"Sonst war's das mit der Zeitenwende" Bundeswehrverband: Truppe nicht abwehrbereit
Der Bundeswehrverband kritisiert zu langsame Investitionen in die Streitkräfte. Von der Scholz'schen Zeitenwende sei wenig zu spüren.
Ein Jahr nach der Ankündigung von 100 Milliarden Euro schweren Investitionen in die Bundeswehr zieht der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, eine kritische Zwischenbilanz. "Für die Soldaten hat sich seitdem noch nichts spürbar verbessert", sagte er der "Bild am Sonntag". Dies sei zwar in der Kürze der Zeit auch kaum möglich. "Dennoch braucht es mehr Tempo. Ob bei Material, Personal oder Infrastruktur, es braucht in dieser Legislaturperiode eine echte, in der Truppe spürbare Wende, sonst war's das mit der Zeitenwende."
Am 27. Februar 2022 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine "Zeitenwende" verkündet, bei der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden sollten.
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Keine Haubitzen nachbestellt
Wüstner hält die Bundeswehr derzeit weder für voll einsatzfähig, noch für abwehrbereit. "Das war die Bundeswehr zu Beginn des Kriegs in der Ukraine schon nicht. Aktuell erfüllt sie die zugewiesenen Aufträge, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in die Nato künftig einbringen müssen", sagte Wüstner. Durch die Materiallieferungen an die Ukraine seien weitere Lücken entstanden. "Ich zweifle, ob wir die Zusagen an die Nato ab 2025 erfüllen können, wenn wir nicht endlich beschleunigen. Deutschland hat rund 60 Flugzeuge, 20 Schiffe, 20.000 Soldaten und 7.000 Fahrzeuge zugesagt."
Es gehe bei der Materialbeschaffung noch viel zu langsam voran. "Wir haben bis heute keine einzige Panzerhaubitze, die wir im letzten Jahr an die Ukraine abgegeben haben, oder gar Ersatzteilpakete dafür neu bestellt", sagte Wüstner. "Das führt dazu, dass bereits weitere unserer wenigen verbliebenen Haubitzen stillgelegt und als Ersatzteillager genutzt werden. Die Folge ist, dass die materielle Einsatzbereitschaft der Artillerietruppe weiter sinkt."
Deutschland müsse beim Thema Rüstung wieder größer denken. "Es wird nur einen Turnaround in der Produktion geben, wenn man der Industrie frühzeitig mitteilt, wie viele Kampfpanzer, Munition und Geschütze die Bundeswehr in den nächsten zwei bis fünf Jahren benötigt, und dafür Abnahmegarantien gibt", meinte er. "Es muss möglich sein, dass monatlich wieder zehn statt drei Leopard-Panzer vom Band rollen."
Heeresinspekteur: Sondervermögen reicht nicht
Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr wird nach Einschätzung von Heeresinspekteur Alfons Mais nicht für eine Vollausstattung ausreichen. Der Generalleutnant verzeichnet aber Fortschritte im Beschaffungsprozess. "Ich sehe einen sehr großen Druck, die Nachbeschaffungen jetzt mit größtem Tempo voranzubringen. Wir haben die Leopard-Panzer noch nicht abgegeben und überlegen richtigerweise schon, wie wir sie schnellstmöglich ersetzen können", sagte Mais der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Bei der Panzerhaubitze und bei den Raketenwerfern hat es sehr lange gedauert, aber auch dort ist jetzt ein extrem hoher Druck drauf."
Neben dem Ersetzen von Material, das an die Ukraine abgegeben wurde, sei der "materielle Aufwuchs in Richtung Vollausstattung" wichtig, betonte Mais. "Das Sondervermögen alleine wird dafür jedoch nicht reichen."
- Nachrichtenagentur dpa