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AfD-Programm nach Parteitag: Radikalisierung mit grotesken Widersprüchen


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Wirres AfD-Programm
Wenn sie wüssten, was sie da fordern

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

10.08.2023Lesedauer: 4 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:230806-911-010642Vergrößern des Bildes
Alice Weidel und Tino Chrupalla: Beim AfD-Parteitag gaben sich die Parteivorsitzenden betont gut gelaunt. (Quelle: Sebastian Willnow/dpa)

Nach dem Parteitag von Magdeburg: Die AfD radikalisiert sich rasant – und ist inhaltlich endlich zu packen. Weil in ihrem Programm groteske Widersprüche stehen.

Wer am Montagabend, als der quälend lange Parteitag der AfD in Magdeburg zu Ende ging, die ARD-"Tagesthemen" geschaut hat, kam um einen Befund nicht herum: Die Radikalisierung dieser Partei hat eine abermals neue Qualität, nein, besser: eine neue Dimension erreicht. Was da am Rednerpult geäußert wurde, war nicht irgendwie nationalkonservativ. Es war rechtsradikal, rechtsextrem. Bei derartigen Statements stand dieses Pult von Magdeburg nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Deshalb hat auch völlig zu Recht Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang in derselben Sendung seines Amtes gewaltet und die Aussagen, die besorgniserregenden Entwicklungen der AfD dort eingeordnet, wo sie hingehören: in den Verantwortungsbereich des Verfassungsschutzes.

Die Führung wird die selbst gerufenen Geister nicht mehr los

Von Lucke bis Höcke: Die AfD hat sich im Wechsel ihrer diversen Führungen über die Jahre rasant radikalisiert. Das Muster war dabei immer das gleiche: die jeweils Vorsitzenden wurden alle miteinander alsbald der Geister nicht mehr Herr, die sie riefen. Irgendwann hat das wilde Tier, das sie herangezüchtet haben, noch jeden ihrer Dompteure aus der Manege getrieben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis selbst die nervenstarke Alice Weidel und der chronisch überforderte Tino Chrupalla dieses Schicksal ebenso ereilt wie ihre Vorgänger und Björn Höcke offiziell übernimmt. Sein "Höckismus" regiert diese Partei jetzt schon.

So bestürzend die Sequenzen sind, die von dieser Veranstaltung zu sehen waren: In Magdeburg wuchs das Rettende auch. Bisher hat die AfD davon profitiert, eine reine Dagegen-Partei zu sein, eine Art Sammlungsbewegung der schlechten Laune. Wenn es aber auf Wahlen zugeht, dann muss auch eine Dagegen-Partei wenigstens in Ansätzen sagen, wofür sie ist. Sie muss von einer Dagegen-Partei zu einer Dafür-Partei mutieren.

Obskurer Spitzenkandidat, diffuses Programm

Im Falle der AfD und mit Blick auf das Thema von Magdeburg müsste man allerdings festhalten: Die AfD ist dort keine Dafür-Partei geworden. Sondern eine Wofür-eigentlich?-Partei.

In Magdeburg ging es um die Vorbereitung der Europawahlen im kommenden Jahr. Kandidaten und Kandidatinnen mussten gefunden und ein Wahlprogramm beschlossen werden. Heraus kamen ein obskurer Spitzenkandidat und ein diffuses Programm. Maximilian Krah, der Spitzenkandidat, soll hier nicht weiter behandelt werden. Über ihn ist viel geschrieben worden. Nur so viel: Befremdlich, was aus einem Mann werden kann, der einmal unter anderem Öffentliches Recht studiert hat, als Rechtsanwalt im deutschen Rechtswesen tätig ist und in dessen Grundsätzen zu Hause sein sollte.

Zum Programm: Eigentlich wollten die Höckisten der AfD in Magdeburg ein "Dexit"-Programm beschließen. Auflösung der Europäischen Union, sonst Austritt Deutschlands. Das konnte der Restbestand an Vernunft gerade noch abbiegen. Heraus kam eine Soft-Version des ursprünglichen Leitantrags.

Die wirrer und widersprüchlicher kaum sein könnte. An einem sehr grundsätzlichen Beispiel festgemacht, das bisher weitgehend unterbelichtet blieb: Im abschließenden Kompromisspapier heißt es in Sachen europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik: "Jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik lehnen wir ab." Europa solle seine Verteidigungsfähigkeit schrittweise in die eigene Hand nehmen.

Ein ungewolltes Plädoyer für mehr EU

Wer einigermaßen gewillt ist, der Logik zu ihrem Recht zu verhelfen, der muss bei dieser Passage irgendwo entweder einen Lachkrampf bekommen oder mit beiden Händen wegwerfend abwinken. Beiseite gelassen, dass eine gemeinsame und eine von den USA autarke EU-Verteidigung seit Jahrzehnten gefordert wird und schlicht nicht annähernd in Sicht ist: Wer das so fordert, fordert nicht weniger Integration innerhalb der EU, sondern mehr.

 
 
 
 
 
 
 

Und zwar an der weitreichendsten Stelle. Gemeinsame Verteidigung, das bedeutet noch weit mehr als eine gemeinsame Währung (die die AfD ablehnt). Gemeinsame Sicherheit, das bedeutet zu Ende gedacht eine gemeinsame Armee, eine gemeinsame Rüstungspolitik – und die Verständigung darüber, dass gemeinsam darüber entschieden wird, in welche Auslandseinsätze man gemeinsam geht und in welche nicht. Unter Umständen dann nicht mehr nach dem Einstimmigkeits-, sondern nach dem Mehrheitsprinzip. Mehr nationale Souveränität kann ein Land nicht abgeben als auf dem Feld von Krieg und Frieden. Und das passt hinten und vorne nicht zu einem Konzept einer "EU der Vaterländer", das die AfD in ihrem Wahlprogramm nun propagiert.

Die AfD hat zeit ihrer Existenz davon profitiert, dass sie wie ein glitschiger Aal inhaltlich nicht zu packen ist. Weil es kaum eigene Inhalte gab. Immer nur ein Dagegen. Nie ein klares Dafür. Das ändert sich mit dem Magdeburger Bundesparteitag. Versierte Angler, die dem Schlängler unter den Fischen nachstellen, halten immer ein paar Bögen Zeitungspapier bereit, mit dem sie nach dem Aal an der Angel greifen, um ihn zu fassen zu kriegen. Die AfD hat dieses Papier in Magdeburg geliefert. Jetzt müssen die politischen Gegner davon intelligent Gebrauch machen.

Kann sein, dass die Hartgesottenen unter den AfD-Affinen auch mit schlüssigen Belegen der hanebüchenen Widersprüchlichkeiten dieser Partei nicht zu überzeugen sind. Aber 20 Prozent der Wählerschaft, die derzeit Sympathie für die AfD bekunden, sind das ganz sicher nicht. Es ist also der edlen Mühe wert, diese inhaltliche Auseinandersetzung zu führen. Und allemal aussichtsreicher als der hilflos anmutende Reflex, wieder mal nach einem Verbot der Partei zu rufen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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