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Klimakonferenz COP28 in Dubai: Expertin äußert im Interview Kritik


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Expertin über Klimakonferenz
"Das war eine Zäsur"

InterviewVon Lucas Maier

03.12.2023Lesedauer: 6 Min.
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Sultan Al-Dschaber: Der Vorsitzende der Klimakonferenz in Dubai ist gleichzeitig Chef des staatlichen Ölkonzerns. (Quelle: Sean Gallup/getty-images-bilder)

In Dubai wird über den Kampf gegen die Klimakrise beraten. Expertin Marie-Luise Wolff hält die jetzige Form der Klimagipfel für gescheitert und fordert eine Reform.

Die Klimakonferenz COP28 findet in diesem Jahr in Dubai statt. Erst vor Kurzem haben die Vereinten Arabischen Emirate Großprojekte zur Gas- und Ölförderung verkündet. Nicht zuletzt deshalb dürfte die COP28 eine der umstrittensten seit der ersten UN-Klimakonferenz in Berlin 1995 sein.

Dabei sind die Herausforderungen für die Weltgemeinschaft groß. Die Erhitzung des Klimas schreitet weiter voran, die Auswirkungen der Klimakrise werden immer spürbarer und viele Länder liegen hinter ihren Klimazielen.

Marie-Luise Wolff ist Vorstandvorsitzende des größten Ökostromanbieters in Deutschland. Als Expertin ist sie Teil der Allianz für Transformation, die von Bundeskanzler Olaf Scholz ins Leben gerufen wurde und die Bundesregierung unter anderem bei der Energiewende berät. t-online hat mit ihr über die Herausforderungen für die Klimakonferenz gesprochen.

t-online: Frau Wolff, Ihr neues Buch trägt den Titel "2,8 Grad – Endspiel für die Menschheit". Steht es wirklich so schlimm um uns?

Marie-Luise Wolff: Es steht schlimm um unser Klima – wenn wir uns nicht sehr stark anstrengen, unsere Emissionen in den nächsten zehn Jahren runterzubringen.

Was bedeutet denn eine Erwärmung um 2,8 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter?

Südeuropa würde zur Wüste werden – große Teile Afrikas sowieso. Das hätte Fluchtbewegungen in einem nie da gewesenen Ausmaß zur Folge. Denn natürlich würden die Menschen in den kühleren Norden, also nach Mittel- und Nordeuropa, fliehen.

Video | Das droht Deutschland bei einer Erwärmung von drei Grad
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Quelle: t-online

Aber auch für uns in Nordeuropa hätte es gravierende Folgen: Steigende Meeresspiegel würden unsere Küsten angreifen. Konkret wäre die Existenz von Küstenstädten wie Emden oder Bremerhaven bedroht. Das Gleiche gilt für Bereiche an der Ostsee. Zudem würden Unwetterkatastrophen stark zunehmen. Einen kleinen Vorgeschmack hatten wir bereits letzten Sommer: extremer Starkregen, Zerstörungen durch Hurrikane und Orkane. Hinzu kämen extreme Hitzeperioden und da sprechen wir dann von 40 Grad über mehrere Wochen hinweg. Die ersten Anzeichen sehen wir bereits.

Zum Beispiel?

Diesen Sommer haben wir die Klimakrise erneut so richtig zu spüren bekommen. Wir haben Überschwemmungen mit 20.000 Toten gesehen. Solche Bilder in den allabendlichen Nachrichtensendungen werden in den kommenden Jahren deutlich zunehmen.

Wenn Sie nun von einer Erwärmung von 2,8 Grad sprechen, auf welchen Zeitraum beziehen Sie sich?

Lassen Sie mich kurz ausholen: Beim Ziel, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, ist immer die Rede vom Ende des Jahrhunderts. Die Wahrheit ist – wir werden dort bereits in den nächsten Jahren sein. Die Wissenschaft geht davon aus, dass wir die 1,5-Grad-Marke noch vor 2030 überschreiten werden. Ab diesem Punkt werden dann unabsehbare Effekte eintreten. Es wird zu Veränderungen auf dem Planeten kommen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Bis zum Ende des Jahrhunderts geht es dann auf die erwähnten 2,8 Grad zu.

Video | Meeresspiegelanstieg: Diese Ostseeregionen verschwinden
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Quelle: t-online

Der Weltklimagipfel COP28 findet derzeit in Dubai statt. Bringt diese Konferenz überhaupt noch etwas?

Der kämpferische Geist von Kyoto und Paris scheint leider verloren. In den vergangenen Jahren gab es keine großen Ergebnisse mehr, es wurde um Kleinigkeiten gekämpft – die völlig unwichtig sind und dem Klima nichts bringen. Es wird etwa eine Nacht lang über Kommata gestritten. Fotos von total erschöpften Teilnehmenden aus den letzten Jahren sind nur ein Beleg dafür. Das ist fatal, denn eigentlich brauchen wir eine produktive Klimakonferenz.

Wie könnte die aussehen?

Es ist Zeit für schlagkräftige Treffen – und zwar nicht mit zigtausend Vertretenden, sondern mit Staatsführern. Der Rahmen der G20 wäre hier angebracht. Denn die 20 einflussreichsten Industrie- und Schwellenländer stehen für mehr als 80 Prozent der Emissionen, die den Planeten und damit uns in Gefahr bringen. Die Entscheider der G20 müssen jetzt dringend einen Plan entwerfen und auch Verantwortung für die Umsetzung übernehmen.

Was wären konkrete Schritte?

Ein Ende der Regenwaldabholzung, schnellstmöglicher Ausstieg aus der Kohleverstromung, Wiedervernässung von Mooren, ein neues Verkehrsmanagement, andere Vorgehensweisen, was Ernährung, Verpackung, Landwirtschaft angeht. Das ist alles machbar, aber der Weg dahin muss auf internationaler Ebene aufgezeigt werden. Wir haben so lange zu wenig getan, dass wir uns jetzt auf das Machbare konzentrieren müssen.

Das ist ein bisschen so wie eine Fußballweltmeisterschaft im Winter in Katar. Das geht auf den ersten Blick nicht so gut zusammen. Allerdings muss man feststellen: Wirtschaftliche Einflüsse hat es bisher immer gegeben und natürlich kann gerade die Wirtschaft entscheidend dabei helfen, den Klimakollaps zu verhindern. Hinzu kommt, mit Blick auf Dubai: Wir müssen uns von unserer sehr westlichen Sicht auf die Dinge verabschieden, ökonomisch, politisch, und auch kulturell.

Marie-Luise Wolff (Archivbild): Als Teil der Allianz für Transformation unterstützt sie die Bundesregierung auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Marie-Luise Wolff (Archivbild): Als Teil der Allianz für Transformation unterstützt sie die Bundesregierung auf dem Weg zur Klimaneutralität. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Zur Interviewpartnerin

Dr. Marie-Luise Wolff ist Vorstandsvorsitzende der Entega AG, dem größten Ökoenergieanbieter in Deutschland. Außerdem ist sie Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) und Teil der Allianz für Transformation. Im Oktober ist ihr Buch "2,8 Grad – Endspiel für die Menschheit" erschienen. Darin widmet sie sich der Frage: "Wie wir die Klimakatastrophe noch abwenden können."

Denn: Den Kampf gegen den Klimakollaps werden wir nur gemeinsam gewinnen, als Weltgemeinschaft. Deshalb ist es gut, dass Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate zum Auftakt der Konferenz mit dem gemeinsamen Vorschlag für eine neue Finanzierung des Kampfes gegen den Klimakollaps und handfesten Geldzusagen vorangegangen sind.

Der Vorsitzende Sultan Ahmad al-Dschaber ist nicht nur Kopf des staatlichen Ölkonzerns, sondern auch Gründer von Masdar – einem Unternehmen, das führend in der nachhaltigen Energiebranche werden will.

Es ist gut, dass es überhaupt eine solche Initiative in der arabischen Welt gibt. Allein die Sprache hat sich total verändert. Es kommen viel häufiger Themen der Nachhaltigkeit auf den Tisch, das ist gut. Trotzdem muss man jede Maßnahme auf Herz und Nieren prüfen. Allein auf technische Lösungen, wie unterirdische CO2-Speicher zu setzen, wird nicht ausreichend sein. Aber al-Dschaber hat auch den massiven Ausbau der Erneuerbaren angekündigt – dabei muss er unsere volle Unterstützung bekommen.

Seit Ende des vergangenen Jahres kauft Deutschland Flüssiggas aus den Emiraten, um von Russland unabhängiger zu werden. Die Förderung des Gases hat eine extrem schlechte Ökobilanz. Hätte es bessere Wege gegeben?

Ich glaube, in dieser kurzen Zeit nicht. Allerdings dürfen wir das Thema Sparsamkeit nicht aus den Augen verlieren. Wir hatten im vergangenen Jahr eine große Kampagne zum Gassparen, die Früchte getragen hat. Die fehlt in diesem Jahr. Energie sparen müssen wir immer noch.

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Als Vorstandsvorsitzende der Entega AG sind Sie in Deutschland die Expertin, wenn es um Fragen der ökologischen Energiegewinnung geht. An welchen Stellschrauben würden Sie drehen?

Wir müssen den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien weiter forcieren. Bei Sonnenenergie sind wir schon gut dabei. In Deutschland werden zurzeit 2.000 Anlagen pro Tag angeschlossen – das ist beeindruckend. Beim Wind hängen wir allerdings zurück, hier müssen noch Hürden abgebaut werden. Auch brauchen wir mehr Backup-Kraftwerke, um 2030 ganz aus der Kohle aussteigen zu können. Außerdem würde ich das Thema Energiespeicher sehr viel stärker angehen, hier passiert noch zu wenig. Zuletzt: sofortige Einführung eines Tempolimits. Das wären ein paar Punkte, die ich in die Hand nehmen würde. Und ein Punkt ist mir noch besonders wichtig: Die Politik darf sich nicht in apokalyptischen Schilderungen verlieren.

 
 
 
 
 
 
 

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Regierungsarbeit der Ampel in puncto Klimaschutz?

Beim Lesen des Koalitionsvertrags hatte ich das erste Mal das Gefühl, da hat jemand verstanden, was jetzt zu tun ist. Auch im ersten Regierungsjahr wurde vieles richtig gemacht. Dann kam der russische Angriffskrieg, der die Politik extrem fordert. Und dann das Heizungsgesetz. Dabei wurde den Bürgerinnen und Bürgern nicht gut genug erklärt, was auf sie zukommt. Das war für mich eine Zäsur.

Was ist da aus Ihrer Sicht schiefgelaufen?

Bei so einem kostenintensiven Thema ist es die Aufgabe des Gesetzgebers zu sagen: Das sind die konkreten Ziele und wir sagen euch jetzt, wie wir dahin kommen und wie ihr mitwirken könnt. Wir brauchen die Bereitschaft der Politik, intensiv zu erklären und mit der Bevölkerung zu sprechen. Ich werde nie vergessen, als Frau Merkel zu Beginn der Corona-Krise einmal erklärt hat, was exponentielles Wachstum bedeutet. Genau eine solche Kommunikation braucht es, denn auch die fortschreitende Erwärmung bedeutet den Beginn einer Krise. Das ist beim Heizungsgesetz komplett schiefgelaufen. Ich habe allerdings das Vertrauen, dass diese Regierung zum Pfad des ersten Jahres zurückfinden kann.

Sind Sie auch zuversichtlich, dass Deutschland bei einer globalen Strategie eine treibende Kraft sein könnte?

Als großes Land mitten in Europa müssen wir eine treibende Kraft sein. Und wir haben auch schon Zählbares geschafft. Über 50 Prozent der Stromerzeugung wird durch erneuerbare Energien gestellt. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien der Wirtschaft keinen Abbruch tut. Das ist ein wichtiges Signal für andere Nationen. Auch große Projekte, wie die Kreislaufwirtschaft in der Stahlindustrie, können andere Länder übernehmen, allen voran China und Indien.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es für die Rettung des Planeten eine neue Radikalität braucht.

Damit meine ich, dass wir aufhören müssen, die Menschen immer wieder in Watte einzupacken. Denn die notwendigen Maßnahmen sind tatsächlich drastisch: Es braucht ein Ende der fossilen Verfeuerung – weltweit und schnell. Wir dürfen uns nicht mehr im Kleinklein verlieren, wir müssen die großen Punkte angehen. Es braucht schnelle und effektive Maßnahmen. Stichwort Tempolimit: Es geht total einfach, es tut keinem weh – warum machen wir es nicht einfach?

Frau Wolff, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Marie-Luise Wolff
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