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Neymar und Neom – So poliert Saudi-Arabiens Kronprinz seine Diktatur


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Experte über Saudi-Arabien
"Der Kronprinz will Grenzen verschieben"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 17.08.2023Lesedauer: 5 Min.
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman bei einem internationalen Gipfel in Dschidda: Neben Ölhandel und Diplomatie sollen Prestigeprojekte und Charmeoffensiven den Ruf seines Landes verbessern.Vergrößern des Bildes
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman bei einem internationalen Gipfel in Dschidda: Neben Ölhandel und Diplomatie sollen Prestigeprojekte und Charmeoffensiven den Ruf seines Landes verbessern. (Quelle: IMAGO/Balkis Press/ABACA)

Ein lächelnder Kronprinz, der eine der tödlichsten Monarchien der Welt führt. Kaltes Kalkül oder echte Reformen: Was steckt hinter Saudi-Arabiens versuchtem Imagewandel?

Saudi-Arabien hat sich über viele Jahre einen Namen als mörderische Öldiktatur gemacht. Parallel zu schweren Menschenrechtsverstößen, Massenhinrichtungen und der Drangsalierung von Frauen bemüht sich das Land seit einiger Zeit um ein modernes Image. Kronprinz Mohammed bin Salman gibt sich dazu als weltgewandter Reformer, dem sein Reichtum alles ermöglicht.

Er versucht Weltfußballer und Golfprofis an sich zu binden, unternimmt wahnwitzige Bauvorhaben, richtet internationale Großveranstaltungen aus – und hat zuletzt die Ketten seiner Untertaninnen zumindest etwas gelockert: Sie dürfen jetzt Auto fahren und ohne männliche Erlaubnis einen Reisepass besitzen.

Was für ein Staat ist das – und was ist von seinem Anführer zu halten? Im Interview spricht Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons über die anscheinende Verwandlung der Golf-Monarchie und wünscht sich eine differenziertere Sicht auf das Land zwischen Rotem Meer und Persischem Golf.

t-online: Herr Sons, das saudische Königshaus versucht, seinen Ruf an allen Fronten aufzupolieren. Überrascht Sie das?

Sebastian Sons: Seit einigen Jahren zeichnet sich ab, dass Kronprinz Mohammed bin Salman Grenzen verschieben will. Im eigenen Land, aber vor allem auch nach außen. Die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen ist ein Beispiel, die zunehmende Schwächung der Religionsgelehrten ein anderes. Außerdem holt der Kronprinz Sportevents, Ausstellungen, Konzerte und Musikfestivals ins Land – das war vor einigen Jahren alles nicht möglich.

Bei Weitem das teuerste Prestigeprojekt des Kronprinzen ist "Neom": ein riesiges Wüstenareal, in dessen Mitte ein 170 Kilometer langes High-Tech-Hochhaus geplant ist. Was soll das?

Neom soll das Zentrum für technologischen Fortschritt in der Region werden. Einige sprechen bereits von einem neuen Silicon Valley in Saudi-Arabien. Der Kronprinz möchte sein Land, das lange als verkrustet und rückständig galt, so als Marke für Fortschritt und Aufschwung etablieren. Er sieht sich als Architekt eines neuen Saudi-Arabiens. Das zeigt schon der Name: Diese Mischung aus Neo und dem arabischen Wort "mustaqbal" – also "neue Zukunft" – ist genau das, was Mohammed bin Salman vorschwebt.

Welches Ziel verfolgt er damit?

Er will einerseits ausländische Investoren ins Land locken, damit sich diese milliardenteuren Gigaprojekte nachhaltig finanzieren lassen. Andererseits hofft er, dass vor allem wohlhabende Ausländer nach Neom ziehen und die saudische Bevölkerung so anwächst.

Dr. Sebastian Sons

Der studierte Islamwissenschaftler und Historiker ist Experte für die arabischen Golfmonarchien. Sons arbeitet als Senior Researcher beim Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) in Bonn. Seit knapp 15 Jahren reist er regelmäßig zu Forschungszwecken in die arabischen Golfstaaten, vor allem nach Saudi-Arabien.

Aus dem Westen in ein Land zu ziehen, das politische Gegner hinrichtet, Menschenrechtler verfolgt und keine Meinungsfreiheit kennt, klingt aber nicht sonderlich attraktiv.

Die Anziehungskraft dürfte vor allem daher kommen, dass hier alles möglich scheint, was in Europa nicht mehr geht: Grenzenloses Geld, kaum Bürokratie, völlige Technologieoffenheit. Und es werden viele steuerliche Vorteile geboten. Das scheint einige schon jetzt zu überzeugen.

Nach Ronaldo und Karim Benzema hat jetzt Neymar bei einem saudischen Fußballclub angeheuert. Inwiefern ist das ein moralischer Ausverkauf?

Saudi-Arabien ist nicht das erste Land, das über den Sport seine Wirtschaft stärken, sein Image verbessern und seine Gesellschaft öffnen möchte. Den Fußballern werden astronomische Gehälter geboten, außerdem existieren im Königreich durchaus eine Fußballtradition und eine enorme Euphorie für den Sport. Und gerade für muslimische Fußballer ist das Land als "Hüter der beiden Heiligen Stätten" Mekka und Medina ein heiliger Ort, was zum Beispiel Benzema mit bewogen hat, ins Königreich zu wechseln.

Insgesamt werden die Wechsel zu Al-Hilal und anderen saudischen Clubs im Westen recht negativ beurteilt. Erkennen Sie darin möglicherweise eine Chance?

Egal ob Unternehmen oder Sportler, die für oder in Saudi-Arabien antreten – jeder sollte sich kritisch mit der Situation vor Ort auseinandersetzen. Das heißt auch, zu versuchen, im eigenen Kreis auf positive Veränderungen hinzuwirken.

Viele deutsche Konzerne verdienen hohe Summen mit Projekten in Saudi-Arabien. Das Hamburger Flugtaxi-Unternehmen Volocopter ist sogar offizieller Partner. Meinen Sie, die Firma kann vor Ort positiv Einfluss nehmen?

Erst einmal finde ich es nachvollziehbar, dass Unternehmen Teil dieses gesellschaftlichen Wandels in Saudi-Arabien sein wollen. Die Kritik an der Menschenrechtssituation ist aber selbstverständlich legitim und sollte von Unternehmen bei ihren Geschäftsentscheidungen einbezogen werden. Saudi-Arabien ist aber auch kein Einzelfall. Konzerne sollten in allen autokratischen Umfeldern, in denen sie tätig sind, versuchen, für mehr Menschlichkeit einzutreten.

Woran machen Sie fest, dass internationale Aufmerksamkeit tatsächlich einen Effekt in Saudi-Arabien hat?

Inzwischen gibt es beispielsweise auf vielen Baustellen Schutzausrüstung und mittags Hitzepausen. Gerade bei so prominenten Projekten wie Neom wird sicher genau hingeschaut, um schwere Unfälle und damit Skandale und Negativschlagzeilen zu vermeiden. Verbesserungen im Umgang mit Arbeitsmigranten sind definitiv sichtbar, aber für viele ist die Lage dennoch weiterhin sehr prekär.

Sehen Sie in den Anpassungen einen langsamen Trend hin zu mehr Freiheit in Saudi-Arabien?

Man sollte die gesellschaftliche Öffnung und die Bereitschaft, wirtschaftlich neue Wege zu gehen, nicht mit einer politischen Öffnung verwechseln. Saudi-Arabien drängt in die Weltwirtschaft, will Unternehmen anziehen, der jungen Bevölkerung und insbesondere Frauen neue Möglichkeiten geben. Aber das hat enge Grenzen. Es gibt keinen Trend zur Demokratisierung, ganz im Gegenteil.

Also nur schöner Schein?

Der Kronprinz hat seine persönliche Macht zentralisiert und abgesichert – er ist das unumstrittene Machtzentrum in Saudi-Arabien. Mögliche Kritiker hat er ausgeschaltet. Es ist ein System, das über Brot und Spiele funktioniert, aber eben auch über Zuckerbrot und Peitsche. Das heißt, er setzt Anreize und gibt jungen Menschen eine Perspektive. Aber wer seine roten Linien überschreitet, dem drohen Repressalien, Verhaftungen, Todesurteile. Da sollte man sich nicht blenden lassen.

Gerade darauf hofft Mohammed bin Salman aber anscheinend. Inzwischen wirbt Saudi-Arabien massiv um Touristen.

Saudi-Arabien ist ein attraktives Reiseland und hat für interessierte Urlauber wirklich viel zu bieten. Es ist touristisch kaum erschlossen, hat eine faszinierende Kultur, atemberaubende Landschaften und man kommt viel offener mit Einheimischen in Kontakt als beispielsweise in Katar oder Dubai.

Was raten Sie denen, die sich für eine Reise nach Saudi-Arabien interessieren?

Wichtig ist: Saudi-Arabien ist kein normales Touristenziel – man muss sich immer bewusst sein, wo man ist. Man kann über sensible Themen wie Frauenrechte durchaus mit den Leuten vor Ort sprechen. Aber immer vorsichtig, man sollte sie nicht belehren, sondern zuhören und sich auf die Geschichte und Traditionen einlassen. Dann kann man eine ganze Menge lernen und viele faszinierende Eindrücke mitnehmen.

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Und den diktatorischen Herrscher ignorieren?

Mohammed bin Salman ist ein zukünftiger Monarch, der das Land nach seinen Vorstellungen umgestaltet. Ob man sich damit wohlfühlt, seinem Regime mit einem Urlaub Sichtbarkeit und im Zweifel gute PR zu verschaffen, muss jeder selbst entscheiden.

Herr Sons, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Sebastian Sons, Senior Researcher beim Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO)
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