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Operation "Lance Blade" in München
Russische Spione lockten US-Agenten in Hinterhalt


Aktualisiert am 09.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Blick über München (Archivbild): Im Januar 1990 wurde Bayerns Hauptstadt zum Schauplatz einer Spionageaffäre. (Quelle: STL/imago-images-bilder)
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Sowjetische Agenten haben ihren Widersachern in Deutschland eine Falle gestellt. Ein Forscher vermutet, dass kurz nach der Wende ein internationaler Eklat das Ziel gewesen sein könnte.

Januar 1990: Die Berliner Mauer ist gefallen, die Sowjetunion taumelt ihrem Ende entgegen. Über 40 Jahre Kalter Krieg könnten bald der Vergangenheit angehören. Die Perestroika hat das kommunistische Regime in Moskau geöffnet. Doch noch immer ist der Ausgang der Entwicklungen ungewiss. Rivalisierende Strömungen innerhalb der Sowjetunion konkurrieren um Einfluss und Macht. Jederzeit wird ein Rückfall in die Unterdrückung befürchtet.

Eine sehr vertrauenswürdige Quelle

In dieser Gemengelage spielt sich in Deutschlands Süden unbemerkt von der Öffentlichkeit ein Spionagethriller ab, der in der Auseinandersetzung der Großmächte bis heute seinesgleichen sucht. Diese These vertritt zumindest der ehemalige US-Spion Aden Magee in einer wissenschaftlichen Fallstudie, die er vor Kurzem im Fachmagazin "International Journal of Intelligence and Counterintelligence" öffentlich gemacht hat. Er beruft sich dabei auf deklassifizierte Unterlagen des US-Verteidigungsministeriums. Mitten in München stellte der russische Geheimdienst demnach US-Agenten eine Falle – womöglich mit dem Ziel, einen internationalen Eklat zu provozieren. Magee vermutet, dass ein deutscher Doppelagent dabei eine entscheidende Rolle spielte.

Die Affäre entspannte sich demnach im Zuge einer US-Operation zur Überwachung russischer Spione in Bayern, genauer in der damaligen McGraw-Kaserne des US-Militärs im in Münchener Süden, die damals als Geheimdiensthauptquartier fungierte. Dort, so behauptete eine von der CIA als sehr vertrauenswürdig eingestufte Quelle, seien zwei KGB-Agenten aktiv. Der Tipp kam vermutlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Es handele sich um eine Mutter und ihren erwachsenen Sohn. Die Spionageabwehr des US-Militärs folgte der Spur. Die Operation "Lance Blade" begann und wurde den Angaben zufolge zur wichtigsten Spionageabwehroperation der damaligen Jahre.

"Lance Blade" und ihr Sohn

Bald schon konnten die US-Agenten das ungewöhnliche Reiseverhalten des Mutter-Sohn-Gespanns dokumentieren. Jedes Wochenende fuhren die beiden mit dem Auto nach Österreich, manchmal sogar zweimal, um vermeintliche Botendienste für ihre KGB-Führungsoffiziere zu erledigen. Die Schlussfolgerung: Da Mutter (Codename: "Lance Blade") und Sohn (Codename: "Son-of-Blade") keinen Zugang zu geheimem Material hatten, erledigten sie die Kurierfahrten für einen weiteren Spion in der US-Kaserne – einen vermutlich hochrangigen Maulwurf im Dienst der Sowjets. Ihn sollte die US-Operation enttarnen. Dafür wurden die Kuriere überwacht.

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Die von Aden Magee ausgewerteten Akten liefern erstaunliche Details dazu. Die Frau wird demnach als kräftig gebaute Frau Anfang 60 beschrieben, die eine Vorliebe für einen Mantel aus falschem Pelz und viel Make-up hatte. Ihr Sohn sei Anfang 40, etwas übergewichtig, mit beginnendem Haarausfall. Gemeinsam bewohnten sie ein Appartement in München und teilten sich ein Auto. Um sie herum wurde ein dichtes Überwachungsnetz installiert.

Das Netz wird ausgeworfen

In ihren Büros in der Kaserne installierten die US-Dienste Videokameras. Ein Überwachungsposten überwachte fortlaufend Parkplatz und Gebäudeeingang. Autos mit US-Agenten folgten dem Fahrzeug des Duos. Dafür hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz Autokennzeichen zur Verfügung gestellt. Außer Sicht gerieten Mutter und Sohn stets nur für einige Sekunden, wenn sie in die beiden schlecht beleuchteten kleinen Straßen um ihr Appartement einbogen – dort war die Verfolgung mit Autos zu auffällig, weswegen ein separater Agent per Fuß eingesetzt werden musste, um die Ankunft in der Garage zu bestätigen.

Und in diesen Straßen stellten die Sowjets ihren US-Verfolgern an einem Samstag im Januar 1990 eine Falle. Offenbar war ihre Gegenüberwachung unbemerkt geblieben, die die Schwachstellen der US-Überwachung identifiziert hatte. Denn in der Straße war ein US-Agent demnach immer kurz allein.

Der Hinterhalt in München

Nachdem das Mutter-Sohn-Duo in die beiden nächtlichen Straßen abgebogen war, geriet es wie üblich außer Sicht. An der Wohnung kam ihr Fahrzeug dann allerdings nicht an. Also schaute der US-Agent zu Fuß nach dem Rechten und entdeckte das Auto führerlos just an der Stelle, wo der Sichtkontakt zu den Verfolgern abgebrochen war. War von Mutter und Sohn zunächst keine Spur mehr, stellte sich schnell heraus, dass der US-Agent dort nicht allein war. Autor McAgee schildert die Situation brisant.

Hinter dem US-Beschatter näherte sich in einiger Entfernung ein Fußgänger – während ihm eine Frau entgegenkam, die zwar wie die verfolgte KGB-Spionin gekleidet, aber bei näherem Anschein sehr viel jünger war. Sie passierte ihn zunächst auf der anderen Straßenseite, um ihn anschließend auf gleicher Höhe zu verfolgen. Gleichzeitig schloss der unbekannte Fußgänger von hinten schnell auf. Andere US-Agenten meldeten weitere feindliche Kräfte. Dann wechselte die angebliche Mutter auf seine Straßenseite. Bevor er eingekesselt werden konnte, entkam er auf die Hauptstraße. Schnell wurde die Operation abgebrochen.

Der Doppelagent im deutschen Dienst

Magee schlussfolgert, dass es sich nicht, wie zunächst angenommen, um eine übliche sowjetische Operation zur Aufklärung der US-Überwachung gehandelt habe. Es gebe für Spione keinen Grund, ihre Widersacher derart aggressiv zu verfolgen, denn dies sei stets auch eine Gefahr für die politischen Beziehungen. Es müsse sich aber trotzdem um den Versuch gehandelt haben, den US-Agenten zu isolieren. Für einen Mord? Eine Entführung? Die Nacht in München sei ohne Präzedenz und bis heute nicht völlig aufzuklären.

Tatsächlich reihe sie sich aber in eine Reihe von feindlichen Aktivitäten des KGB in der Schlussphase der Sowjetunion. Denn während Gorbatschows Perestroika die Sowjetunion etwas liberalisierte, versuchten Hardliner in der Partei und der Geheimdienst die Reformen zu revidieren. Dafür schürten sie den Konflikt mit den USA – und könnten es auf einen internationalen Zwischenfall angelegt haben.

Während die Motive der KGB-Spione im Dunkeln bleiben, hat Magee eine plausible Theorie, was sie zu ihrer Operation befähigte. Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurde wenig später ein Doppelagent namens Klaus Kuron enttarnt. Die US-Dienste waren von Beginn an skeptisch, den deutschen Nachrichtendienst in die Operation einzubinden, weil sie eine Unterwanderung der Behörde durch die Stasi befürchteten. Doch vermutlich kam der ursprüngliche Tipp ohnehin vom BfV.

Kuron, so stellte sich heraus, hatte über Jahre Überwachungsoperationen westlicher Geheimdienste an den Feind verraten. Und nicht nur das: Er gestand auch, irreführende Hinweise auf sowjetische Operationen gegeben zu haben. Und: Die US-Geheimdienste waren für die Überwachung auf die Nummernschilder des deutschen Dienstes angewiesen – für deren Genehmigung unter anderem Kuron zuständig war. Vermutlich waren die US-Dienste von Anfang an einer falsch gelegten Spur aufgesessen.

Verwendete Quellen
  • Aden C. Magee (2023): Counterintelligence Black Swan: KGB Deception, Countersurveillance, and Active Measures Operation, International Journal of Intelligence and CounterIntelligence, DOI: 10.1080/08850607.2023.2192374
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