Tusk kritisiert langsame Reaktion Polnische Regierung: Fische starben wohl durch Chemie-Abfälle
Fische sterben zu Tausenden, Anwohner sind zutiefst beunruhigt. Wasserbehörden in Polen hatten bereits sehr früh Hinweise auf ein Gift.
Das Fischsterben in der Oder ist nach Aussage von Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki offenbar durch die Einleitung von Chemie-Abfällen ausgelöst worden. "Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen", sagte Morawiecki in einer am Freitag auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft.
Morawiecki betonte, alle zuständigen Behörden seien in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Jeden Tag werde Wasser aus dem Fluss entnommen, auch das Veterinäramt und die Gesundheitsbehörde seien einbezogen. "Die wichtigste Aufgabe ist aber jetzt, den Täter, den Giftmischer zu finden." Dies sei kein gewöhnliches Verbrechen, da der Schaden auf Jahre bleiben könne, so Polens Regierungschef weiter. "Wir werden nicht ruhen, bis die Schuldigen hart bestraft sind."
Nach Angaben von Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel weise die Oder "sehr stark erhöhte Salzfrachten" auf. Diese seien untypisch, sagte der Grünen-Politiker am Freitagabend im RBB. Bei Salzfrachten handelt es sich um im Wasser gelöste Salze – diese können aus mehreren Stoffen bestehen.
Polnische Behörden wussten wohl seit zwei Wochen von Fischsterben
Polnische Behörden reagierten nach Darstellung des Infrastrukturministeriums in Warschau bereits Ende Juli auf Hinweise auf ein Fischsterben in der Oder. In den Tagen vom 26. bis 28. Juli habe es die ersten entsprechenden Signale gegeben, daraufhin seien Wasserproben entnommen und tote Fische geborgen worden, ergibt sich aus einem Kalender der polnischen Wasserbehörde, den das Ministerium auf Twitter veröffentlichte.
In den Tagen ab dem 28. Juli hätten die Proben auf einen ungewöhnlich niedrigen Sauerstoffgehalt des Wassers hingewiesen. Am 4. August habe das Umweltschutzamt in Wrocław (Breslau) in Proben, die bei dem Ort Olawa in der Schleuse von Lipki entnommen wurden, eine toxische Substanz festgestellt. Am 9. August sei bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet worden.
Polen Regierungschef entlässt Spitzenbeamte
Weil sie zu langsam auf das Fischsterben in der Oder reagiert haben sollen, hat Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki zwei Spitzenbeamte entlassen. Der Chef der Wasserbehörde und der Leiter der Umweltbehörde müssten ihre Ämter mit sofortiger Wirkung räumen, schrieb Morawiecki am Freitag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. "Ich teile die Ängste und die Empörung über die Vergiftung der Oder. Diese Situation konnte man auf keine Weise vorhersehen, aber die Reaktion der zuständigen Behörden hätte schneller kommen müssen."
Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) kritisierte die langsame Reaktion der Behörden. Er sprach von "einem der größten Umweltskandale der vergangenen Jahre – nicht nur in Polen".
Tausende tote Fische auf beiden Seiten der Oder
Das Fischsterben beunruhigt seit Tagen die Menschen an der Oder. Tausende tote Fische wurden in dem Fluss entdeckt, ein Teil davon auf Höhe der Stadt Frankfurt (Oder) und umliegender Orte. Nach Angaben der polnischen Wasserbehörde sind zehn Tonnen verendeter Fisch geborgen worden.
Nicht nur die Analyse der toten Fische, auch die der Wasserproben aus der Oder in Polen geht weiter. Am Donnerstag hatte Vizeinfrastrukturminister Grzegorz Witkowski gesagt, man werde die Analyseergebnisse des Flusswassers "maximal im Laufe einer Woche" vorlegen können. Nach ersten Erkenntnissen aus Deutschland gibt es Hinweise auf eine erhebliche Quecksilberbelastung des Wassers.
Umweltministerium beklagt Versagen der Meldekette
Das Bundesumweltministerium beklagte ein Versagen der bei solchen Ereignissen üblichen Meldekette. "Tatsächlich wissen wir, dass diese Meldekette, die für solche Fälle vorgesehen ist, nicht funktioniert hat", sagte ein Sprecher des Umweltministeriums am Freitag in Berlin. Gemeint ist das frühzeitige Melden des Fischsterbens auf der polnischen Seite.
Die Meldekette habe "bis gestern", also bis Donnerstag, nicht funktioniert, erklärte der Sprecher weiter. "Gestern gab es dann schließlich die Meldung, die von der polnischen Seite hätte kommen müssen. Aber da war eben tatsächlich auch schon die Verschmutzung auf deutscher Seite bekannt."
"Es ist ein vergiftetes Katastrophengebiet"
Im Osten Brandenburgs gehen Naturschützer von weitreichenden Folgen für den Nationalpark Unteres Odertal aus. "Die Auswirkungen sind einfach furchtbar", sagte der stellvertretende Nationalparkleiter Michael Tautenhahn der Deutschen Presse-Agentur. "Für den Nationalpark ist das schlichtweg eine Katastrophe."
Betroffen seien Tiere und Pflanzen und auch die touristische Entwicklung der Region. "Die Vergiftungswelle ist komplett durch die Oder gegangen", sagte Tautenhahn. Über die gesamte Strombreite habe man tote Fische treiben sehen. Betroffen seien etwa Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeißer. Seeadler und andere Vögel könnten Gift durch die toten Fische aufnehmen.
Tautenhahn rechnet mit einem Imageschaden für den Nationalpark. "Es ist ein vergiftetes Katastrophengebiet." Er befürchte, dass viele Menschen nun einen Bogen um den Nationalpark machen würden. Der Nationalpark Unteres Odertal ganz im Osten Brandenburgs zählt zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland.
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Polen will Ergebnisse frühestens Sonntag liefern
Polen wird die Untersuchungsergebnisse von massenweise verendeten Fischen aus der Oder frühestens am Sonntag vorlegen können. Bislang habe das Staatliche Forschungsinstitut in Pulawy noch keine Fische erhalten, sagte der Leiter Krzysztof Niemczuk am Freitag der Nachrichtenagentur PAP. "Wir warten noch immer und gehen davon aus, dass uns die erste Partie von Fischen für die Untersuchungen heute Abend erreicht."
Die Fische sollen auf Metalle, Pestizide und andere giftige Stoffe untersucht werden. Niemczuk: "Es gibt so viele Substanzen, die das Fischsterben verursacht haben könnten, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen können, was die Ursache sein könnte."
Giftwerte sprengen jede Skala
Einem Bericht des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) vom Donnerstag zufolge stellten Mitarbeiter des Landeslabors Berlin-Brandenburg in Wasserproben Quecksilber in hoher Konzentration fest.
Es sei demnach noch nicht geklärt, ob das Quecksilber die Ursache für das Fischsterben sei. Allerdings sollen die gemessenen Werte der Substanz so hoch gewesen sein, dass das Testergebnis nicht darstellbar sei und die Testung wiederholt werden müsse. Das brandenburgische Umweltministerium teilte unter Berufung auf erste Laboruntersuchungen mit, es zeichne sich ab, dass ein "noch unbekannter, hochtoxischer Stoff" die Oder durchlaufe.
"Seit gestern Abend gibt es die ersten Ergebnisse. Die haben wir zwar noch nicht offiziell, aber es deutet in der Tat doch auf eine massive Belastung mit Quecksilber hin als ein Faktor", sagte der Leiter der Umweltverwaltung im Kreis Märkisch-Oderland, Gregor Beyer, am Freitagmorgen im RBB-Inforadio. "Ob das der alleinige ist, wissen wir nicht."
Auch der brandenburgische Umweltminister Axel Vogel (Grüne) erklärte, möglich sei eine Kombination von mehreren Faktoren wie Hitze, geringer Wasserführung und Giftstoffen. Die Auswirkungen der Katastrophe würden wohl noch jahrelang zu spüren sein. "Für die Oder als ökologisch wertvolles Gewässer ist das ein Schlag, von dem sie sich mehrere Jahre vermutlich nicht mehr erholen wird", so Vogel.
- Nachrichtenagentur dpa