Gas-Knappheit Laufzeit für Atomkraft verlängern? TÜV widerspricht Habeck
Sollen Atomkraftwerke wegen der Gassituation in Deutschland weiter betrieben werden? Die Meinungen gehen auseinander. Nun liegt ein neues Gutachten des TÜVs vor.
Vor dem Hintergrund explodierender Strom- und Gaspreise mehren sich in der Politik und Wirtschaft die Stimmen, die sich für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten aussprechen. Ein TÜV-Gutachten zeigt nun auf, dass ein Weiterbetrieb durchaus möglich wäre.
Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Debatte über längere AKW-Laufzeiten abgelehnt. Er verwies auf die Aussage von Experten, wonach die Brennstäbe in den drei verbliebenen Meilern nur noch bis Ende des Jahres reichten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat eine Verlängerung prüfen lassen. Fazit: "Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen."
Derzeit laufen noch drei Anlagen: Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim II in Baden-Württemberg sowie Isar II in Bayern. Sie decken mit insgesamt 4.300 MW Leistung im Durchschnitt etwa 30 TWh pro Jahr ab, rund fünf Prozent der deutschen Stromproduktion.
TÜV Süd veröffentlicht Gutachten
Der TÜV Süd hat ein Gutachten veröffentlicht, die ein etwas anderes Bild darlegen: Darin heißt es, es gebe keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen einen Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Isar 2 über das Jahresende hinaus. Auch eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C in Gundremmingen sei "aus technischer Sicht möglich", heißt es in einem vom bayerischen Umweltministerium in Auftrag gegebenen Gutachten.
Das Schreiben stammt vom 14. April, wurde aber erst jetzt bekannt. Zuvor hatten mehrere Medien darüber berichtet. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) liebäugelt angesichts der hohen Energiepreise mit einer kurzfristigen Laufzeitverlängerung, von anderer Seite wird sie abgelehnt.
In dem siebenseitigen Schreiben des TÜV Süd gehen die Experten davon aus, dass der Weiterbetrieb beziehungsweise die Wiederaufnahme des Betriebs für einige Monate mit bereits vorhandenen Brennelementen möglich wäre. Für Isar 2, das eigentlich zum Jahresende vom Netz gehen soll, sehen sie dabei Potenzial, bis August 2023 zusätzlich 5160 Gigawattstunden Strom zu produzieren.
In Gundremmingen sei es aus Sicht des TÜV Süd "plausibel", mit vorhandenen Brennelementen einen Reaktorkern zusammenzustellen, der für etwa sechs Monate laufen und 4.900 Gigawattstunden Strom erzeugen könnte. Zum Vergleich: Zusammen wären das etwa 2,4 Prozent des vergangenen Jahres in ganz Deutschland ausgelieferten Stroms.
Isar 2: Nachbestellung möglich
Isar 2 wird von der zu Eon gehörenden Preussenelektra betrieben, für Block C von Gundremmingen ist RWE verantwortlich. Für Isar 2 wäre laut TÜV Süd sogar eine Nachbestellung von Brennelementen binnen 12 Monaten möglich – das wäre noch rechtzeitig vor dem Ende der als möglich eingeschätzten Stromproduktion bis Ende August 2023.
Auch die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm sprach sich für längere Laufzeiten der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke aus. "Für die kommenden Jahre, in denen wir noch nicht ausreichend Erneuerbare Energien zur Verfügung haben, kann die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke etwas Luft verschaffen", sagte Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Atommeiler sollen eigentlich Ende 2022 vom Netz gehen. Russlands Drosselung der Gaslieferungen hat die Debatte um eine Laufzeitverlängerung aber neu entfacht.
"Auswirkungen müssen adressiert werden"
Die Wirtschaftswissenschaftlerin, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, warnte vor einem Zusammenbrechen der Lieferketten, sollte Russland Deutschland kein Gas mehr liefern. "Die Auswirkungen müssten dann mit staatlichen Hilfsmaßnahmen adressiert werden, ähnlich die in der Corona-Pandemie: Unternehmenshilfen und Kurzarbeit", sagte Grimm.
Je nach Szenario würde bei einem russischen Lieferstopp beim Gas die deutsche Wirtschaftsleistung um 0,5 bis 6 Prozent sinken, im Extremfall sogar um 12 Prozent. "Je geringer die Gaslücke, desto geringer auch die Auswirkungen auf die Lieferketten. Daher gilt es jetzt, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Gas einzusparen", mahnte Grimm. Es sollte Anreize für die Haushalte geben, Gas zu sparen.
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
- ntv: TÜV-Gutachten widerspricht Habeck bei Atomkraftwerk Isar 2