Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Putins brutaler Plan
Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,
"Ich habe immer gedacht: Krieg ist etwas, das haben nur unsere Großeltern erlebt. Aber nun sehen wir jeden Tag diese furchtbaren Ereignisse in der Ukraine. Ich bin so aufgewühlt." Magdalena Ursinus aus Bodenheim in Rheinland-Pfalz hat diese Sätze gesagt. Die Rentnerin zählt seit vielen Jahren zur Stammleserschaft von t-online und hat diese Woche mit weiteren Mitgliedern unseres Leserbeirats, meinem Kollegen Mario Thieme und mir über den Krieg in der Ukraine diskutiert.
So wie ihr ergeht es vielen. "Für mich war Krieg immer weit weg – nun ist er ganz nah", berichtet Tom Zinram. Als Student informiert er sich täglich in vielen Medien, hat aber den Eindruck, dass zwar viel über die Kämpfe in der Ukraine, aber zu wenig über die Vorgänge in Russland berichtet wird. Katja aus NRW wiederum wünscht sich angesichts der vielen düsteren Nachrichten und Bilder mehr konstruktive Vorschläge, wie sich die Gewalt beenden lässt – ebenso wie auch Thomas Eigner aus München. "Journalisten könnten stärker auf die ambivalente Gefühlslage ihrer Leser eingehen", wünscht er sich.
Unser Leserbeirat ist ein wichtiges Forum für uns Redakteure. Durch die Rückmeldungen, Anregungen und auch Kritik können wir unsere Arbeit reflektieren und (hoffentlich) noch besser machen. Diesen Anspruch haben mein Kollege Daniel Mützel und ich in unserem heutigen Podcast beherzigt. Es ist aus mehreren Gründen eine besondere und, wie ich finde, wirklich hörenswerte Ausgabe geworden. Wir gehen den Fragen nach, was wirklich auf den Schlachtfeldern in der Ukraine geschieht, welche Ziele Putins Kremlclique nun verfolgt und was Deutschland und die EU noch dagegen tun können. Hören Sie bitte.
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Nachdem wir den Podcast aufgenommen hatten, erinnerte ich mich an eine Szene, die ich im Jahr 1991 in Moskau erlebt hatte. Während eines Schüleraustauschs traf ich drei junge Männer, nur etwas älter als ich. Wir alberten nachts auf dem Roten Platz herum, sprachen über Schwarzenegger und Gorbatschow. Sie konnten die Songs der Hannoveraner Band Scorpions viel besser singen als ich. Dafür pfiff ich zu ihrer Verwunderung die Melodien der sowjetischen Rocker Nautilus Pompilius.
Plötzlich machte einer der drei ein ernstes Gesicht und fragte mich, ob ich schon mal im Krieg gewesen sei. Natürlich nicht, antwortete ich. Er schon, meinte er, krempelte sein Hosenbein hoch und zeigte mir seinen Unterschenkel. Die Haut war großflächig vernarbt, erst jetzt fiel mir auf, dass er ein wenig humpelte. "Afghanistan", sagte er. "Ich saß im Panzer, als die Mudschahedin uns beschossen. Aber die haben wir ausgeschaltet." Er lachte und klopfte mir auf die Schulter. "Im Krieg gibt es kein Gut oder Böse. Hauptsache, man überlebt."
Damals verstand ich nicht recht, was er meinte. Ich hatte aber auch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn nun beschlossen die Jungs, auf ein paar Gläser zu einem Kumpel weiterzuziehen. Da wollte ich mit. Erst später begriff ich, was er mir damit sagen wollte. Ich las Berichte über den sowjetischen "Einsatz" im afghanischen Bürgerkrieg in den Jahren 1979 bis 1989, über die Gräueltaten der sowjetischen Truppen und über die brutalen Verluste, die ihnen die Mudschahedin zugefügt hatten. Rund 115.000 Sowjetsoldaten kämpften am Hindukusch, nicht viel weniger als jetzt in der Ukraine. Erst als 15.000 Männer gefallen und mehr als 50.000 verwundet waren, zogen sie ab. Geschlagen, zerrüttet, demoralisiert. Die Niederlage gilt heute als Beginn des Zusammenbruchs der UdSSR.
Kann sich die Geschichte im Jahr 2022 wiederholen? Westlichen Geheimdiensten zufolge soll Putins Armee in der Ukraine schon jetzt bis zu 14.000 Soldaten verloren haben, weitere 25.000 seien verwundet. Und der Krieg dauert "erst" sechs Wochen. Nimmt die russische Bevölkerung diesen Blutzoll einfach hin oder sagen die Mütter, Brüder, Schwestern und Ehefrauen der Gefallenen irgendwann: "Jetzt reicht es?"
Putins totalitäres Russland ist ein anderes Land als die totalitäre Sowjetunion. 1989 wehte der Wind von Glasnost und Perestroika durch den Osten, die Leute begannen, Fragen zu stellen, Reformen einzufordern und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die Medien ließen plötzlich Kritik am System zu, es war ziemlich anders als in Putins mafiösem Angstregime. Deshalb ist es zu früh, den Ausgang des Kriegs in der Ukraine zu prophezeien. Aber einige Hinweise auf den weiteren Verlauf gibt es schon. Genau deshalb empfehle ich Ihnen unseren heutigen Podcast. Ich bin gespannt, was Sie von unserem Gespräch halten.
Und vergessen Sie bitte nicht: Abseits der düsteren Nachrichten gibt es so viel Schönes in diesen Tagen. Die Frühlingssonne zwischen Aprilschauern. Die erblühenden Bäume und Sträucher. Nette Menschen, von denen zum Glück viele t-online lesen. Danke für Ihre Treue. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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