Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.SPD-Bundestagsfraktion Sein gefährlichster Gegner sitzt in den eigenen Reihen
Die Ampel und Kanzler Scholz müssen um ihre Mehrheit im Bundestag bangen. Vielleicht geht die Abstimmung am Freitag über das Sicherheitspaket noch einmal gut. Aber reicht Scholz‘ Rückhalt in der SPD-Fraktion noch für ein Jahr?
Vergangene Woche hat sich im Bundestag eine ungewöhnliche Begebenheit zugetragen, über die die Ereignisse schon wieder wie eine Herde Büffel hinweggetrampelt sind, die aber eine tiefere Bewandtnis hat, eine tiefere Symbolik. Eine, die in die Zukunft weisen könnte. Bis in ein eventuell jähes Ende der Ampel.
Olaf Scholz wurde in einer Bundestagsdebatte von Friedrich Merz massiv attackiert. Der Vorhalt des Oppositionschefs: Die von Scholz geführte Bundesregierung blockiere Waffenlieferungen an Israel. Weil Außenministerin Annalena Baerbock in Scholz‘ Augen oder Ohren offenbar in ihrer Rede zu wenig gegen diese Behauptung angeführt hatte, marschierte der Kanzler schnurstracks in Richtung eigener Bundestagsfraktion, verdrängte auf dem vordersten Platz Fraktionschef Rolf Mützenich, der dann eine Reihe dahinter Platz nahm. Scholz parierte Merz' Angriff in seiner Rolle als Abgeordneter. Anders war das protokollarisch (und technisch, nur die ersten Reihen innerhalb der Fraktionen haben ausfahrbare Mikrofone) nicht möglich.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"
Diese Szene weist weit über den eigentlichen Vorgang hinaus. Sie macht deutlich, wer hier von wem abhängt, Richtlinienkompetenz des Kanzlers hin oder her. Was, wenn der Fraktionschef nicht voll und ganz hinter seinem Kanzler steht? Dann ist der plötzlich nicht mehr als ein einfacher Abgeordneter. Deshalb haben wir alle in Sozialkunde gelernt: Bei aller operativen Fokussierung auf den Bundeskanzler – der Bundeskanzler ist nur die Nummer drei im Staat. Nach Bundespräsident und Bundestagspräsident. Die Macht des Kanzlers leitet sich ab und ist existenziell abhängig von seiner Mehrheit im Bundestag. Zuvorderst vom Rückhalt in seiner eigenen Fraktion.
Deshalb kommt Rolf Mützenich und nicht etwa Boris Pistorius oder Lars Klingbeil die Schlüsselrolle im Thriller um die Frage zu, ob dieses brüchige Gebilde namens Ampel bis zum regulären Wahltag im September kommenden Jahres hält. Und ob Scholz bis dahin Bundeskanzler bleibt. Der gefährlichste Gegner des Olaf Scholz sitzt in seinen eigenen Reihen.
Warum ist das so? Nach Stand der Dinge und der Umfragen zögen von den derzeit 207 Abgeordneten der SPD allenfalls zwei Drittel, vielleicht nur die Hälfte wieder in den Bundestag ein. Weil die eigene Existenz als Parlamentarier, am Ende der eigene Broterwerb, davon abhängt, kann man die subversive Kraft, die diese Aussicht hat, gar nicht überschätzen. Wenn die Hoffnung verfliegt, dass sich das bis zur Wahl noch drehen lässt, wird eine Fraktion ganz schnell archaisch wie ein Wolfsrudel, das den Eindruck hat, das Leittier hat die Sache nicht mehr im Griff und sichert nicht mehr die Existenz des Rudels.
Peter Struck, markanter Vorgänger von Rolf Mützenich aus der Zeit eines SPD-Kanzlers Gerhard Schröder und Schöpfer einiger ewiger Sätze, hat einmal die schöne Formulierung gewählt: Seine Fraktion sehe ihre Aufgabe darin, die Regierung zu tragen und zu treiben. Tragen und treiben. In der Regel beides zugleich. Manchmal ist Letzteres aber auch das genaue Gegenteil von Ersterem, wenn es hart auf hart kommt. Dann geht dieses Begriffspaar fließend ins nächste über: stützen oder stürzen.
Für diesen Fall sieht das Grundgesetz das konstruktive Misstrauensvotum vor. Es ist 1982 zuletzt angewandt worden, als die FDP von einem SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einem CDU-Kanzler Helmut Kohl wechselte. Das ist der klassische Fall. Der kleinere Koalitionspartner sagt sich von der Kanzlerfraktion los und wechselt die Seiten zu einer anderen Kanzlerpartei.
Misstrauensvotum aus der eigenen Fraktion?
Dass die Fraktion, die den Kanzler stellt, ein Misstrauensvotum anstrengte, ist schlechterdings schwer vorstellbar. Pistorius als Retter in höchster Not von allen drei Koalitionspartnern nach dem Misstrauensvotum gegen Scholz wählen lassen? Und das alles hinter den Kulissen wetterfest machen? Das Jahr 1972 und der Name Rainer Barzel stehen dafür, wie so etwas furchtbar schiefgehen kann. Selbst wenn die Ausgangslage eindeutiger war. Damals waren zwei CDU-Abgeordnete von der DDR rausgekauft worden, und die sicher geglaubte Mehrheit für Barzel war futsch.
Aber was ein SPD-Fraktionschef zu seinem Kanzler durchaus sagen kann, im Wissen um seine Macht: Sorry, Olaf, ich kann dir keine Mehrheit mehr garantieren. Meine Leute gehen von der Fahne, sind von dir als Zugpferd für die nächste Bundestagswahl nicht ebenso überzeugt wie du von dir selbst. Überlege bitte selbst, was das für dich und dein Handeln bedeutet. Wie du deinen Abtritt selbstbestimmt wählst.
Die Union macht die Räume schon mal eng
Der Zeitpunkt mag noch nicht erreicht sein. Aber die Dinge schürzen sich weiter. In der Fraktionssitzung diese Woche sah sich Scholz starkem Widerstand gegen das Sicherheitspaket der Ampel im Nachgang zu dem Messermord von Solingen gegenüber. Indirekt verwies er darauf, dass er die Abstimmung, wenn es sein muss, mit der Vertrauensfrage verbinde.
Diesen Freitag, also morgen, wird die Abstimmung stattfinden. Die Unionsfraktion schließt schon die Reihen und verhindert mit einer Sondersitzung, dass sich Abgeordnete frühzeitig ins Wochenende verabschieden, um so die Mehrheit der Ampel auf die Probe zu stellen. Es wird eng und enger für Scholz und die Ampel. Kann sein, dass es diesen Freitag gutgeht. Aber ein ganzes Jahr noch?
- Eigene Überlegungen