Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Scholz und die Neuwahlen Stur bis über das eigene Scheitern hinaus
Die Ampel ist Geschichte. Die Schuld schiebt der Kanzler alleine Christian Lindner in die Schuhe. Aber stimmt das? Und was heißt das für ihn?
Seit gestern Abend, als die Ampel mit einem Big Bang und nicht mit einem Flüstern zu Ende ging, muss ich die ganze Zeit an Franz Müntefering denken. Transparenzhinweis: Der Mann hat mir immer sehr imponiert. Und ihm fielen zu Schröder-Regierungszeiten der SPD immer wieder die richtig schweren Sachen zu. Die schwerste: Gerhard Schröder nach dessen Grande Finale im Wahlkampf 2005 klarzumachen, dass es trotz dessen Ausnahmeleistung als Wahlkämpfer vorbei ist mit dem Kanzlersein. Und damit, Bedingungen zu stellen. "Glauben Sie im Ernst, dass Sie mit meiner SPD eine Regierung bilden können?", hatte Schröder wie auf Speed die Wahlsiegerin Angela Merkel in der legendären Elefantenrunde angefaucht.
"Ja", war spätestens anderntags die Antwort der gesamten Sozialdemokratie und deren damaligem Vorsitzenden Franz Müntefering. Es musste jetzt nur noch jemand Schröder beibiegen, um in anständige Koalitionsverhandlungen mit der Union ohne den Showstopper Schröder einzutreten. Dieser Jemand war Müntefering.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".
So einen Jemand braucht die Sozialdemokratie jetzt wieder. Bundeskanzler Olaf Scholz hat an dem historischen Abend des 6. November einen Auftritt hingelegt, beinahe ebenbürtig mit jenem Schröders seinerzeit, auch wenn der Ton ein anderer war. Scholz las vom Teleprompter Dinge ab, die man so deutlich von ihm sonst nie hört. Es waren zwei Botschaften, die er vermittelte. Erstens: Schuld am Scheitern der Ampel hat ausschließlich Christian Lindner, und nur der. Zweitens: Hier steht der Kanzler, der das auch nach verlorener Vertrauensfrage bleiben beziehungsweise wieder werden will. Der zur Wahl dann im März als Kandidat der SPD antreten wird.
Beide Punkte in Ruhe abgeschichtet: Ja, Christian Lindner hat die Koalition an diesem Abend endgültig platzen lassen. Aber die Verantwortung und die Ursache für das Scheitern dieser Regierung liegen bei Olaf Scholz. Die Sache mit der Verantwortung ist schnell erklärt. Auch wenn Scholz (wie übrigens auch seine Vorgängerin) immer so tat, als habe er mit der Dauerfehde seiner Koalitionspartner nichts zu tun, so ist das eben doch seine Koalition. Und wenn die so dysfunktional ist, dann geht das zu seinen Lasten.
Die Lebenslüge der Ampel
Die Ursache ist noch erheblicher. Denn Scholz selbst verkörpert wie sonst keiner die Lebenslüge dieser Koalition. Er hat sie wieder und wieder und wieder vorgetragen: Die Welt mag nicht mehr im Ansatz die gleiche sein. Zeitenwende hat er das treffenderweise genannt. "Aber für Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ändert sich gar nichts."
Das Zaubermittel für diesen Finanz-Voodoo hatte er selbst erfunden: Sondervermögen. Was nichts anderes heißt als: Schattenhaushalt. Er hatte das als Finanzminister im Kleinen schon probiert und kam ungeschoren davon. Nun empfahl er das Wundermittel gegen die angezogene Schuldenbremse im XXL-Format. Der amtierende Finanzminister Christian Lindner ging darauf ein. Und die Sache scheiterte krachend vor einem Jahr vor dem Bundesverfassungsgericht.
Tatsächlich war das Urteil der Verfassungshüter das Ende der Ampelkoalition und des Finanzjongleurs Olaf Scholz. Er und sonst keiner hat dieses Märchen erzählt, es ändere sich nichts, obwohl sich alles ändert. Und er und sonst keiner hat das halbseidene Instrument dafür der Ampel in die Hand gedrückt.
Deshalb mag Christian Lindner der Beender der Ampel sein. Der Gescheiterte aber heißt Olaf Scholz. Es ist aberwitzig, dass er offenbar wirklich meint, trotz dieser Schuld auf seinem Rücken noch einmal antreten zu können. Das ist auch der Grund, weshalb er die Neuwahlen durch eine verzögerte Vertrauensfrage bis in den März verlegt. Weil er tatsächlich glaubt, mit ein paar Wochen mehr Zeit das Ding noch drehen zu können.
Kanzler sind anders
Wer ins Kanzleramt einzieht, der ist schon von besonderem Schrot, wenn er oder sie dort ankommt. Im Amt werden die Kanzler dann noch entrückter. "Aufhören ist keine Option" hat der jahrzehntelange Doyen der politischen Berichterstattung, Günter Bannas, vor Jahren einen Beitrag für die Ewigkeit in der "FAZ" dazu überschrieben.
Daher braucht es Leute, die den Mumm haben, den eigenen Kanzler mal beiseitezunehmen. Bei Helmut Kohl wäre es seinerzeit die Aufgabe von Wolfgang Schäuble gewesen, dem Kanzler zu sagen: Das war’s. Bei Gerhard Schröder hat Franz Müntefering diese Aufgabe übernommen. Die Frage ist jetzt: Wer sagt es Olaf Scholz?
- Eigene Überlegungen und Erinnerungen