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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Flugblatt-Affäre bei "Markus Lanz" SZ-Chefreporter überrascht mit Äußerung über Aiwanger
Bei Markus Lanz ging es um die neuesten Entwicklungen in der Flugblatt-Affäre. Die Runde war sich einig: Hubert Aiwangers Krisenkommunikation ist ein Desaster.
Der Journalist Roman Deininger, eingeladen, um über die Recherchen seiner "Süddeutschen Zeitung" im Fall Aiwanger zu berichten, überraschte zwischendurch nicht nur mit einer Sympathie-Bekundung: "Ich mag Hubert Aiwanger", erklärte der SZ-Chefreporter. Deininger formulierte auch, was der bayerische Vize-Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef hätte tun und sagen können, um sich "jede Menge Ärger zu ersparen". Zum Beispiel der SZ auf ihre drei Anfragen zu der Flugblatt-Affäre gleich die Urheberschaft seines Bruders zu nennen.
Deininger: "Dann wäre der Artikel nicht erschienen." Danach hätte er sich glaubhaft von seiner rechten Gesinnung in Jugendjahren distanzieren müssen, etwa so: "Ich schäme mich für diese Vergangenheit, aber ich habe sie hinter mir gelassen. Ich stehe mit dieser Staatsregierung dafür, dass Antisemitismus keinen Platz hat in Bayern und in Deutschland."
Die Gäste
Jürgen Trittin, Grünen-Politiker
Helene Bubrowski, Journalistin (FAZ)
Elmar Theveßen, USA-Experte (ZDF)
Roman Deininger, Journalist ("Süddeutsche Zeitung“)
"Was für 'ne Aussage", entfährt es Markus Lanz
Stattdessen spielte Markus Lanz die gestrige Erklärung Aiwangers ein: "Es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfen wird", hatte der bayerische Wirtschaftsminister am Rande eines Termins in Donauwörth dem Sender Welt TV gesagt. Und hinzugefügt: "Aber auf alle Fälle, ich sag' seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund."
Das eine oder andere, so oder so: "Was für 'ne Aussage", entfuhr es da dem Moderator. "Man fragt sich, wer für ihn die Krisenkommunikation macht", pflichtete die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski bei und fand: "Er macht es mit jedem Tag schlimmer."
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Bubrowski fühlte sich vom "Duktus des Pamphlets" an die NSU-Version des Brettspiels Monopoly erinnert, die 1998 bei der Rechtsradikalen Beate Zschäpe gefunden worden war. "Nein, tut mir leid, so ein Pamphlet kann nicht so oder so interpretiert werden", befand die FAZ-Journalistin. Sie kritisierte zudem, dass Aiwangers erste Reaktion vier Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe ein uneinsichtiger Post auf der Plattform X war: "Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los."
Während der grüne Elder Statesman Jürgen Trittin sich zurückhaltend gab und nur vermutete, "dass die Stimmung in der CSU zurzeit sehr schlecht ist", weil "Herrn Söder die geplante Wahlkampagne – ich esse gern Fleisch, und die Grünen sind böse – entglitten ist", lenkte Roman Deininger den Blick auf die Freien Wähler: Diese ließen sich von ihrem Vorsitzenden in "eine Art Geiselhaft" nehmen, statt ihm klarzumachen, dass nun ein verantwortungsvoller Umgang mit der Affäre gefragt sei. Dass Markus Söder in einem Dilemma stecke, weil er die zahlreichen Aiwanger-Fans nicht vergrätzen dürfe, sah er ähnlich wie Trittin.
Hitler-Gruß, Hitler-Ansprachen: Kommt da noch was?
Markus Lanz spielte dann auch noch die Äußerungen eines ehemaligen Mitschülers von Aiwanger gegenüber der Sendung "Report München" ein, wonach dieser im Klassenzimmer ab und zu den Hitlergruß gezeigt und Hitler-Ansprachen nachgemacht habe. "Kommt da noch was?", wandte sich der Moderator an seine Gäste.
"Er hat ja selbst heute etwas gesagt im Sinne von 'Schaun mer mal'", erklärte Roman Deiniger, "er weiß natürlich, dass da mehr war." Der Journalist betonte mehrmals, dass "man gegenüber dem 17-Jährigen zu Milde fähig sein sollte", der heute 52-jährige Staatsminister aber müsse sich erklären. "Seit dem Erwachsenenalter bin ich kein Antisemit", griff Lanz noch einmal das Aiwanger-Statement auf und fragte: "Ein politisch tödlicher Satz?" FAZ-Journalistin Bubrowski bejahte: "Ein politisch tödlicher Satz."
Kritik an Verdachtsberichterstattung der SZ
Auch die vielfach geäußerte Kritik, die Aufbereitung des Falles durch die SZ sei nicht immer sachlich gewesen, sprach Markus Lanz an. Deininger zeigte Verständnis: "Wer Verdachtsberichterstattung macht, muss mit Kritik klarkommen. Das tun wir." Im Kern sei die Recherche angesichts einer "Vielzahl glaubwürdiger Quellen" aber solide gewesen.
Als Jürgen Trittin an Aiwangers Erding-Rede erinnerte, bei der dieser gefordert hatte, dass die Bürger sich die "Demokratie zurückholen" müssten ("ein klassisches rechtes Ideologem"), ergänzte Deininger: Aiwanger sei ein "Meister des Ungefähren", der mit missverständlichen Formulierungen das "Raunen, dass Politik und Medien unter einer Decke stecken" befördere.
- zdf.de: "Markus Lanz" vom 30. August 2023