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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unwetter in Deutschland "Unsere Sommer werden extremer"
Ist die aktuelle Unwetterwelle nur Zufall oder ein Vorbote der Folgen des Klimawandels? Meteorologe Mojib Latif hat dazu eine klare Meinung. Es müsse jetzt ein Umdenken erfolgen.
Völlige Entwarnung kann der Deutsche Wetterdienst (DWD) noch nicht geben. Die Unwettergefahr lasse zwar im Vergleich zu den vergangenen Tagen deutlich nach. Für Teile des Nordostens und erneut für den Südwesten sprach der DWD allerdings für Dienstag Unwetterwarnungen aus. Dort hatten bereits in den vergangenen Tagen Gewitter und Hagel für schwere Schäden gesorgt. Mehr dazu lesen Sie hier.
Sind solche Unwetter nur eine Momentaufnahme oder werden sie künftig wegen der Klimakrise häufiger auftreten? Mojib Latif, Meteorologe vom Helmholtz-Institut für Ozeanforschung in Kiel, sieht eine klare Tendenz. Im Interview mit t-online erklärt er darüber hinaus, welche Regionen sich künftig auf spezielle Wetterlagen vorbereiten sollten, warum deutsche Städte nicht auf Hitzewellen eingestellt sind und wie der deutsche Sommer in den kommenden Jahren ausfallen könnte.
t-online: Wir sehen gerade nahezu täglich, wie schwere Unwetter in Deutschland und anderen Ländern in Zentraleuropa wüten. Hat das eine neue Qualität oder sehen wir vielleicht durch die sozialen Medien einfach nur genauer hin?
Mojib Latif: Das ist nicht einfach zu beantworten. Da schwingt wahrscheinlich schon mit, dass der Klimawandel zu mehr Unwettern führt. Nachweisen kann man das aber noch nicht, die Datenlage ist gerade bei den Starkniederschlägen noch unzureichend. Klar ist, dass in einer wärmeren Atmosphäre mehr Energie vorhanden ist. Denn wärmere Luft kann mehr Wasserdampf speichern, in der Wissenschaft spricht man von latenter Energie. Bei entsprechender Wetterlage können dann Unwetter heftiger ausfallen. Deshalb wird es vermutlich auch zu mehr Unwettern kommen, als es bisher der Fall war. Und es steht zu befürchten, dass sich gerade die sehr starken, kurzen Niederschläge noch weiter intensivieren. Auf der anderen Seite nehmen die Hitzewellen und Sommertage eindeutig zu, genauso wie die Sommertrockenheit.
Die Hitzewellen nehmen also nachweisbar zu. Ob es dadurch automatisch zu mehr Unwettern kommt, ist aber noch unklar?
Hitzewellen mit Trockenheit und das Auftreten von mehr Starkniederschlägen sind zwei Seiten derselben Medaille, und die heißt globale Erwärmung. Ich glaube auch, dass solche Wetterlagen länger andauern werden. Schon jetzt kommt dieses Tiefdruckgebiet seit Tagen nicht mehr vom Fleck.
In Baden-Württemberg gab es erst am Montag Hagel und starke Gewitter, durch die es an mehreren Orten zu großen Schäden kam. Dabei wurde häufig vor Superzellen gewarnt. Was genau ist das?
In Gewittern gibt es kleine Bereiche, in denen der Niederschlag besonders stark ist. Solche Gebiete sind aber meistens eng begrenzt. Trotzdem lässt sich auch hier sagen: Wenn es mehr Gewitter gibt, gibt es mehr gefährliche Superzellen.
Vor dem Unwetter gab es die erste Hitzewelle dieses Sommers. Müssen wir uns darauf einstellen, dass sich Hitze und Unwetter künftig häufiger in extremer Ausprägung abwechseln?
Ob es immer bei dieser Reihenfolge bleibt, weiß ich nicht. Im Mittel werden wir aber mehr Hitzewellen und Unwetter haben.
Zuletzt kam es in Tschechien zu einem Tornado mit einer Geschwindigkeit von 400 Stundenkilometern. Dadurch wurden 1.200 Häuser beschädigt oder zerstört. Von solchen Schäden durch Wirbelstürme hörte man in Europa bislang eher selten.
Die Schäden waren außerordentlich. Allerdings sind Tornados auch in Europa keine Seltenheit. Wir denken dann häufig eher an die USA: Dort trifft die warme Luft vom Golf von Mexiko auf arktische Luft aus dem Norden. Generell sind solche Stürme fast immer an Gewitter gekoppelt. Insofern steigt die Tornadogefahr automatisch, wenn es zu mehr Gewittern kommt. In Deutschland gehen wir derzeit von etwa 30 bis 50 Tornados im Jahr aus. Allerdings treffen sie bei uns selten auf bewohntes Gebiet.
Das klingt so, als hätten wir bisher viel Glück gehabt.
Im Prinzip schon. Denn Tornados sind generell eher klein- und kurzlebig. Aber ab und zu trifft es auch uns, wie der Tornado von Pforzheim 1968 gezeigt hat. Der war in etwa genauso stark wie der in Tschechien.
Ist unser Katastrophenschutz auf Extremwetter eigentlich ausreichend eingestellt?
Die Gefahr von Unwettern wird noch immer unterschätzt. Starkniederschlag scheint eine neue Bedrohung zu sein. Das gab es früher so nicht. Die Feuerwehr und das Technische Hilfswerk sind inzwischen schon sehr häufig mit Unwettereinsätzen beschäftigt. Unsere Feuerwehr wird zur Niederschlagswehr. Viele Menschen sagen, man müsse sich an den Klimawandel anpassen. Aber das ist nicht möglich, wenn in kürzester Zeit enorme Regenmassen herunterprasseln. Unsere Städte sind dafür gar nicht gebaut. Und ehrlich gesagt sind wir auch nicht auf Hitzewellen eingestellt.
Woran erkennen Sie das?
Im Moment spricht jeder über Corona. Im Netz findet man deswegen überall Statistiken zu Sterbefallzahlen und Übersterblichkeit. Darin sieht man, wie während der ersten und zweiten Infektionswelle mehr Menschen gestorben sind. Im vergangenen August gab es aber auch einen Anstieg, als die Corona-Zahlen sehr niedrig waren. Das lag an einer Hitzewelle. Gerade in den Städten fehlen uns Grün- und Wasserflächen wie auch Beschattung, die die Temperaturen verringern. Wir müssen in jedem Fall umdenken. Corona hat uns gezeigt, was exponentielles Wachstum heißt. Das gibt es auch bei Wetterphänomenen.
Gibt es spezielle Regionen in Deutschland, in denen es künftig zu mehr Unwettern kommen wird?
Das zeigt sich bereits an den aktuellen Fällen. West- und Süddeutschland werden mit mehr Gewittern und Starkniederschlägen rechnen müssen. Auf Ostdeutschland kommen wohl eher Dürrephasen zu.
Der Sommer wird in den nächsten 10 oder 20 Jahren also unangenehmer?
Unsere Sommer werden extremer. Ein passenderes Wort fällt mir nicht ein.
- Interview mit Mojib Latif am 29. Juni 2021