Presseschau zu Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt "Die CDU hat die Wahl zwischen Pest und Cholera"
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff hat seinen Innenminister Stahlknecht entlassen. Dessen Rücktritt als Parteichef belastet nicht nur die Landes-CDU. Auch auf Bundesebene droht der Union Ärger.
Der Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Am Freitag verkündete Ministerpräsident Reiner Haseloff, dass er Innenminister Holger Stahlknecht (beide CDU) entlässt. Kurz darauf gab Stahlknecht auch seinen Posten als CDU-Landesvorsitzender auf. Zuvor war ein Interview des Ex-Innenministers mit der "Magdeburger Volksstimme" erschienen, das offenbar für einen Vertrauensbruch zwischen Haseloff und Stahlknecht sorgte. So bewertet die deutsche Presse das Debakel:
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die Entlassung Stahlknechts als Innenminister ist schon der zweite Streich Haseloffs. Der erste bestand darin, dass er Stahlknechts Hoffnungen durchkreuzte, sein Nachfolger zu werden. Mehrere Fehltritte, die Stahlknecht zugeschrieben werden, hatten das Vertrauensverhältnis belastet. Auch dabei spielte der Flügelkampf in der CDU im Hintergrund eine wichtige Rolle. Haseloff bekämpft die AfD, andere waren und sind kompromissbereiter. Dieser Konflikt spielt auch die Begleitmusik zur aktuellen Koalitionskrise und wird die CDU weiter durchschütteln – nicht nur in Magdeburg. (...) Stahlknecht hätte zwar wissen müssen, dass sein Vorstoß als Versuch gedeutet werden würde, Haseloff zu stürzen. Das aber als Munition zu nutzen, um die Koalitionskrise anzuheizen, ist vorgezogener Wahlkampf."
"Volksstimme" (Magdeburg): Die CDU hat die Wahl zwischen Pest und Cholera. Für Sachsen-Anhalts Union käme es einerseits knüppeldick, wenn sie und die in Teilen rechtsextreme AfD den Rundfunkvertrag kippen sollten. Vom „Dammbruch nach Rechts“ wäre dann die Rede, von „Steigbügelhaltern für Nazis“ und ja, die AfD würde feiern. Die Union müsste bundesweit massive Kritik aushalten. Sachsen-Anhalt bekäme ein Imageproblem. Andererseits würde ein Umfallen der CDU in dieser zentralen Frage der Partei vor allem in Sachsen-Anhalt noch mehr schaden. Warum soll sie jetzt eine Position aufgeben, die seit vielen Jahren bekannt ist? Auch davon würde die AfD profitieren.
"Handelsblatt" (Düsseldorf): "Nun schwebt also über allem die Frage: Wie hält es die CDU mit der AfD? Formal ist die geklärt: Der Bundesparteitag hat eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit ausgeschlossen. In der Realität fühlt sich aber offensichtlich nicht jeder daran gebunden. Gerade in Sachsen-Anhalt gab es immer wieder Avancen in Richtung AfD. Die Brandmauer nach rechts ist nicht so stabil, wie sich das viele nach den Vorkommnissen in Thüringen erhofft hatten. Die Bundes-CDU hält sich bisher zurück. Das mag richtig sein, da Ermahnungen aus Berlin eher kontraproduktiv wirken dürften. Es ist aber auch dem Vakuum an der Parteispitze geschuldet. Es ist niemand da, der ein Machtwort sprechen könnte."
"Badische Neueste Nachrichten" (Karlsruhe): "Um die 86 Cent geht es schon lange nicht mehr, sondern ums Prinzip. Die CDU in Magdeburg hat sich schon vor langem und unmissverständlich auf ihr Nein festgelegt. Doch damit hat sie sich in eine Falle manövriert, aus der sie nicht mehr herauskommt. Mit ihrem Nein steht sie mittlerweile alleine auf weiter Flur, nachdem alle anderen Länder trotz massiver Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen der Erhöhung zugestimmt haben. Bleibt die CDU bei ihrer Haltung, macht sie gemeinsame Sache mit der AfD, was automatisch den Bruch der Koalition zur Folge hätte."
"t-online" (Berlin): Wie groß die Sprengkraft dessen ist, was in Magdeburg passiert, zeigt ein Blick auf das, was im Februar in Erfurt passierte: Damals wählte die CDU gemeinsam mit AfD und FDP Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten. Von einem "Dammbruch" war damals parteiintern die Rede. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer versuchte einzugreifen, scheiterte – und musste auch deshalb schließlich ihren Rückzug von der CDU-Spitze ankündigen. Nun steht der nächste CDU-Landesverband vor einer Zerreißprobe. Ein Innenpolitiker der CDU sagte t-online: "Und wieder steht ein Landesverband vor den Trümmern der eigenen Existenz. Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?"
"Welt" (Berlin): Der Konflikt in Sachsen-Anhalt zieht sich inzwischen durch so viele inhaltliche, politische und auch persönliche Ebenen, dass er von Tag zu Tag unlösbarer erscheint. Um den Kern der Auseinandersetzung – die Alimentierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – geht es immer weniger. Nun kommt auch noch ein Machtkampf in der CDU dazu. Bisher war die Lage in der Union unübersichtlich, nun wird sie zunehmend chaotisch.
"Hessische Niedersächsische Allgemeine" (Kassel): "Ein halbes Jahr vor der nächsten Wahl in Sachsen-Anhalt, stellt sich die Frage nicht nur für die CDU neu: Wie hältst du es mit der AfD, wenn sie so stark wird wie dort? In Magdeburg stellen die Rechten die zweitstärkste Fraktion. Die Linke kassierte dort ihre ablehnende Meinung zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags nur deswegen, damit sie nicht mehr dieselbe Meinung vertreten muss wie CDU und AfD. So viel Flexibilität ist von den Christdemokraten nicht zu erwarten. Auch deswegen wirkt Reiner Haseloff wie ein Feldherr ohne Truppe. Er hat getan, was er tun konnte. Über alles Weitere entscheidet nun die CDU-Fraktion. Bis zur Neuwahl im Juni."
"Spiegel" (Hamburg): Die Krise in Sachsen-Anhalt hat der CDU eine Entscheidung aufgezwungen. Sie muss sich nun festlegen: Steht sie weiterhin bei den Parteien, die die AfD konsequent ausgrenzen? Oder ist sie bereit, entgegen ihren eigenen Beschlüssen den Rechten Gestaltungsmacht und damit Akzeptanz zu verschaffen? In Magdeburg wird auch über die Zukunft der gesamten Union verhandelt. Keine Frage, paktieren die Konservativen erst einmal mit der AfD – und sei es nur indirekt – dürfte auch anderswo die Hemmschwelle sinken, es im Zweifel doch einmal mit den Rechten zu versuchen. Ein solcher Tabubruch wäre eine gewaltige Belastung für die Bundes-CDU. Jede neue Parteispitze dürfte es in Zukunft dann schwer haben, sich noch nachvollziehbar von den Radikalen abzugrenzen. Das bringt die Union kurz vor dem Start des Bundestagswahlkampfs in eine brisante Situation.
- Eigene Recherchen
- Nachrichtenagentur dpa