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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Papst, die Titanic und die CSU Mia san Papst
Immer, wenn es um Satire geht, um die Verteidigung der Pressefreiheit und um die Religion, immer dann wird es interessant. Nicht, weil der Anlass besonders spektakulär oder daneben ist (es gab schon lustigere "Titanic"-Titelbilder als im aktuellen Fall, auch über die Kirche). Auch nicht wegen der (vonseiten der "Titanic" durchaus erwünschten) einstweiligen Verfügung. Sondern weil sich irgendwann immer jemand heftig vergaloppiert.
Dieses Mal gebührt diese zweifelhafte Ehre Thomas Goppel, Sprecher der Christ-Sozialen Katholiken, MdL in Bayern und Cousin des Augsburger Bischofs. Zwei Sätze waren ausreichend dafür.
"So geht man mit Menschen nicht um, mit dem Papst schon gar nicht", so Goppel im Interview mit der Nachrichtenagentur dadp zum aktuellen Titelbild des Satiremagazins Titanic. Klammern wir einmal die journalistisch und juristisch keineswegs eindeutige Frage aus, wie man denn mit Menschen und ihren Persönlichkeitsrechten umzugehen habe und welche Grenzen dabei einzuhalten seien (Ottfried Fischer und Heide Simonis dürften einiges dazu zu sagen haben). Klammern wir auch die Tatsache aus, dass der deutsche Presserat, der im Monatsrhythmus Beschwerden über die jeweiligen "Titanic"-Titel vorgelegt bekommt, bis zum Erlass der einstweiligen Verfügung lediglich von einer einzigen Beschwerde über die Darstellung päpstlicher Inkontinenz wusste. Und lassen wir auch die Frage außen vor, ob das Titelbild witzig sei oder nicht. Denken wir also nur nach über den zweiten Teil des Goppel’schen Satzes, nämlich über die Bekräftigung, dass der Papst einen besonderen Schutz genieße. Qua Amt, qua Alter, qua Weisheit, man weiß es nicht so genau.
Zurückpoltern kann er
Sicher ist, dass die katholische Kirche bei Herrn Goppel nicht nur aufgrund der familiären Verbundenheit einen Stein im Brett hat. Im "Bayernkurier" schrieb er im Januar 2011: "Wer sich die Mühe macht, weltweit zu vergleichen, welchen Völkern es sozial, kulturell und freiheitlich am besten geht, der wird feststellen, dass die Menschen dort, wo eine christliche Weltanschauung Teil der Staatsräson ist, am besten fahren." Man darf jetzt ruhig nach der Kausalität fragen und danach, was es denn für die Freiheit bedeutet, wenn eine Institution wie die katholische Kirche und ihr höchster Vertreter in einem demokratisch-säkularen Staat so überhöht werden, dass Kritik oder Satire "schon gar nicht" in Ordnung sind. Denn natürlich kann man den Papst angreifen und durch den Kakao ziehen, genauso wie jede andere Person des öffentlichen Lebens – oder eben nicht, wenn dadurch die Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Mit der Würde des Amtes oder der besonderen Stellung von Mutter Kirche hat das jedoch rein gar nichts zu tun.
Herr Goppel selbst ist nicht unbedingt dafür bekannt, zimperlich bei der Wortwahl zu sein und vor ad hominem-Attacken zurückzuschrecken. Laut einem Bericht der "Welt" aus dem Jahr 2002 ist er damals gegen Günter Grass mit dem Satz ins Feld gezogen, er sei lediglich ein "mieser Blechtrommler in der Kavallerie der Links-Literaten". Zurückpoltern kann er, der Herr Goppel.
Und dann ist da der zweite Satz: Am liebsten würde er dem "Titanic"-Chefredakteur "die Lizenz zum Schreiben entziehen". Meinungsfreiheit per Antrag und Genehmigung also. Führerschein, Trauschein, Fahrschein, Schreibschein.
Das ist natürlich Quatsch, "Lizenzen zum Schreiben" gibt es nicht. Legitime und legale Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit werden durch das Parlament beschlossen, durch das Grundgesetz und internationale Rechtsnormen limitiert und durch die Gerichte überwacht. Man muss nicht dem journalistischen Mainstream angehören oder einen bestimmten Schreibstil verfolgen, um publizieren zu dürfen.
Ergänzungsnotwendigkeit des Konservatismus
Überhaupt ist es gerade der CSU-Mann, der in der Vergangenheit durchaus eine Vorliebe für radikale journalistische Meinungen und Magazine an den Tag gelegt hat. In einem Beitrag zum 25. Jubiläum der Zeitung "Junge Freiheit" – einer Zeitung, die beispielsweise dem NPD-Chef Udo Voigt Raum dazu gab, Hitler in einem Interview einen "großen Staatsmann" zu nennen bezeichnete Goppel die "Junge Freiheit" als "Ergänzungsnotwendigkeit" zum journalistischen Mainstream. Er schaue "öfters hinein als in den 'Bayernkurier', weniger oft als in die 'Süddeutsche' oder die 'Augsburger'."
Das ist auch das gute Recht des Herrn Goppel; abseitige Thesen und krude Weltbilder allein rechtfertigen schließlich keine Einschränkungen des Presserechts und sind innerhalb der CSU durchaus salonfähig. Günther Beckstein hat einst von "unnützen Ausländern! fabuliert, Horst Seehofer will "bis zur letzten Patrone" gegen die Zuwanderung in den deutschen Sozialstaat kämpfen (und schießt aktuell sowieso gegen alles und jeden, der nicht bei drei hinter der Kanzlerin in Deckung gegangen ist), und sogar der ehemalige bayerische Landesvater Edmund Stoiber konnte einst mit ernstem Gesicht vor einer "Durchrassung der deutschen Gesellschaft" warnen. Verbieten will die Buam und Madl aus Bayern trotzdem niemand, sondern höchstens abwählen. Die CSU ist eben immer noch die Ergänzungsnotwendigkeit des deutschen Konservatismus: Irgendwie abseitig, manchmal krawallig, aber auf eine leicht angestaubte Art bereichernd für die politische Landschaft. Man würde sich wünschen, dass Goppel gegenüber der "Titanic" eine ähnliche Toleranz an den Tag legte wie der Rest der Nation gegenüber seiner Partei und Person.
Aber vielleicht erledigt sich der Sturm von selbst. Die einstweilige Verfügung ist erlassen, ein Prozess könnte folgen. Dann werden wir sehen, ob neben dem guten Geschmack auch das Persönlichkeitsrecht des Papstes verletzt worden ist. Der Vatikan selbst schweigt bisher. Vielleicht hatte Herr Goppel in einem also doch recht: "Den deutschen Papst interessiert kleinkarierte Mäkelei […] nicht."
Martin Eiermann ist als Leitender Redakteur Mitglied der Chefredaktion von The European und verantwortlicher für die englischsprachigen Seite. Eiermann studierte von 2006 bis 2010 neuere Geschichte und politische Philosophie an der Harvard University. Seit Herbst 2011 lebt er in London und studiert an der London School of Economics and Political Science.