Ampelregierung im Amt Kanzler Scholz sagt Corona den Kampf an – erster Konflikt bahnt sich an
Die Ampelregierung hat die Amtsgeschäfte offiziell übernommen. Zum Auftakt sendet der neue Kanzler eine unmissverständliche Botschaft. Bei der Führung eines Ministeriums zeichnen sich schon Uneinigkeiten ab.
Die erste rot-grün-gelbe Bundesregierung ist im Amt und kann nun mit der versprochenen Erneuerung des Landes beginnen. Der Bundestag wählte am Mittwoch in Berlin den Sozialdemokraten Olaf Scholz zum neunten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er und seine 16 Ministerinnen und Minister erhielten anschließend von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunden.
Bereits am Abend kam das neue Bundeskabinett zu seiner ersten Sitzung zusammen. Vom neuen Kabinett wurde unter anderem ein Organisationserlass gebilligt, der die Zuständigkeiten unter den Ministerien neu verteilt. Davon sind vor allem die Klimapolitik und das Digitale betroffen.
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Scholz verteidigt Pläne für Impfpflicht
In ersten Interviews nach seinem Amtsantritt versprach Scholz einen entschlossenen Kampf gegen die Corona-Pandemie. Anders als auch von ihm erwartet, hätten sich nicht genügend Bürgerinnen und Bürger impfen lassen, sagte Scholz in der ARD-Sendung "Farbe bekennen" am Mittwochabend. Dadurch sei das Corona-Infektionsgeschehen wieder "größer und schlimmer" geworden. Er glaube deshalb, dass eine Impfpflicht "für Februar / März als Perspektive" nötig sei. Dies gebe allen genug Zeit, sich darauf einzurichten.
Scholz wies zurück, dass es in der Frage eine Spaltung der Gesellschaft gebe. "Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben sich impfen lassen", sagte er. "Weil eine lautstarke Minderheit jetzt sehr radikal vorgeht, dürfen wir nicht für die gesamte Gesellschaft eine Spaltung unterstellen." Sein Ziel sei es, zu versuchen, weiter so viele Menschen wie möglich von der Impfung zu überzeugen.
Kanzler Scholz mahnt Russland
Mit Blick auf die russischen Truppenbewegungen und US-Warnungen vor einem Einmarsch in die Ukraine sagte Scholz, dass man die Anstrengungen darauf richten müsse, Russland von einem Konflikt mit der Ukraine abzuhalten. In Interviews mit der ARD, dem ZDF und "Welt"-TV betonte der SPD-Politiker am Mittwoch, dass in Europa das Prinzip der Unverletzbarkeit der Grenzen gelten müsse. "Jeder versteht, dass es Konsequenzen hat, wenn das nicht der Fall wäre", sagte er "Welt"-TV.
Fragen nach einem möglichen Stopp für die Ostsee-Gas-Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Westeuropa bringen soll, wich Scholz aber aus. Es gebe ein "ganz geordnetes Verfahren" zur Inbetriebnahme der Pipeline. "Viele Entscheidungen sind schon getroffen, sonst wäre ja die Pipeline nicht fertiggestellt worden", betonte Scholz. "Ich glaube, dass für alle klar ist, dass wir uns miteinander sehr dafür einsetzen, dass es eben nicht zu den Konfrontationen kommt", fügte er hinzu. US-Vertreter hatten zuvor gesagt, man sei mit Deutschland übereingekommen, im Falle einer russischen Invasion der Ukraine die umstrittene Nord-Stream-2-Pipeline zu schließen.
"Es macht keinen Sinn, dass wir uns mit solchen Szenarien des Scheiterns beschäftigen", betonte Scholz in der ARD. "Wir müssen das Szenario des Gelingens zustande bringen." Nötig sei eine "neue Verständigung" darüber, dass Grenzen in Europa nicht verändert werden dürfen. Scholz erinnerte ausdrücklich an die Ostpolitik der sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Diese hätte gezeigt, dass man auch eine Form der Verständigung mit Ländern mit anderem Regierungsstil als westliche Demokratien zustande bringen könne. Die Welt werde multipolar und man müsse ein Miteinander auch mit Regierungen finden, "die ganz anders sind als unsere".
Boykott bei den Olympischen Spielen?
Scholz reagierte auch gegenüber US-Forderungen nach einem politischen Boykott der olympischen Spiele in China zurückhaltend. "Das ist eine Debatte, die ganz aufgeregt begonnen hat", sagte der SPD-Politiker im ZDF. Man müsse dies sorgfältig international beraten. "Ich jedenfalls finde, dass es hier keinen Anlass gibt, sich vorschnell auf irgendein Vorgehen hinzubewegen", fügte er hinzu. "Rationales Handeln ist ganz, ganz entscheidend für Frieden und Sicherheit." Scholz betonte, dass der olympische Gedanke sei, zusammenzukommen.
Die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland haben bereits angekündigt, wegen Menschenrechtsverletzungen in China keine diplomatischen Vertreter zu dem Sportevent nach Peking zu schicken. China drohte am Dienstag mit Gegenmaßnahmen. Die Athleten wären von einem politischen Boykott nicht betroffen. Die französische Regierung erklärte, es werde eine europaweit koordinierte Entscheidung angestrebt. Scholz wird Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Freitag in Paris besuchen.
Konflikt um Außenpolitik?
Der neue Kanzler wählte damit eine deutlich zurückhaltendere Tonlage als die neue Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die für einen härteren Kurs gegenüber China und Russland eintritt. Am Mittwoch zeichnete sich bereits ein erster Konflikt um die außenpolitische Führungsrolle ab. Während die Grünen die Zuständigkeit ihrer Außenministerin betonen, sehen die Sozialdemokraten eine führende Rolle bei Scholz.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Tag des Amtsantritts der neuen Regierung, dass die deutsche Außenpolitik "insbesondere im Kanzleramt" gesteuert werde. Dieser Einschätzung widersprach der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour, der sich um den Parteivorsitz bewirbt, bei Twitter ausdrücklich: "Das Auswärtige Amt so herabzusetzen, ist die überkommene 'Koch-Kellner-Logik'. Wir sollten auf der Grundlage des Koalitionsvertrags Vertrauen aufbauen, nicht Vorgärten pflegen." Scholz wies in der ARD Vermutungen zurück, dass sich hier ein Konflikt in der Ampelregierung anbahnen könne. Man werde die Außenpolitik gemeinsam betreiben, betonte er.
Weitere Amtsübergaben stehen an
Mit dem Antritt der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP ist die Ära von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach 16 Jahren beendet. Sie übergab am Nachmittag das Kanzleramt an Scholz. Scholz ist der vierte SPD-Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik – nach Willy Brandt (1969-1974), Helmut Schmidt (1974-1982) und Gerhard Schröder (1998-2005). Die CDU stellte bislang die vier Kanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl sowie zuletzt Kanzlerin Merkel.
Die neuen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP haben ihren 177 Seiten starken Koalitionsvertrag unter das Leitmotiv "Mehr Fortschritt wagen" gestellt. Am Mittwoch fand in vielen Ministerien bereits die Übergabe an die neuen Amtsinhaberinnen und -inhaber statt. Weitere Amtsübergaben, etwa die des bisherigen Bundesfinanzministers Scholz an seinen Nachfolger Christian Linder (FDP), sind für diesen Donnerstag angesetzt.
- Scholz im ARD-Interview: "Keine Spaltung der Gesellschaft"
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und afp