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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sicherheit in der Vorweihnachtszeit Diese Gefahr kann niemand bannen
Nach dem Solingen-Attentat wurde die Sicherheitslage in Deutschland wochenlang intensiv diskutiert. Nun finden in ganz Deutschland Weihnachtsmärkte statt. Wie sicher sind sie?
Die Vorweihnachtszeit hat begonnen und mit ihr wurden in ganz Deutschland Weihnachtsmärkte eröffnet. An zahlreichen Orten riecht es nun nach Glühwein und Bratwurst, unzählige Menschen flanieren entspannt zwischen dekorierten Holzbuden. Doch während diese Szenerie für viele Menschen Gemütlichkeit symbolisiert, sind die Veranstalter in Alarmbereitschaft. Denn die Gefahr für Terroranschläge ist stets präsent.
Insbesondere seit dem Attentat in Solingen, bei dem ein mutmaßlicher Islamist drei Menschen tötete und acht weitere verletzte, wurde die Sicherheit im öffentlichen Raum intensiv diskutiert. Vor allem die Verhinderung von Messerattacken stand dabei im Fokus der Debatte. Die Bundesregierung schnürte ein Sicherheitspaket, das mehr Kontrolle ermöglichen soll. Lesen Sie hier mehr dazu.
Nun aber finden mit den Weihnachtsmärkten in ganz Deutschland parallel zahlreiche, oft nur schwer zu kontrollierende Veranstaltungen statt – und das über Wochen. Der allgemeine Tenor von Veranstaltern und Sicherheitskräften: Das Risiko für Anschläge steigt in dieser Zeit. Gleichzeitig sei Deutschland in diesem Jahr noch besser vorbereitet als in den Vorjahren.
Einzeltäter als größtes Risiko
"Das größte Risiko sind nach wie vor Einzeltäter wie in Solingen oder Mannheim", betont Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler im Gespräch mit t-online. Es gab in den vergangenen Wochen mehrere Festnahmen von IS-Mitgliedern. Der Ableger "Provinz Khorasan" hatte noch im vergangenen Monat eine Drohung Richtung Deutschland ausgesprochen. Durch den weiterhin brodelnden Nahostkonflikt gibt es laut Schindler zudem Drohungen weiterer Akteure gegen Deutschland, etwa von den Terrororganisationen Hamas oder Al-Qaida.
Zur Person
Hans-Jakob Schindler ist Senior Director der gemeinnützigen internationalen Organisation Counter Extremism Project (CEP). Sie verfolgt das Ziel, der Bedrohung durch extremistische Ideologien entgegenzuwirken. Bis 2018 war Schindler Chefberater des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu unterschiedlichen Terrorgruppen und der Entwicklung der globalen terroristischen Bedrohung.
Einzeltäter, die den Aufrufen der Terrororganisation zuletzt folgten, agierten in jüngerer Vergangenheit meist mit Messern.
Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist daher auch das mit dem Sicherheitspaket verabschiedete allgemeine Messerverbot. Seit dem 1. November sind Messer auf allen öffentlichen Veranstaltungen untersagt. Das heißt: Auf vielen Weihnachtsmärkten werden die Besucher bereits am Eingang kontrolliert, Polizisten durchsuchen Taschen auch auf den Märkten.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, verdeutlicht bei t-online: "Besonders wichtig ist, dass entdeckte Messer, natürlich auch andere gefährliche Gegenstände, von den Einsatzkräften eingezogen werden und es zu empfindlichen Bußgeldern kommen kann."
Zwar bestehe bei solchen Anlässen immer das "latente Risiko eines Anschlags", doch Sicherheitsbeamte könnten laut Kopelke auf bewährte Konzepte zurückgreifen. Deshalb gelte für die Polizei: "Wir sind gut vorbereitet." Das unterstreicht auch Experte Schindler. Die Vorkehrungen seien gut für die "Szenarien, die wir kennen".
"Besonderer Fokus" auf Schutz von Weihnachtsmärkten
Vor Ort sind die Behörden in erhöhter Alarmbereitschaft, wie ein Blick nach Stuttgart und Leipzig zeigt. In der baden-württembergischen Hauptstadt hat die Polizei etwa eine "Mobile Wache" eingerichtet, an die sich die Besucher wenden können, und die die ohnehin patrouillierenden Streifen unterstützen soll, erklärt eine Stadtsprecherin. Zudem habe man konkrete Handlungsanweisungen für das Sicherheitspersonal "zum Umgang mit Gefahrensituationen wie einer Bombendrohung, Unwetter oder einem überhöhten Besucheraufkommen" erarbeitet.
Darüber hinaus sei die Sicherheit in den vergangenen Jahren bereits deutlich erhöht worden, insbesondere nachdem ein Gutachten 2023 Nachbesserungsbedarf festgestellt hatte. Damals wurden zusätzliche Poller zur Absicherung des Marktes in der Innenstadt installiert. Die Stuttgarter Polizei ist zudem intensiv in die Planung des Sicherheitskonzepts involviert. Die Behörde habe "einen besonderen Fokus" auf den Schutz von Weihnachtsmärkten, betont ein Polizeisprecher. Daher wolle man Präsenz vor Ort zeigen und durch Überwachungsmaßnahmen die Kontrolle behalten.
Ähnlich sieht es in Leipzig aus. Die Gefahrensituation sei "aufgrund des aktuellen Weltgeschehens" zwar abstrakt, aber hoch, erklärt ein Polizeisprecher. Auch dort sollen die Polizisten Präsenz zeigen, dafür bekommt das zuständige Revier Unterstützung von neun weiteren Revieren sowie der Bundespolizei. Ein auf lebensbedrohliche Einsatzlagen spezialisiertes Team steht ebenfalls bereit. Die Situation soll täglich neu analysiert werden, auch um eventuell weitere Schutzmaßnahmen zu treffen.
Wie die Stuttgarter Polizei betonen die Leipziger Sicherheitskräfte aber auch, dass es bisher keinerlei Kenntnisse über konkrete Gefährdungen gebe.
Deutschland wegen fehlender Befugnisse unsicherer?
Das ist auch für Experten Schindler ein gutes Zeichen. "Große Anschläge sind mit sehr viel Vorbereitung und Kommunikation verbunden, sodass die Chance hoch ist, dass die Amerikaner uns einen Tipp gegeben hätten." So wurden bereits im vergangenen Jahr Anschlagspläne zweier Jugendlicher auf den Leverkusener Weihnachtsmarkt aufgedeckt und die Tat verhindert.
Problematisch sei allerdings, dass die deutschen Aufklärungsmöglichkeiten aufgrund fehlender Überwachungsbefugnisse weiterhin beschränkt seien. So sei man stets auf ausländische Hinweise angewiesen. Das sieht auch Polizeigewerkschaftler Kopelke so. Es gebe "noch eine Gesetzeslücke bei der dringend benötigten IP-Adressenspeicherung. Die brauchen wir für eine wirkungsvollere Terrorabwehr."
Autos kaum noch eine Bedrohung
Kaum noch eine Bedrohung geht dagegen von Amokfahrern aus. Nachdem der Islamist Anis Amri 2016 mit einem Sattelzug in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz fuhr und 13 Menschen tötete, haben die Veranstalter reagiert. "Da hat man in allen Städten gelernt", erklärt Experte Schindler. Nahezu alle Weihnachtsmärkte seien durch Zufahrtssperren und Betonklötze oder mobile Poller vor Autofahrern gesichert. Zudem sei in diesem Jahr noch einmal in Zufahrtssperren investiert worden, verdeutlicht Polizeigewerkschaftler Kopelke.
Auch die Stuttgarter Polizei betont, sie habe zum Schutz vor Anschlägen mit Autos "ein umfangreiches Konzept mit Fahrzeugsperren rund um den Weihnachtsmarkt erarbeitet".
Veranstalter und Polizei setzen also auf leichte Anpassungen der bewährten Konzepte. Aber eine Garantie für komplette Sicherheit gibt es nicht, wie Kopelke sagt: "Selbst mit den besten Vorbereitungen der Sicherheitsbehörden bleibt das Risiko schwerster Straftaten. Radikalisierte Einzeltäter, sicherlich auch psychisch erkrankte Menschen, könnten wie aus dem Nichts Besucherinnen und Besucher attackieren." Hoffnung macht die Bilanz der vergangenen Jahre, als Weihnachtsmärkte im Gegensatz zu anderen Großveranstaltungen ohne größere Zwischenfälle die Adventszeit begleiteten.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Hans-Jakob Schindler
- Statement von Jochen Kopelke
- Anfragen an die Städte und Polizeien Stuttgart und Leipzig