmann: Unseren Umgang mit dem Meer werden wir bald bitter bereuen


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Extremsegler Herrmann berichtet
Unseren Umgang mit dem Meer werden wir bald bitter bereuen

MeinungGastbeitrag von Boris Herrmann mit Andreas Wolfers

Aktualisiert am 20.09.2021Lesedauer: 7 Min.
Boris Herrmann: Als erster Deutscher hat der Segler die anspruchsvolle Segelregatta Vendée Globe beendet.Vergrößern des Bildes
Boris Herrmann: Als erster Deutscher hat der Segler die anspruchsvolle Segelregatta Vendée Globe beendet. (Quelle: Boris Herrmann)
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Allein raste Boris Herrmann in 80 Tagen um den Globus, die Vendée Globe vergibt keine Fehler. Nun berichtet der Sportler in einem neuen Buch über die härteste Regatta der Welt. Und warum das Meer Hilfe braucht.

Das Ziel war zum Greifen nah, dann geschah das Unglück: Boris Herrmann rammte im vergangenen Januar mit seiner Yacht "Seaexplorer" einen Trawler. Aus der Traum vom möglichen Sieg bei der Vendée Globe 2020/21, einer Regatta, die die Teilnehmer einmal um die Erde schickt.

Jeder allein an Bord seiner Yacht, auf sich gestellt. In einem neuen Buch schildert der Segelsportler Herrmann nun den Kampf gegen Wind und Wetter, Einsamkeit und Anstrengung. Nicht zuletzt plädiert er für den Schutz des einzigartigen Lebensraums Meer. Ein Auszug.

Boris Herrmann, Jahrgang 1981, ist Segelsportler und als erster Deutscher bei der Vendée Globe gestartet. Die Regatta gilt als die härteste der Welt. Bekannt wurde Herrmann bereits zuvor, als er die Klimaaktivistin Greta Thunberg 2019 mit seiner Jacht über den Atlantik nach New York gebracht hatte. Hermann engagiert sich seit langer Zeit für den Schutz von Umwelt und Klima. Seine Erlebnisse bei der Vendée Globe schildert er in seinem gerade erschienenen Buch (mit Andreas Wolfers) "Allein zwischen Himmel und Meer. Meine 80 Tage beim härtesten Segelrennen der Welt".

Die meiste Zeit des Rennens sind wir vom Festland weiter entfernt als die Astronauten der ISS von der Erde. Der Vergleich wird oft genutzt, er hört sich nach einer unermesslich großen Distanz an, eben weil die ISS uns so weit weg erscheint. Tatsächlich schwebt sie nur 400 Kilometer entfernt, das entspricht der Breite der Biskaya, in der wir im Sommer trainieren. Während des Rennens trennt uns meist die doppelte oder dreifache ISS-Distanz vom Festland.

Am 29. Dezember, in der Mitte des Südpazifiks, bin ich von so viel Ozean umgeben wie zu keinem anderen Zeitpunkt des Rennens. An diesem Tag passiere ich in knapp 300 Seemeilen Entfernung Point Nemo, den "Pol der Unzugänglichkeit", den entlegensten Ort auf Erden. 1992 hatte sich ein kanadisch-kroatischer Vermessungsingenieur an den Computer gesetzt, um mithilfe einer speziellen Software den Punkt im Meer zu finden, der am weitesten von jeglichem Land entfernt liegt. Er berücksichtigte für seine Suche nicht nur Kontinente und Inseln, sondern sogar unbewohnte Felsspitzen.

Nichts als Wasser sollte den Ort umgeben, eine schier endlose Wasserwüste. Der Ingenieur fand den virtuellen Punkt im Stillen Ozean. In der Mitte zwischen Neuseeland und Chile, in den Roaring Forties: auf 48 Grad 52 Minuten Süd/123 Grad, 23 Minuten West. Das Zentrum der Einsamkeit erhielt später den Namen Point Nemo, nach Kapitän Nemo, dem Helden in Jules Vernes Roman 20.000 Meilen unter dem Meer.

Die nächsten Landsplitter sind drei Inseln. Jede liegt genau 2.700 Kilometer entfernt: im Norden das polynesische Ducie-Atoll, im Nordosten die chilenische Osterinsel und im Süden, vor der Küste der Antarktis, die kleine Maher-Insel. Fast die siebenfache ISS-Distanz trennt alle drei Eilande von Point Nemo. Nur auf der Osterinsel leben Menschen. Die riesige Leere hat die Region zu einem beliebten Friedhof für Weltraumschrott gemacht. Europäer, Japaner und Russen ließen hier mehr als hundert unbrauchbare Satelliten und Raumfahrzeuge ins Meer stürzen.

Auch unter Wasser ist kaum Leben anzutreffen. Eine riesige, kreisförmige
Ozeanströmung, der Südpazifik-Wirbel, rotiert nördlich von Point Nemo und verhindert, dass nährstoffreiche Wassermassen von außen eindringen. Und der Wind, der Staub und Nährstoffe vom Land aufs Meer transportiert, hat sich längst leer geweht, wenn er im Zentrum des Südpazifik-Wirbels ankommt. Das Ergebnis ist eine, wie Wissenschaftler sagen, "extrem niedrige Primärproduktivität".

Anders ausgedrückt: Es gibt hier nichts zu fressen. Keine Mikroorganismen, kein Plankton, keine Algen, keine kleinen und großen Tiere, auch all die dazugehörenden Sedimente und Partikel fehlen – und so ist das Wasser nördlich von Point Nemo so klar und durchscheinend blau wie nirgendwo sonst in den Ozeanen.

Das Meer als Arbeitsplatz

Keine Schifffahrtsroute führt durch das Meer der Leere. Die einzigen Lebewesen, die bisweilen hier vorbeikommen, sind Touren- und Regattasegler. Und alle vier Jahre die Teilnehmer der Vendée Globe. Diese Tatsache macht die Vendée-Segler interessant für Ozeanografen und Klimaforscher. Zumal unsere Route uns ja nicht nur an Point Nemo vorbeiführt, sondern durch das gesamte Südpolarmeer, die einsamste und unerforschteste Region der Weltmeere. Um das zu ändern, brauchen Wissenschaftler aktuelle Daten von dort, und da kommen wir in ihr Blickfeld.

Seit zwanzig Jahren segele ich Hochseeregatten, seit gut zehn Jahren verbringe ich ein Drittel des Jahres irgendwo auf den Ozeanen. Das Meer ist mein Arbeitsplatz. Und ich merke, wie sich mein Arbeitsplatz verändert. Es gibt deutlich sichtbare Veränderungen, etwa die polare Eisschmelze. Als ich 2015 mit der Crew eines Trimarans die Nordostpassage durchfuhr, also von Norwegen an der russischen Nordküste entlang nach Alaska, stellten wir einen neuen Weltrekord für die Strecke unter Segeln auf – was uns auch deshalb gelang, weil so wenig Eis wie nie zuvor die Passage blockierte.

Keine Region weltweit ist so stark vom Klimawandel betroffen wie die Arktis, in den letzten zwanzig Jahren ist dort die Temperatur um drei Grad gestiegen. Vom Schelfeis der Antarktis wiederum brechen gigantische Flächen ab, zuletzt eine Eisinsel größer als Rügen. Im Atlantik dehnen sich die Seegrasfelder aus; vor sechs Wochen haben wir nahe dem Äquator Stunden gebraucht, um einen besonders großen Teppich zu durchqueren. Auch die Tierwelt scheint sich bereits verändert zu haben. Ich habe den Eindruck, dass weniger Delfine unsere Schiffe begleiten, auch Wale sehe ich seltener auftauchen als bei früheren Atlantikquerungen.

Die größte und folgenreichste Bedrohung der Meere aber ist nicht sichtbar: die Erwärmung des Wassers. Und seine Versauerung durch Kohlenstoffdioxid, das sich in immer größeren Mengen im Oberflächenwasser löst. Zu was das führt, war schon bekannt, als ich 2001 das erste Mal über den Atlantik segelte: Der Meeresspiegel steigt, Artenvorkommen verschieben sich, Korallen sterben, Sturmfluten nehmen zu, Polkappen schmelzen ab, Meeresströme ändern ihren Lauf.

Anfällige Klimaanlage

Doch welche Bedeutung der Ozean vor allem als Klimaanlage der Erde hat, ist mir erst im Laufe der Jahre immer deutlicher geworden, im Kontakt mit Wissenschaftlern. Die Meere, die 70 Prozent des Erdballs bedecken, mildern die Folgen des Klimawandels ab. So komplex der Vorgang auch ist, es reicht aus, zwei Eckdaten zu kennen: Die Ozeane nehmen 90 Prozent der Wärmeenergie auf, die der Treibhauseffekt in der Atmosphäre erzeugt. Und sie nehmen ein Viertel des menschengemachten CO2s auf.

Ohne die Weltmeere gäbe es kein Leben auf der Erde. Einst ließ ihr Wasser die ersten organischen Zellen entstehen, heute schützt es unseren Planeten vor der Überhitzung. Doch die globale Klimaanlage ist mittlerweile überlastet, warnen Wissenschaftler. Die Pufferfunktion der Meere schwächt sich ab, die Folgen verändern die Ökosysteme weltweit, in der Tiefsee ebenso wie im Inneren der Kontinente.

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Seit Jahren treibt mich die Frage um, was sich dagegen tun lässt. Das Meer ist ja ein besonderer Ort für mich, seit jeher: In der Kindheit, zwischen Prielen und Sandbänken, war es mein Spielplatz, dann wurde es mein Sportplatz, schließlich mein Arbeitsplatz. Wenn ich mich jetzt für seinen Schutz einsetze, dann tue ich das aus einer Art staatsbürgerlicher Verantwortung – vor allem aber, weil ich mich dem Meer emotional verbunden fühle.

Ich verehre es nicht, ich verkläre es nicht, es ist mir einfach nur sehr vertraut. Ich bin gern auf hoher See. Und ich habe großen Respekt vor diesem System, in dem alles ineinandergreift, vom Plankton bis zu Buckelwalen, vom Golfstrom bis zum Südpazifik-Wirbel. Natürlich muss man nicht erst über die Ozeane segeln, um sich für sie einzusetzen. Es reicht, aufmerksam lesen und sich informieren zu können, um zu erkennen: Meeresschutz braucht Klimaschutz.

Greta nach New York

Vielleicht liegt es an meiner Leidenschaft für Technologie, dass ich noch einen zweiten Satz verinnerlicht habe: Man kann nur schützen, was man messen kann. Um die Meeresforschung dabei zu unterstützen, habe ich, wie andere Langstreckensegler auch, vor einigen Jahren begonnen, auf hoher See Messbojen auszusetzen. 2018 bauten wir auf der "Seaexplorer" ein kleines Bordlabor ein, das seither bei den Rennen unablässig Wasserproben analysiert.

Als 2019 Greta Thunberg und ihr Vater entschieden, sich von uns emissionsfrei zur UN-Klimakonferenz bringen zu lassen, machte mich die Überfahrt erstmals über Seglerkreise hinaus bekannt – was unserem Anliegen sehr geholfen hat. Seit Jahren nutzen wir die Bühnen des Sports, um auf die Bedeutung der Weltmeere fürs Klima aufmerksam zu machen: bei Interviews und öffentlichen Auftritten, auf Konferenzen, in Gesprächen mit den Partnern unserer Kampagne.

Auch im Vorstand der Klassenvereinigung versuchen wir das Thema voranzutreiben. Anfang 2020 unterzeichnete der Dachverband der Imoca-Rennyachten einen Vertrag mit der UNESCO: für gemeinsame Projekte zur Erforschung der Meere. "Unsere Segler sind in den entlegensten Regionen der Erde unterwegs – und erleben, wie sich auch dort die Umwelt verändert. Wir wollen daher dazu beitragen, die Ozeane besser zu verstehen und zu schützen", erklärte der Präsident des Weltverbands.

Beim Start der aktuellen Vendée Globe hatten neun Segler Messbojen an Bord, die sie inzwischen an verschiedenen Orten im Meer ausgesetzt haben. Auf zwei Yachten sind Bordlabore installiert, die entlang unserer gesamten Route Wasserproben analysieren, eines davon misst auch die Konzentration von Mikroplastik. Die Ozeanografen und Meteorologen brauchen vor allem eines: aktuelle Daten vom Ort des Geschehens. Sie brauchen sie, um lokale Ökosysteme zu analysieren und um zu erkunden, was mit den globalen Meeresströmen passiert.

Und sie brauchen sie zur Berechnung langfristiger Klimamodelle. Die entscheidenden Daten lassen sich dabei nicht aus der Ferne gewinnen, etwa mithilfe von Satelliten. Sie müssen in situ erhoben werden, unmittelbar vor Ort. Zu was das geführt hat, ist selbst vielen Hochseeseglern wenig bekannt: Die Weltmeere sind gespickt mit derzeit fast 10.000 Messinstrumenten.

Frei umhertreibende Bojen gehören dazu und solche, die mitten im Ozean an kilometerlangen Leinen verankert sind. Autonom umhertreibende Sensor-Baken sammeln Daten, ferngesteuerte Miniroboter sind im Einsatz, Schiffe mit Messgeräten – und sogar Meeressäuger wie Seeelefanten, an deren Körper winzige Sensoren befestigt worden sind.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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