Scholz wirbt um Unterstützung Jusos kritisieren Koalitionsvertrag: "Meine Stimmung kippt"
Auf ihrem Bundeskongress kritisieren die Jusos den Koalitionsvertrag. Der wohl künftige Kanzler Scholz verteidigt die Einigung – und gibt der Nachwuchsorganisation einen Tipp.
Wenige Tage vor seiner geplanten Wahl zum Kanzler hat der SPD-Politiker Olaf Scholz die Nachwuchsorganisation seiner Partei zu Zurückhaltung bei der Kritik an den künftigen Koalitionspartnern aufgerufen. "Wenn man sich jemanden sucht, mit dem man skeptisch umgehen will, wäre es ganz gut, wenn es nicht die Leute sind, mit denen ich jetzt gemeinsam auf der Regierungsbank Platz nehmen will", sagte Scholz am Samstag auf dem Juso-Bundeskongress in Frankfurt am Main.
Er finde es sinnvoller, "dass man sich mehr mit der Union beschäftigt als mit denen, mit denen wir jetzt hier den Aufbruch wagen wollen", sagte Scholz. Dies sei "nur ein kleiner Tipp von mir" an die Jusos. Zuvor war auf dem Bundeskongress Unzufriedenheit mit dem Koalitionsvertrag und insbesondere mit dem künftigen Koalitionspartner FDP laut geworden.
Juso kritisiert "gelbe Null"
Etliche Delegierte der SPD-Jugendorganisation hatten Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu Themen wie Grundsicherung oder Migration als nicht ausreichend kritisiert. Mehrere Rednerinnen und Redner warfen etwa der FDP vor, den finanziellen Spielraum der künftigen Regierung durch rigide finanzpolitische Vorstellungen einzuschränken – ein Redner sprach in diesem Zusammenhang von einer "gelben Null".
Kritisiert wurde zudem, dass der Koalitionsvertrag zu wenig Verteilungsgerechtigkeit vorsehe, zu wenig Schutz für Mieter vor Mieterhöhungen biete und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber forcieren wolle.
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Ein Redner kritisierte, dass der Koalitionsvertrag zwar den Umbau von Hartz IV in ein Bürgergeld vorsehe, nicht aber deutliche Erhöhungen der Regelsätze. "Ohne die Erhöhung der Sätze können wir uns das Gerede von der Würde in die Haare schmieren", sagte ein Delegierter. Ein anderer Delegierter beklagte, die "Ampel" wolle "mehr Menschen abschieben als die Union". Er fügte hinzu: "Meine Stimmung kippt. Ich find das einfach nur Scheiße."
Scholz: "Geht um Gesamtleistung"
Juso-Chefin Jessica Rosenthal sagte Scholz die "kritische und solidarische" Unterstützung ihrer Organisation zu. "Wir freuen uns, Dich im Bundestag zum Kanzler zu wählen", sagte sie. Rosenthal war am Vorabend mit 73,2 Prozent der Stimmen als Juso-Chefin wiedergewählt worden. Die Jungsozialisten stellen derzeit 49 der 206 SPD-Bundestagsabgeordneten und haben damit einen deutlich größeren Einfluss auf die SPD-Politik als früher.
Scholz entgegnete der Kritik, dass natürlich nicht alle Anliegen seiner Partei in der Koalition durchsetzbar gewesen seien. Die Ampel habe aber die Chance, das Land trotz aller Unterschiede zwischen den Parteien grundlegend zu modernisieren und auf längere Sicht neue gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich zu bringen. "Es geht um eine Gesamtleistung, die die Regierung zustande bringen muss", sagte Scholz. Er wolle bei den Jusos dafür werben, "dass wir diesen Blick entwickeln".
Kühnert: Unterschiede nicht verschweigen
Scholz betonte, dass das Bündnis von SPD, Grünen und FDP länger als vier Jahre tragen könne. Die Union beginne zu ahnen, dass hier etwas entstehe, "was viel langfristiger ist", fügte er hinzu. Der bisherige Vizekanzler mahnte, dass der Schwung eines Aufbruchgefühls nicht verloren gehen dürfe. "Die Gesellschaft muss angesteckt werden von Zuversicht und Hoffnung." Das sei gerade in den gegenwärtigen schwierigen Zeiten wichtig. "Es geht um eine Gesamtleistung, die diese Regierung zustandebringen muss", betonte Scholz. Wichtig sei, dass alle ihre Arbeit richtig machten – "die Annalena, der Robert, der Christian".
Der stellvertretende Parteivorsitzende Kevin Kühnert betonte am Abend, dass man die politische Konkurrenz kritisieren sollte, auch wenn man mit ihr eine Koalition bilde. Fakt sei, ohne FDP gebe es keine Bundesregierung, aber mit der FDP keine Schließung von Lücken, sagte er mit Blick auf den Bereich Mieten und Wohnen. Die Ampel-Parteien sollten nicht verschweigen, dass sie unterschiedliche Parteien sind.
Scholz soll am 6. Januar gewählt werden
SPD, Grüne und FDP hatten am Mittwoch einen Koalitionsvertrag vorgestellt. Zwei Monate nach der Bundestagswahl legten sie damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung. Was die Parteiführungen ausgehandelt haben, muss noch bestätigt werden. SPD und FDP haben dafür Parteitage am Wochenende 4./5. Dezember geplant. Die Grünen entscheiden in einer Urabstimmung über den Vertrag und die grüne Personalaufstellung für das Bundeskabinett. In der Woche ab 6. Dezember soll Scholz dann im Bundestag zum Kanzler gewählt werden.
Die Grüne Jugend diskutierte am Samstag in Berlin über den Koalitionsvertrag. Trotz Vorbehalten insbesondere in der Sozial- und Klimapolitik empfahl sie ihren Mitgliedern die Zustimmung. "Ampel-Euphorie gibt es bei uns nicht. Niemand steht hier mit ampelfarbenen Konfetti-Kanonen", sagte Grüne-Jugend-Chef Timon Dzienus bei einer Konferenz der Nachwuchsorganisation mit etwa 50 Delegierten aus den Ländern. Er betonte aber auch: "Dieser Koalitionsvertrag eröffnet ein erstes Fenster für Verbesserungen."
- Nachrichtenagenturen AFP, Reuters und dpa