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Ulrich Tukur über Glaube und Moral: Warum Religion niemandem schaden darf


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Ulrich Tukur
"Ob es so etwas wie Gott gibt, weiß ich nicht"

InterviewVon Simone Bischof

17.11.2024 - 10:43 UhrLesedauer: 4 Min.
Szene aus "Martin liest den Koran": Ulrich Tukur spielt im Film einen Islamwissenschaftler.Vergrößern des Bildes
Szene aus "Martin liest den Koran": Ulrich Tukur spielt im Film einen Islamwissenschaftler. (Quelle: 2024UCM.ONE)

Im Film muss er einen radikalisierten Mann vom Guten im Koran überzeugen, privat ist er nicht sehr religiös. Mit t-online spricht Ulrich Tukur über Glaube und Moral und warum Religion niemandem schaden darf.

In seinem neuen Film "Martin liest den Koran" spielt Ulrich Tukur einen Islamwissenschaftler, der unerwartet in eine bedrohliche Situation gerät: Eines Tages steht ein radikalisierter muslimischer Familienvater vor seiner Tür, er plant einen Anschlag. Dazu bittet er den Professor um Rat.

Es geht in dem Film nicht nur um die Gefahr religiöser Radikalisierung, sondern auch um die Chancen, die Dialog und Verständnis bieten.

Für Ulrich Tukur war die Figur des Islamwissenschaftlers schauspielerisches Neuland. t-online hat mit ihm über Glaube und Religion gesprochen und ihn gefragt, warum er sich zur Zusammenarbeit mit einem unerfahrenen Autorenteam entschlossen hat.

t-online: Herr Tukur, im Film wird der Wissenschaftler um Rat gefragt. Wann wurden Sie persönlich zuletzt um Rat gebeten?

Ulrich Tukur: Ehrlich gesagt werde ich selten danach gefragt. Manchmal wollen Schauspielkollegen von mir wissen, wie sie eine bestimmte Rolle spielen können. Meistens frage ich selbst Menschen um Rat.

Was möchten Sie dann wissen?

Gerade bin ich in Italien und interessiere mich sehr dafür, wie man Olivenöl und Rotwein selbst herstellt. Bei mir dreht sich viel um Nahrungsaufnahme.

Wir könnten uns jetzt also auch über gutes Essen unterhalten?

Auf jeden Fall: über Lebensmittel, über Essen, über Restaurants. Meine sportliche Tätigkeit erschöpft sich im Wesentlichen im Treppensteigen oder dem Spaziergang von einem Wirtshaus zum anderen. (lacht)

In Ihrem neuen Film geht es allerdings nicht um Essen, sondern um den Islam. Sie haben mit einem jungen, unbekannten Autorenteam zusammengearbeitet. Wie lief die Zusammenarbeit?

Sie war anstrengend. Ich habe mich auf ein Experiment mit zwei jungen Männern eingelassen, die noch nie einen Film gedreht haben. Wir haben uns drei Wochen lang die Nächte an der Freien Universität Berlin um die Ohren geschlagen, über die Umsetzung des Drehbuchs und die Kameraführung diskutiert. Es war eine Low-Budget-Produktion. Doch mir war das egal, ich habe an das Drehbuch geglaubt.

Was ist das Besondere an dem Drehbuch?

Es hatte mich regelrecht elektrisiert. So etwas Tolles hatte ich selten gelesen. Es war abgründig, gefährlich und voller überraschender Wendungen. Herausgekommen ist ein spannender, aber auch verstörender Film, an dessen Ende man das Bedürfnis hat, darüber zu sprechen.

Weshalb?

Weil sich nicht sofort erschließt, was passiert ist, wer Opfer und wer Täter ist, ob sich die Dinge in der Wirklichkeit oder nur in der Phantasie von Martin abspielen. Der Film wirft grundsätzliche moralische Fragen auf. Wie weit darf ein Mensch gehen? Darf er andere für seine eigenen Glaubensgrundsätze beschädigen?

Hat Sie das an der Rolle gereizt?

Für mich war es Neuland. Das war ein Thema, mit dem ich schauspielerisch noch nichts zu tun hatte. Ich stehe seit über 40 Jahren auf der Bühne und vor der Kamera, da wiederholt sich einiges. Zudem hatte ich bis dahin wenig Ahnung vom Koran. Dabei spielt der Islam in unserer Gesellschaft mittlerweile eine ziemlich große Rolle, weil viele Menschen muslimischen Glaubens bei uns leben. Durch das Drehbuch und mit der Arbeit an der Rolle konnte ich Neues lernen.

Was genau?

Zum Beispiel, dass der Koran ein Buch ist, aus dem man sich alles Mögliche klauben und es auf verschiedene Weise interpretieren kann. Oft liest man in einer Sure etwas, das an anderer Stelle widerlegt wird. Der Koran ist gar nicht so radikal, aggressiv und lebensabträglich, wie viele glauben, man kann ihn auch ganz anders verstehen. Leider gibt es diese Hardliner, die ihn sehr militant auslegen. Solche Fundamentalisten und Schreckensmänner richten immer unendlichen Schaden an. So wie es auch die katholische Kirche im Mittelalter mit der christlichen Botschaft und der Bibel getan hat.

Schauspieler Ulrich Tukur
Ulrich Tukur ist Schauspieler, Musiker und Schriftsteller. (Quelle: Carsten Koall/dpa/dpa)

Zur Person

Ulrich Tukur sah 1980 in Tübingen eine Aufführung der Dreigroschenoper und begann daraufhin in Stuttgart eine Schauspielausbildung. Noch Studienzeiten ermöglichte ihm der Regisseur Michael Verhoeven, erstmals in einem Film mitzuwirken: In "Die weiße Rose" spielte er 1982 den Studenten Willi Graf. Im Laufe seiner Karriere hat er in über 100 Kino- und Fernsehproduktionen mitgewirkt.

Haben Sie den Koran in Vorbereitung auf die Dreharbeiten gelesen?

Ich habe ihn quergelesen und mich zu Passagen kundig gemacht, die für den Film relevant waren. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich auch die Bibel nie ganz gelesen habe.

Hat sich durch den Film Ihr Verständnis vom Islam verändert?

Ich war zunächst abgeneigt, weil ich die immanente Frauenfeindlichkeit und vielen Verbote, die man im Koran liest, schrecklich finde. Im Alten Testament liest sich das allerdings ähnlich gewalttätig. Aber man kann den Koran auch positiv und dem Leben zugewandt interpretieren. Im Grunde, und das sagt auch der Islamwissenschaftler im Film, ist Gott Liebe, Wärme und Licht. Und niemals Hass.

Welche Rolle spielt Religion in ihrem Leben?

Ich habe eine spirituelle Seite und glaube, dass die Dinge in unserem Leben sehr viel tiefer sind, als wir sie mit unserem Verstand fassen können. Ich bin überzeugt, dass es vieles gibt, was sich einer wissenschaftlichen Erklärung entzieht. Ob es so etwas wie Gott gibt, weiß ich nicht. Doch ich glaube, dass alles, was dem Leben zuarbeitet, etwas Göttliches in sich trägt.

Gehen Sie in die Kirche?

Ich bin christlich erzogen. Aber ich bin niemand, der in die Kirche rennt und die Bibel liest. Dennoch sind die zehn Gebote meine Lebensgrundlage, das Postulat der Milde und Barmherzigkeit.

Professor Neuweiser verliert zwischendurch die Geduld mit seinem Gegenüber. Dann sind Sie eher kein zorniger Mensch?

Es passiert selten, dass mir die Hutschnur platzt. Ich vermeide Konflikte und suche die Harmonie. Aber auch ich kann in die Luft gehen. Deshalb bemühe ich mich, das Gespräch zu suchen, bevor es knallt oder man den Ärger in sich hineinfrisst, bis er dann explodiert. Wer zornig ist, wird schnell irrational und neigt dazu, Dinge zu tun oder zu sagen, die er später oft bitter bereut. Nicht sofort reagieren, durchatmen, sich beruhigen – und dann kalt zuschlagen oder sich entschuldigen.

"Martin liest den Koran" läuft seit 7. November im Kino. Erzählt wird die Geschichte eines Familienvaters mit iranischen Wurzeln, der den Koran studiert. Getrieben von der Suche nach Antworten und einem tiefen inneren Konflikt, besucht er den Islamwissenschaftler Professor Neuweiser. Was als vermeintlich harmloses Gespräch über Religion und Moral beginnt, entwickelt sich bald zu einem nervenaufreibenden Kräftemessen, als Martin dem Professor offenbart, dass er einen Terroranschlag vorbereitet hat. Nun verlangt er von Neuweiser, ihm die Stelle im Koran zu nennen, die Gewalt eindeutig verbietet.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ulrich Tukur (12.11.2024)
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