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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mit "Bild" und Eile Die seltsamen Umstände des Laschet-Besuchs im Flutgebiet
Vor überschwemmten Straßen hat Ministerpräsident Armin Laschet ein Interview gegeben – während die Stadtverwaltung nichts von seinem Besuch wusste. Die Reise des CDU-Kanzlerkandidaten ins Flutland Westfalen.
Ministerpräsident Laschet hatte es eilig. So eilig, so spontan war am Donnerstagmorgen sein Besuch im vom Hochwasser nahezu abgeschnittenen Altena in Westfalen, dass selbst seine Staatskanzlei noch kurz zuvor einen nächtlich für die Presse anberaumten Termin im wenige Kilometer entfernten, ebenfalls überfluteten Hagen noch am Morgen bestätigte, ohne eine Verzögerung zu erwähnen. So eilig, dass selbst die Altenaer Stadtverwaltung nicht über seinen kurzfristigen Besuch informiert wurde.
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"Herr Laschet war definitiv nicht vor Ort"
Noch als Laschet mit Gummistiefeln, CDU-Landrat Marco Voge und Rettungskräften im Stadtgebiet unterwegs war, wusste man dort von nichts. "Herr Laschet war definitiv nicht vor Ort", sagte Stadtkämmerer Stefan Kemper t-online, als die Deutsche-Presseagentur erstmals um 10.08 Uhr über den Besuch des Landeschefs berichtete und sich dabei auf Informationen aus Regierungskreisen berief. Selbst als Laschet sich längst wieder auf den Weg gemacht hatte, konnte niemand im Rathaus seinen Abstecher bestätigen.
Wem Laschets Tour ins Flutgebiet hingegen nicht verborgen geblieben war, waren Reporter der "Bild"-Zeitung. Deutschlands größtes Boulevard-Medium, das seit Wochen Laschets grüne Gegenkandidatin Annalena Baerbock unter Dauerfeuer nimmt, war schon live mit Laschet vor den Altenaer Fluten, als man im Rathaus noch rätselte, ob der Ministerpräsident, der bald für die CDU Bundeskanzler werden will, denn tatsächlich vor Ort war.
Laschet hatte, so später die Vermutung dort, die von der Autobahn 45 günstig, weil hochgelegene, Rettungsleitstelle aufgesucht und sich dort mit dem Kreisbrandmeister getroffen. Von dort aus, mutmaßte Kämmerer Kemper, sei Laschet dann vermutlich an eine "Gefahrenrandlage" herangefahren. "Uns hier unten hätte er eh nicht erreichen können", sagte Kemper. "Ganz bewusst ohne Medienbegleitung" sei der Besuch geplant worden, sagte ein Sprecher der Kreisverwaltung t-online.
"Das ist eine zu ernste Lage"
"Das ist keine Frage, mit der man Bilder erzeugen will", sagte Laschet dazu, als er schließlich gegen 12.30 Uhr bei der Hagener Feuerwehr mit dem dortigen Oberbürgermeister Erik Schulz vor die Presse trat. "Das ist eine zu ernste Lage." (Das Statement von Laschet sehen Sie oben im Video oder hier.) Nichtsdestotrotz hatte das Social-Media-Team seiner Staatskanzlei da bereits eine Stunde zuvor Bilder seines Besuchs über Twitter verbreitet. Ganz zu schweigen von der "Flut-Interview" betitelten Live-Schalte auf der Homepage der "Bild"-Zeitung, in der Laschet bereitwillig Rede und Antwort stand, während in Hagen der dortige Krisenstab anderthalb Stunden auf ihn wartete.
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Eine kritische Nachfrage zur Organisation seines Besuchs im Krisengebiet wiegelte Laschet ab. Er sei schließlich mit dem zuständigen Landrat vor Ort gewesen und habe die Kreisleitstelle der Feuerwehr besucht. "Sie können sich vorstellen, was das für einen Kreisbrandmeister bedeutet, wenn ein Kamerad das Leben verliert." Am Tag zuvor war ein 46-jähriger Feuerwehrmann und Vater bei einer Rettung in Altena gestorben, ein weiterer in Werdohl an einem Herzinfarkt. In eindringlichen Worten erinnerte Laschet deswegen daran, dass Familien um Männer trauerten, die sich für die Gemeinschaft eingesetzt haben, und dankte den Rettungskräften überall im Land.
"Wir sind ja froh, wenn er da ist"
Übel nehmen wollte deswegen auch der Altenaer Kämmerer Kemper Laschets Besuch ohne Nachricht nicht. "Wir sind ja froh, wenn er da ist und sich das anschaut." Am Abend zuvor habe man schließlich bereits persönlichen Kontakt zur Landesregierung gehabt.
Denn in Altena und Hagen, wie auch anderswo in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, kämpfen Feuerwehr und Technisches Hilfswerk, die Rettungsdienste und Krisenstäbe zum Teil mit Unterstützung der Bundeswehr und der Polizei unter immensen Anstrengungen gegen die Flut. Bislang starben mindestens 45 Menschen. Vielerorts bietet sich ein Bild der Zerstörung. "Hagen sieht aus wie ein Schlachtfeld", sagte Lennard Schwerdtfeger t-online.
Der 37-jährige Wirtschaftsingenieur hat nach eigener Aussage noch so gerade die Stadt verlassen können. Er sei zur Arbeit gefahren, in Schlangenlinien: durch Schutt, durch Dreck. "Ich habe es gerade noch so auf die Autobahn geschafft." Zerstörte Straßen, weggeschwemmte Autos, Nachbarn, die notdürftig versuchten, ihre Häuser mit Paletten zu schützen. "So habe ich Hagen noch nie gesehen."
"Bundeswehr hat die Straßen freigemacht"
Am Morgen dann trafen 180 Soldaten des Panzerpionierbataillons 130 aus Minden ein und brachten einen Dachs 2 in Stellung, der zum Baggern, Räumen und Heben dient. Schon vor dem Panzereinsatz habe die Bundeswehr enorme Hilfestellung gegeben. "Die Bundeswehr hat die Straßen freigemacht", sagte Laschet. Berlin habe den Einsatz zum Glück schnell bewilligt. Kein Ortsteil sei mehr abgeschnitten. Das war eine neue Entwicklung, die er verkünden konnte, denn kaum eine Stunde zuvor hatte Bürgermeister Erik Schulz noch davon gesprochen, dass einige Ortsteile weiterhin abgeschnitten seien.
Ähnlich sah die Lage anderswo im Westen aus. In Wuppertal und Radevormwald drohten in der Nacht, Talsperren ganze Ortschaften zu überfluten. Ein Damm drohte zu brechen, ebenso im Kreis Euskirchen. Mit dringenden Warnungen ("Lebensgefahr") wurden Anwohner gebeten, ihre Häuser umgehend zu verlassen und sich in Sicherheit zu begeben. Menschen mussten mit Booten evakuiert werden, weil Straßen nicht mehr befahrbar waren. Weite Teile der Wuppertaler Innenstadt waren unter Wasser und ohne Strom, wie ein t-online-Reporter berichtete.
Krankenhaus bis ins Erdgeschoss überflutet
Im Kreis Ahrweiler, wo die Katastrophe bereits zahlreiche Menschen das Leben gekostet hat, berichteten Betroffene t-online von kaputten, zerstörten und nicht befahrbaren Brücken. Krankenhauspersonal konnte in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Arbeitsplätze nicht erreichen. "In der Knappschaftsklinik sitzt eine Kollegin von mir mit einem Arzt und circa 120 Patienten, die noch nicht evakuiert wurden", sagte Simone Schüler, die stellvertretende Pflegedienstleiterin, vor einer zerstörten Brücke t-online. "Ohne Essen, ohne alles, weil das Haus bis ins Erdgeschoss überflutet ist."
Auch dort im Kreis war die Bundeswehr mit Transport- und Rettungshubschraubern im Einsatz. Auch dort wollten SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Kanzlerkandidat Olaf Scholz sich am Donnerstag ein Bild von der Lage machen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte bei Twitter: "Ich bin erschüttert über die Katastrophe, die so viele Menschen in den Hochwassergebieten durchleiden müssen. Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Toten und Vermissten. Den vielen unermüdlichen Helfern und Einsatzkräften danke ich von Herzen."
Auch Laschet würdigte bei seinem Besuch in Hagen und Altena besonders den Einsatz der vielen Rettungskräfte. Die frühe Reaktion der kommunalen Krisenstäbe habe Schlimmeres verhindert. Die Katastrophe mache aber anschaulich, dass der Klimaschutz weiter forciert werden müsse. Die zunehmenden Starkregen- und Hitzeereignisse seien mit dem Klimawandel verbunden. Versäumnisse seiner Landesregierung sah er nicht.
Und auch meinte Laschet sich zu erinnern, dass es einen Kontakt zum Altenaer Bürgermeister gegeben habe, als er vor Ort war. Der habe die Delegation der Landesregierung aber aufgrund der Fluten nicht erreichen können. Eine Bestätigung aus dem Rathaus gab es zu einem solchen Telefonat nicht. Als Laschet der "Bild" sein "Flut-Interview" gab, hieß es von dort: "Herr Laschet war definitiv nicht da."
- Eigene Recherchen
- Berichte von Reportern aus Hagen, Wuppertal, Köln und Ahrweiler
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa