Mord oder Totschlag? Gleisattacken-Täter muss dauerhaft in die Psychiatrie
Frankfurt (dpa) - Im Fall der tödlichen Gleisattacke am Frankfurter Hauptbahnhof ist der Täter schuldunfähig und muss in eine Psychiatrie.
Er habe eine "lebenslange seelische Behinderung", erklärte der Vorsitzende Richter des Frankfurter Landgerichts, Jörn Immerschmitt, in der Urteilsbegründung am Freitag. Es bestehe die Gefahr, dass er wieder erhebliche Taten begehen würde, auch Tötungsdelikte.
Der Mann hatte im Juli 2019 eine ihm unbekannte Frau und ihren Sohn vor einen einfahrenden ICE gestoßen. Der Achtjährige kam ums Leben, die Frau konnte sich in letzter Sekunde retten. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen. Das Gericht stufte die Tat als Mord und im Fall der Mutter als versuchten Mord ein.
Eine Rentnerin, die der Mann ebenfalls gestoßen hatte, verletzte sich beim Sturz auf den Bahnsteig. Den Angriff auf die 79-Jährige wertete das Gericht als Körperverletzung. Sowohl die Seniorin als auch die Familie des toten Junge traten bei dem Prozess als Nebenkläger auf. Der Anwalt der Familie, Ulrich Warncke sagte nach dem Urteil: "Jetzt fängt die eigentliche Trauerarbeit an und die wird ein Leben lang andauern."
Der Angreifer, ein anerkannter Flüchtling aus Eritrea, hatte jahrelang in der Schweiz gelebt und war erst wenige Tage zuvor nach Frankfurt gekommen. Nach der Attacke ergriff er die Flucht. Doch Passanten verfolgten ihn und er konnte außerhalb des Bahnhofs festgenommen werden. Später wurde der dreifache Familienvater in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
Im Gerichtsverfahren ging aus dem Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen hervor, dass der Täter eine Gefahr für die Allgemeinheit sei. "Er hat völlig fremde Menschen attackiert", erklärte der Sachverständige. Somit seien auch künftige Opferkreise "völlig unvorhersehbar." Zweifellos habe zum Tatzeitpunkt eine paranoide Schizophrenie in akuter Form vorgelegen, hieß es.
Mit Spannung war erwartet worden, ob die Richter die Tat als Totschlag oder Mord bewerten. Die Richter folgten den Plädoyers der Nebenklage, die das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt sahen. Der Mann habe vorsätzlich gehandelt und das Einfahren des ICEs abgewartet. Er habe agiert, als "Aufmerksamkeit der Opfer nicht auf eine Gefahr sondern auf den einfahrenden Zug gerichtet war". Und: "Die Annahme von Vorsatz ist kein Widerspruch zum Ausschluss der Schuldfähigkeit."
Die Staatsanwaltschaft hatte im Fall von Mutter und Sohn zwar auf Totschlag und versuchten Totschlag plädiert. Sie zeigten sich aber mit dem Urteil "vollkommen zufrieden". Eine Enttäuschung war die Entscheidung für die 79-Jährige Nebenklägerin. Sie trug ihr Plädoyer am Donnerstag selbst vor. Sie gehe bei der Attacke auf sich nicht von Körperverletzung aus - sondern von einem versuchten Mord, hieß es darin. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig.
Das Verbrechen hatte im vergangenen Sommer das ganze Land erschüttert. Zudem löste der Fall eine Debatte über die Sicherheit an Bahnsteigen aus - auch, weil nur wenige Tage zuvor eine Frau in Nordrhein-Westfalen vor einen Zug gestoßen und tödlich verletzt worden war. Bundesregierung, Bahn und Bundespolizei richteten eine gemeinsame Arbeitsgruppe ein, um für mehr Sicherheit zu sorgen.