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Corona: Großbritannien wankt Richtung Lockdown – Kritik an Boris Johnson


Kritik an Boris Johnson
Großbritannien wankt Richtung Lockdown

Von dpa, afp, cwe

Aktualisiert am 20.09.2020Lesedauer: 3 Min.
Boris Johnson in einem Forschungsinstitut: Der britische Premierminister steht wegen seines Umgangs mit der Corona-Pandemie massiv in der Kritik.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson in einem Forschungsinstitut: Der britische Premierminister steht wegen seines Umgangs mit der Corona-Pandemie massiv in der Kritik. (Quelle: Kirsty Wigglesworth/ap)
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Europa kämpft mit drastisch zunehmenden Corona-Zahlen. In Großbritannien ist die Lage besonders prekär. Das Land könnte zu einem weiteren Lockdown gezwungen sein. Premier Boris Johnson steht massiv in der Kritik.

Großbritannien sieht sich mit einer zweiten, dramatischen Corona-Welle konfrontiert. Nach einem Rückgang im Sommer steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen derzeit wieder rapide an. Am Samstag verzeichneten die Behörden 4.422 neue Fälle, die größte Zunahme seit dem 8. Mai. Gesundheitsminister Matt Hancock sagte, dass nicht nur die Infektionen stark zunähmen, sondern auch die Zahl der Covid-19-Patienten in den Kliniken steige.

Hancock ermahnte die Bevölkerung zur Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen. "Die Nation steht vor einem Wendepunkt und wir haben die Wahl", sagte er dem Sender Sky News am Sonntag. "Die Wahl besteht darin, dass sich entweder alle an die Regeln halten ... oder wir müssen weitere Maßnahmen ergreifen". In mehreren Regionen Englands wurden bereits verschärfte Schutzmaßnahmen eingeführt. Möglicherweise steht das ganze Land nun wieder vor einem Lockdown.

Die Opposition und britische Medien werfen Premierminister Boris Johnson ein Chaos bei der Bekämpfung der Pandemie sowie im Umgang mit dem Brexit vor. Die Probleme seien "durch seine Neigung zur Angeberei noch verschärft" worden, schrieb etwa die "Times". Innerhalb Europas ist Großbritannien mit Blick auf die Todesfälle das am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffene Land.


Fast 42.000 Menschen, die positiv auf das Virus getestet worden waren, sind laut dem Gesundheitsministerium gestorben. Nach Angaben der Statistikbehörde ONS starben 57.500 Menschen, auf deren Sterbedokumenten eine Corona-Infektion vermerkt war. Die Statistiken gehen unterschiedlich mit Verdachtsfällen und Zeiträumen um. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Neuer Lockdown im Oktober?

Wegen der sich zuspitzenden Lage könnte Großbritannien nun erneut ein landesweiter Lockdown drohen. Experten haben der Regierung nach Angaben der "Financial Times" die zweiwöchige Maßnahme empfohlen, um die stark steigenden Infektionszahlen in den Griff zu bekommen. Der Lockdown soll nach einer Empfehlung des wissenschaftlichen Beratergremiums der Regierung während der Schulferien im Oktober stattfinden. Nach BBC-Angaben könnten erste Verschärfungen von Maßnahmen, die nur den Landesteil England betreffen, bereits nächste Woche verkündet werden.

Niemand wünsche sich einen Lockdown, aber auch in Großbritannien sei die zweite Ausbruchswelle angekommen, sagte Johnson am Freitag dem Sender Sky News. Wer schärfere Maßnahmen vermeiden wolle, müsse sich an die Regeln halten. Noch vor wenigen Tagen hatte Johnson erklärt, ein zweiter landesweiter Lockdown wäre "desaströs" für die Wirtschaft.

"Wir möchten einen nationalen Lockdown vermeiden, aber wir sind darauf vorbereitet", sagte Hancock in einem BBC-Interview. Es sei das "letzte Mittel der Verteidigung". Man setze zunächst auf lokale Beschränkungen. In vielen Regionen sind die Maßnahmen schon verschärft worden, etwa in Teilen von Schottland, im Süden von Wales und im nördlichen England. Mehr als zehn Millionen Menschen sind davon betroffen.

Drastische Geldstrafen bei Verstößen

Als Reaktion auf viele allzu leichtsinnige Landsleute setzt die britische Regierung zudem auf drastische Geldstrafen bei Verstößen gegen Corona-Regeln. Wer etwa die Isolationspflicht nach einem positiven Corona-Test oder nach Aufforderung durch die Gesundheitsbehörden missachtet, muss künftig mit einer Strafe von bis zu 10.000 Pfund (11.000 Euro) rechnen, wie die britische Regierung am Samstag mitteilte.

Auch Bürgern, die sich nach einer internationalen Reise nicht in Quarantäne begeben, droht ein Bußgeld. Die Mindeststrafe für Verstöße liegt bei 1.000 Pfund. Bei wiederholten oder besonders schlimmen Verstößen werden 10.000 Pfund fällig. Den Höchstbetrag müssen auch Unternehmen zahlen, die ihren Mitarbeitern bei Einhaltung der Quarantäne mit Entlassung drohen. "Wir können dieses Virus am besten bekämpfen, indem sich jeder an die Regeln hält und sich isoliert, wenn die Gefahr besteht, dass er das Coronavirus überträgt", erklärte Johnson. Die neuen Geldstrafen würden eingeführt, damit niemand die Bedeutung der Schutzregeln unterschätze.

Totales Chaos bei Corona-Tests

Die britische Regierung sieht sich zudem mit einem weiteren Problem konfrontiert. Mit den steigenden Infektionszahlen sind die Corona-Tests nun schon wieder zur Mangelware geworden. Dabei hatte die Regierung das "weltbeste" Corona-Testsystem in Aussicht gestellt. Viele potenziell infizierte Briten müssen deshalb aktuell stundenlange Fahrten auf sich nehmen, um in einem Testzentrum angenommen zu werden.

Wegen seines als chaotisch empfunden Umgangs mit der Pandemie steht Boris Johnson schon länger in der Kritik. Viele Briten werfen ihm vor, zu spät und falsch auf die erste Ausbruchswelle reagiert zu haben. Erst Ende März hatte er erstmals weitgehende landesweite Ausgangsbeschränkungen verkündet. In anderen Ländern waren diese zu diesem Zeitpunkt längst in Kraft. Nun trifft eine zweite Infektionswelle Großbritannien mit Wucht und wird zu einer neuen Bewährungsprobe für den einst so populären Premier.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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