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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Koalition diskutiert über Grundrente Wer mehr Geld bekommen soll und wer nicht
Die Grundrente soll Rentnern helfen: Es geht mitunter um mehrere Hundert Euro im Monat. Doch die Koalition kann sich nicht einigen, wer genau davon profitieren soll. Findet sie in dieser Woche einen Kompromiss?
Eine Einigung schien so nah, dann vertagte der Koalitionsausschuss die Diskussion über die Grundrente noch einmal. Am kommenden Sonntag soll nun weiterverhandelt werden. Worum geht es in dem Streit?
Was unstrittig ist
Dass Menschen, die 35 Jahre lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, mehr Rente bekommen als nur die Grundsicherung, die das Existenzminimum im Alter darstellt und die auch erhält, wer nie gearbeitet hat. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Einführung einer Grundrente 10 Prozent über der Grundsicherung für alle, die ein Leben lang gearbeitet haben, unter Einbeziehung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten." Das war ein Wunsch der SPD, in dieser Form ließen sich CDU und CSU darauf ein.
Was grundsätzlich strittig ist
Ob es eine sogenannte "Bedürftigkeitsprüfung" geben soll: Ob also einfach jeder, der nur die Grundsicherung im Alter bekommt, aber 35 Jahre gearbeitet hat, mehr Geld bekommt – oder ob individuell geprüft wird, ob jemand etwas dazuverdient oder Mieteinnahmen hat oder ob der Lebenspartner mehr Rente bekommt. Im Koalitionsvertrag steht klar, dass eine "Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung" Voraussetzung sei.
Was die Regierungsparteien wollen
Politiker der SPD argumentieren, es gehe gerade nicht um eine Sozialleistung, wo es auf die Bedürftigkeit ankomme, sondern um eine Entlohnung für ein Leben voller Arbeit, deshalb dürfe nur zählen, ob jemand gearbeitet hat. Außerdem würden sonst viele keine Grundrente beantragen, weil sie den Vorgang und die Durchleuchtung beim Amt als entwürdigendes Bittstellen empfinden würden. Deshalb müsse man vom Koalitionsvertrag abweichen.
CDU und CSU drängen entschieden darauf, dass vor Auszahlung geprüft wird. Politiker der Union argumentieren, sonst werde das Paket zu teuer, das sei für jüngere Menschen ungerecht. Und sie fordern Härte, damit nicht jemand profitiert, der oder die es nicht braucht. Jens Spahn (CDU), der Bundesgesundheitsminister, sagte neulich, eine Grundrente könne es nur mit einer "harten Einkommensprüfung" geben.
Um welche Summen geht es?
Wie viel jemand mehr bekommen würde, würde von den sogenannten Rentenpunkten abhängen – also davon, wie viel jemand verglichen mit dem Durchschnitt verdient hat, wie viele Kinder er oder sie hat, ob jemand Angehörige gepflegt hat und ob er aus dem Westen oder Osten kommt.
Pro Person geht es nach dem SPD-Vorschlag um maximal 448 Euro mehr im Monat, für die meisten Menschen also wohl um einige Hundert Euro.
Was politisch passierte
Der Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) legte ohne Abstimmung mit den anderen Ministerien einen Vorschlag vor, der keine Bedürftigkeitsprüfung vorsah. Seitdem laufen Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen. Jetzt scheint sich eine Einigung anzudeuten, ein Kompromiss, sodass zwar weniger Menschen profitieren würden, als die SPD zunächst wollte, aber mehr, als ursprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehen.
Wer genau soll mehr bekommen? Um wen geht es?
Die SPD behauptet, dass von ihrem ursprünglichen Modell rund drei Millionen Menschen profitieren würden, zu rund 80 Prozent Frauen. Sie beruft sich auf eigene Berechnungen auf Grundlage von Daten der Rentenversicherung.
Nach Recherchen des MDR hätten im strengen Modell mit Bedürftigkeitsprüfung mindestens 130.000 Menschen Anspruch auf die Grundrente. Das sind diejenigen, deren Haushaltseinkommen den Behörden jetzt schon bekannt ist. Schätzungen des DGB zufolge könnten bis zu 200.000 Menschen profitieren.
In den meisten Fällen, die ohne Prüfung mehr Geld bekämen, dürfte es um die Rente eines Partners gehen. Verdi etwa schildert das Beispiel einer Frau, die 700 Euro Rente bekommt, während ihr Mann 1.500 Euro gesetzliche Rente und 500 Euro Betriebsrente erhält. Ohne Prüfung bekäme die Frau demnach 385 Euro mehr. Mit Prüfung würde die Rente des Mannes angerechnet, sie bekäme nicht mehr Geld.
Was würde das kosten?
Heil und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) veröffentlichten ein Konzept zur Finanzierung. Darin kalkulierten die Ressorts mit zunächst 3,8 Milliarden Euro und später dann 4,8 Milliarden Euro. Finanziert werden solle das über die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Hoteliers und eine Finanztransaktionssteuer, von der allerdings unklar ist, ob sie überhaupt kommt und wenn, wann.
Die Union besteht nach dpa-Informationen darauf, dass die Grundrente nicht mehr als zwei Milliarden Euro kosten darf.
Wie könnte ein Kompromiss aussehen?
Die Union verlangt kategorisch eine Bedürftigkeitsprüfung, ganz ohne wird es wahrscheinlich keine Einigung geben. Möglicht scheint derzeit, dass das Vermögen nicht angegeben werden muss, sondern dass nur das Einkommen geprüft wird – so sprachen etwa Jens Spahn und der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring von einer "Einkommensprüfung" als Bedürftigkeitsprüfung. Zuletzt kursierte die Zahl von 1,5 Millionen Menschen, die dann noch mehr Geld bekommen könnten, aber das ist aktuell schwer zu kalkulieren. Auch gegen diese eingeschränkte Prüfung gibt es Widerspruch in der Union.
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Zudem verknüpft die Union ihre Zustimmung derzeit noch mit der Forderung, zugleich die Unternehmensteuer um viele Milliarden Euro zu senken. Das allerdings ist ebenfalls nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen.
- Eigene Recherchen
- MDR-Faktencheck zur Grundrente
- SPD: Aktuelles zur Grundrente
- Zeit Online: Wer braucht wirklich Grundrente?
- Verdi: Aktuelles zur Grundrente
- Nachrichtenagentur dpa