Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ausfall eines Wirtschaftsministers Robert, der Gescheiterte
Robert Habeck redet gut. Und man kann ihm schön beim Denken zuschauen. Als Wirtschaftsminister dieses Landes aber fällt er aus, die Wirtschaft schmiert ab. Ein Macher wie seinerzeit Wolfgang Clement müsste her.
Der deutschen Wirtschaft geht es schlecht. International ist sie vom Wachstum abgekoppelt. Jetzt bräuchten wir einen Wirtschaftsminister.
Um 0,3 Prozent ist die Wirtschaft im vergangenen Jahr geschrumpft. Das klingt nicht dramatisch. Eine Rezession? Ach, allenfalls ein Rezessiönchen, beruhigte man sich lange im Berliner Regierungsviertel. Wir hatten doch eine Energiekrise, die Gaspreise schossen in die Höhe, der Exportmarkt China schwächelt: Die Probleme sind von außen gekommen, aber wir haben die Lage bereits wieder im Griff.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online schreibt er jeden Dienstag die Kolumne "Elder Statesman".
Schon vor einem halben Jahr, als die ökonomischen Daten noch besser waren, fragte der britische "Economist", ob Deutschland der kranke Mann in Europa sei. Das Magazin illustrierte seine Story mit einem Ampelmännchen, das am Tropf hängt. Robert Habeck entgegnete, die deutsche Wirtschaft sei nicht krank, allenfalls etwas "untertrainiert". Kürzlich, beim Weltwirtschaftsforum in Davos, antwortete sein Ampelkollege Christian Lindner auf dieselbe Frage: Nein, Deutschland ist nicht krank, nur etwas müde nach einer kurzen Nacht. Gab halt Stress wegen Putin, und der chinesische Markt ... Sie wissen schon.
Schön, dass der Patient sich ganz gut fühlt. Allerdings lautet die objektive Diagnose: Deutschland ist der kranke Mann. In der EU, wo die größte Volkswirtschaft (also die deutsche) vor Corona auch der Wachstumsmotor war, belegen wir jetzt den letzten Platz der Tabelle. Im Vergleich aller Industrieländer weltweit rangiert Deutschland in Sachen Wirtschaftswachstum auf dem vorletzten Platz. Nur das krisengeschüttelte Argentinien ist noch schlechter dran, sogar die Brexit-Briten haben es knapp vor uns auf den drittletzten Platz geschafft.
Bestenfalls ein Jahr der Stagnation
Keine Sorge, das wird schon wieder? Puh. Unsere Volkswirte zählen und messen so ziemlich alles, was sich zählen und messen lässt. Also Konsum und Investitionen, Export und Import, Inflation und Zinsen, Auftragseingänge, Lagerbestände, Kreditnachfrage. Aber welche Statistik man auch nimmt, welche Prognose auch immer auf den Tisch kommt: alles tiefrot. 2024 wird, wenn es gut geht, ein weiteres Jahr der Stagnation.
Jetzt bräuchten wir einen Wirtschaftsminister. Robert Habeck ist Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Als er vor zwei Jahren ins Amt kam, hatte das eine gewisse Logik: Die Transformation der Unternehmen von der fossilen zur klimaneutralen Produktion galt als wichtigste und größte Herausforderung der Wirtschaftspolitik. Ein weites Feld für den Klimaschutzminister Habeck.
"Doppelproblemstruktur?" Der Mann muss völlig ratlos sein
In der Agenda des Wirtschaftsministers Habeck war leider eine schnöde Rezession nicht vorgesehen. Warnungen vor einer Deindustrialisierung des Landes, nicht zuletzt aufgrund hoher Energiepreise, verwies er ins Reich der Gespenster. Aber die Deindustrialisierung findet statt, genauso wie die Rezession. Die Industrieproduktion, die jetzt abgebaut oder ins Ausland verlagert wird, kommt nicht zurück.
Als die Kollegen vom "Handelsblatt" den Minister vor zwei Wochen nach diesen düsteren Befunden fragten, begann er seine Antwort – wörtlich – mit diesem Satz: "Deutschland leidet unter einer Doppelproblemstruktur." Es sprach Robert Habeck, der studierte Philosoph, der Kinderbuchautor, der Mann mit dem außergewöhnlichen Kommunikationstalent. Doppelproblemstruktur. Ich dachte spontan: Wenn Habeck so redet, ist er komplett ratlos.
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Die Lage ist aber auch verfahren. Die Ampelkoalition hat Ende vergangenen Jahres ein "Wachstumschancengesetz" verabschiedet, das von Anfang an kein großer Wurf war. Jetzt hängt das Gesetz im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, dort wird es bis zur völligen Unwirksamkeit geschrumpft. Das einzige Stichwort, das der Koalition gegen die Krise noch einfällt, lautet: Entbürokratisierung. Das ist immer eine gute Idee – und meistens ein leeres Wort. Wie lange reden wir darüber schon? Die Lösung unserer akuten Probleme ist es jedenfalls nicht.
Deutschland ist nicht zum ersten Mal der kranke Mann in Europa. Vor 20 Jahren war die Lage ganz ähnlich. Damals hieß der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Gemeinsam mit dem Kanzler Gerhard Schröder brachte er die Agenda 2010 auf den Weg. Zwei Sozialdemokraten, die das Land international an die Tabellenspitze zurückführten (allerdings dabei ihre Partei ruinierten).
Die Schuldenbremse muss reformiert werden
Wie wär’s mit einer Agenda 2030? Ein Plan, der die großen Probleme der Wirtschaft anpackt: Fachkräftemangel, Überregulierung, die schleppende Digitalisierung, die marode Infrastruktur. Natürlich auch die grüne Transformation. Und vor allem die nachhaltige Investitionsschwäche. Zu einer solchen Strategie gehört auch die Reform der Schuldenbremse. Es gibt tatsächlich eine einzige ökonomische Kennzahl, bei der Deutschland im internationalen Vergleich spitze ist: Die Staatsverschuldung ist so niedrig wie sonst nirgendwo unter den Industriestaaten. Das heißt: Wir sind handlungsfähig, prinzipiell.
Vergangene Woche im Bundestag und am Sonntagabend im Fernsehen bei Caren Miosga hat Robert Habeck deutlich gemacht, dass er durchaus bereit wäre, in solchen Dimensionen zu denken. Problem erkannt, lautet jetzt seine Botschaft. Er spricht über weitreichende Entlastungen für die Unternehmen, über Erleichterungen bei den Abschreibungen, über niedrigere Steuern, ein Investitionsprogramm, alles in großem Stil. Also, ich korrigiere mich: Habeck ist gar nicht (mehr) ratlos. Aber machtlos.
Wieso wendet er sich an Merz?
Der Wirtschaftsminister wandte sich im Bundestag mit seinem Appell an Friedrich Merz und die Union. Das ist die falsche Adresse, solange er in der eigenen Regierungskoalition keine Chance hat, seine Vorstellungen auch durchzusetzen. Christian Lindners pampige Antwort auf Habecks Rede lautete: Hätte er sich sparen können.
Ob ratlos oder machtlos, das läuft auf ein- und dasselbe hinaus: Die Wirtschaft kann auf den Wirtschaftsminister nicht bauen. Oder, hart formuliert: Robert Habeck ist als Wirtschaftsminister gescheitert.