Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rede im Bundestag Ein Wort erwähnt Selenskyj nicht
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei seiner Rede im Bundestag Deutschland für die Unterstützung gedankt. Ein Wort erwähnte er jedoch nicht – was Olaf Scholz gefallen dürfte.
Es war ein historischer Auftritt: Erstmals stand der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich im Deutschen Bundestag am Rednerpult. Vor den Abgeordneten, Mitgliedern der Bundesregierung und geladenen Gästen sprach Selenskyj rund 17 Minuten lang über den russischen Angriffskrieg – und wie er beendet werden könne.
Es war eine emotionale Rede. Selenskyj bedankte sich bei den anwesenden Entscheidungsträgern dafür, dass die "Menschlichkeit in Ihren Herzen obsiegt" habe, dass Deutschland nicht von der Seite der Ukraine gewichen sei. Selenskyj erwähnte insbesondere die von Deutschland gelieferten Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot, die nun ukrainische Städte vor russische Bomben schützten. Dadurch seien "tausende Menschenleben gerettet" worden, sagte Selenskyj und klatschte dankend dem Plenum zu.
Ende des Krieges? "Zu unseren Bedingungen"
Der ukrainische Präsident äußerte sich auch zur Schweizer Friedenskonferenz am Wochenende. Die Ukraine habe sich "nie nur auf die Stärke der Waffen verlassen", so Selenskyj. Auf dem Gipfel kämen über 100 Staaten zusammen, um über Wege zu sprechen, wie man den Krieg beenden könne. Zugleich sei klar, dass die Ukraine "sichere Garantien" brauche, dass "keine Schüsse mehr fallen und das Böse nicht wiederkomme."
Ob der Friedensgipfel in der Schweiz jedoch solche Sicherheitsgarantien hervorbringen wird, ist fraglich. Auch eine Annäherung der Kriegsparteien ist nahezu ausgeschlossen: Russland nämlich ist gar nicht erst eingeladen, China als weiterer mächtiger Akteur hat seine Teilnahme abgesagt. Schon die ersten Verhandlungen seit Beginn der russischen Invasion im März 2022 – die sogenannten Istanbul-Gespräche – sind unter anderem an der Frage von fehlenden Sicherheitsgarantien gescheitert.
"Zeit der Kompromisse vorbei"
Selenskyj stellte im Bundestag trotzdem klar, dass für ihn die "Zeit für Kompromisse vorbei" sei. "Wir werden den Krieg zu unseren Bedingungen beenden." Damit schien Selenskyj einmal mehr Szenarien für ein Einfrieren des Konfliktes an der aktuellen Frontlinie eine Absage zu erteilen. Selenskyj erinnerte in dem Zusammenhang die deutschen Zuhörer an ihre eigene historische Erfahrung in einem geteilten Deutschland.
Die Deutschen würden verstehen, dass die Ukraine sich wehre gegen die Versuche Russlands, das Land zu teilen. "Wir werden nicht zulassen, dass man eine Mauer zwischen uns baut." Und wie sich kurz vor dem Mauerfall kaum jemand habe vorstellen können, dass die Mauer irgendwann verschwinde, glaubten jetzt viele, dass Putin "für immer und ewig" an der Macht sei.
"Aber das ist eine Illusion, die zerstört werden kann", so Selenskyj. Es sei das gemeinsame Interesse der Ukraine und Deutschlands, "dass Putin persönlich verliert". Russland müsse für seine Zerstörungen bezahlen.
Ein Wort erwähnte Selenskyj nicht
Die Rede war voll des Dankes. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen es offene Zweifel am deutsch-ukrainischen Verhältnis und der Zuverlässigkeit der deutschen Ukraine-Hilfe gab. Doch unterhalb der demonstrativen Einigkeit zwischen Selenskyj und Kanzler Olaf Scholz (SPD), wie es etwa beim gemeinsamen Pressetermin auf der Berliner Ukraine-Wiederaufbaukonferenz zu beobachten war, gibt es weiterhin Differenzen zwischen Kiew und Berlin.
Etwa bei weitreichenden Waffensystemen, um die die Ukraine bittet, um die russische Kriegslogistik zu stören. Scholz verweigert bis heute die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus und begründet dies mit möglichen Eskalationsrisiken. Selenskyj erwähnte den Taurus weder im Bundestag noch zuvor auf der Wiederaufbaukonferenz, obwohl dort ein Journalist explizit danach gefragt hat. Scholz dürfte das als diplomatischen Erfolg verbuchen.
Auch gab es in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Reibungspunkte, weil Scholz länger als andere westliche Partner braucht, um bestimmte Entscheidungen herbeizuführen: So hatte Scholz lange gezögert, bis er der Ukraine die Erlaubnis erteilte, auch mit deutschen Waffen auf russische Ziele im russischen Grenzgebiet bei Charkiw zu feuern. Die russische Armee hatte sich das Verbot zuvor zunutze gemacht, um die ukrainische Stadt Charkiw unter anderem mit Gleitbomben unter Beschuss zu nehmen.
Wagenknecht-Truppe bleibt Selenskyj-Rede fern
Überschattet wurde die Selenskyj-Rede von einer Aktion des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) und der AfD. Als der ukrainische Präsident im hohen Haus zu sprechen begann, fehlten sowohl die zehn BSW-Bundestagsabgeordneten als auch ein Großteil der AfD-Fraktion.
Das BSW-Manöver war geplant und angekündigt. t-online hatte bereits am Dienstagmorgen über eine Erklärung des BSW berichtet, mit der die Aktion am Nachmittag begründet werden sollte. Darin heißt es, dass das BSW "den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine" zwar verurteile, Präsident Selenskyj aber aktuell dazu beitrage, "eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern".
Die Aktion wurde parteiübergreifend scharf kritisiert. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, nannte die Abgeordneten des BSW "treue Gefolgsleute des Aggressors und Kriegsverbrechers Putin" (hier lesen Sie weitere Reaktionen auf die BSW-Aktion).
- Selenskyj-Rede im Bundestag