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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wunder hinterm Deich Die hilflose AfD
In Schleswig-Holstein ist die AfD bemerkenswert schlecht aufgestellt. Zuletzt ist sie sogar aus dem Landtag geflogen. Warum ist das so? Zufall oder doch gute Zusammenarbeit der anderen Parteien? Droht gar eine neue Gefahr?
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther singt gerne. Nach seinem Wahlsieg 2022 den "Propeller-Song" auf einer Wahlparty und auf der Kieler Woche zuletzt das umstrittene Lied "Layla". Das handelt von einer Puffmutter, die "schöner, jünger, geiler" sein soll. Was aus dem Mund eines Konservativen und Ministerpräsidenten dann noch mal einen ganz eigenen Ton bekommt. Günthers grüner Koalitionspartner war wenig begeistert. In der eigenen Partei kam die Gesangseinlage hingegen gut an – und das nicht wegen Günthers Stimmtalent.
Damit ist bereits viel über das Erfolgsgeheimnis des seit 2017 amtierenden Ministerpräsidenten von Deutschlands nördlichstem Bundesland gesagt. Wenn es sein muss, kann er (sehr) konservativ sein, ansonsten zählt er aber eher zum liberalen Flügel der CDU und hat wegen seines jungenhaften Charmes den Spitznamen "Schwiegermutters Liebling".
Aber ist das auch der Grund, warum die AfD in Schleswig-Holstein so schwach abschneidet? Bei der Landtagswahl im Mai 2022 flog sie sogar aus dem Parlament. Aktuell liegt sie in Umfragen bei sieben bis acht Prozent, während sie in Ländern wie Thüringen auf Rekordwerte von 34 Prozent kommt.
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Der Generalsekretär der CDU in Schleswig-Holstein, Lukas Kilian, sieht mehrere Gründe für die Schwäche der AfD. "Die Norddeutschen haben einfach einen kühlen Kopf", sagt er. Sie ließen sich von der Panikmache der AfD nicht so leicht mitreißen. Parteien an den Rändern hätten es deshalb in Schleswig-Holstein generell schwerer. Auch die Linken würden hier seit vielen Jahren "keine große Rolle mehr spielen", wenngleich er die Parteien nicht gleichsetzen wolle. Der wichtigste Punkt sei aber, dass in Schleswig-Holstein Regierungshandeln erklärt werde.
Nicht nur Lob für den MP Günther
Er lobt damit zwar seinen Parteichef, Ministerpräsident Daniel Günther, sagt aber auch, dass es nicht nur an ihm liege. Sei es die letzte Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP oder auch jetzt Schwarz-Grün: Der Umgang sei vertrauensvoll, man gönne einander den Erfolg und jeder könne glänzen. "Die Menschen haben keinen Bock auf Streit und auf ständige gegenseitige Schuldzuweisungen", sagt er mit Blick auf Berlin und die Auseinandersetzungen der Ampel.
Sein Koalitionspartner Lasse Petersdotter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sagt: "Bei aller nachvollziehbaren Kritik an der Ampel – ein Grund, AfD zu wählen, ist Streit in der politischen Auseinandersetzung noch lange nicht", findet er. Warum in Schleswig-Holstein wenig AfD gewählt wird? Auch er sagt, dass die Schleswig-Holsteiner einfach besonnen und vor allem zufrieden sind. Tatsächlich leben hier laut "Glücksatlas" die glücklichsten Deutschen. "Da besteht dann wenig Not, aus Protest die AfD zu wählen", ist Petersdotter überzeugt.
Lob für die Opposition
Sogar die Opposition lobt der Grünen-Politiker in diesem Zusammenhang. Trotz vieler Meinungsverschiedenheiten verhielten sich SPD, FDP und SSW immer "fair in der Sache". Das sei demokratischer Konsens im Kieler Landesparlament.
So sehen es auch der Oppositionsführer der SPD, Thomas Losse-Müller und Christopher Vogt von der FDP in Schleswig-Holstein. Der erklärt die Schwäche der AfD auch damit, dass beim Einzug der AfD in den Landtag 2017 alle anderen Parteien sich auf einen gemeinsamen Umgang mit der neuen rechten Kraft verständigt hätten. "Wir haben uns parteiübergreifend darauf geeinigt, nicht über jedes Stöckchen der AfD zu springen", sagt der Fraktionsvorsitzende: "Wir haben uns gefragt: Was ist wichtig für den Bürger, was müssen wir diskutieren?" Nur wenn die AfD massiv "über die Stränge schlug", seien die Parteien darauf eingegangen. "Sonst haben wir versucht, die AfD einfach nicht wichtiger werden zu lassen, als sie ist." Das würde sich Vogt auch von den Fraktionen im Bundestag wünschen. Inklusive der Ampelkoalition.
Schwäche selbst verschuldet?
Einen weiteren Grund für die Schwäche der AfD in SH kann man auch innerhalb der Partei selbst finden. Nämlich deren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Jörg Nobis. Zwar konnte er mit einem nordischen Beruf als nautisch-technischer Sachverständiger immer wieder auf seine Bodenständigkeit hinweisen. Erreicht hat er aber damit nicht viele Schleswig-Holsteiner. Er provozierte weniger als seine Kollegen im Bund oder den ostdeutschen Ländern, gilt als gemäßigt und konservativ. Bei einer in der Basis sehr konservativen CDU in Schleswig-Holstein, mit dem liberalen Gesicht Daniel Günther, gab es offenbar keine Notwendigkeit für eine "konservative" Alternative im Stile Nobis. 2017 wurde Nobis' Partei mit 5,9 Prozent der Stimmen gewählt, damals schon gut 5 Prozentpunkte weniger als im Bund. 2022 flog sie sogar aus dem Landtag.
AfD zerfleischte sich selbst
Aber auch interne Querelen machten der AfD in Schleswig-Holstein zu schaffen. Deren ehemalige Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein, die zur extremistischen Flügel-Gruppe rund um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gehört, wurde nach Gerüchten um eine zu große Nähe zu Reichsbürgern aus der Fraktion gedrängt. Außerdem trat in der Legislatur ein weiterer Abgeordneter aus, weil er mit dem Kurs der Partei nicht mehr einverstanden war. Die AfD verlor damit den Status als Fraktion im Landtag, weil ihr weniger als vier Abgeordnete angehörten. Ein katastrophales Bild nach außen.
Lasse Petersdotter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sagt, dass sich die AfD danach "niemals mehr richtig organisieren konnte". Es fehle im Landesverband an Struktur und auch an einer "Kampagnenfähigkeit", so Petersdotter. "Ich respektiere die AfD nicht, aber ich nehme sie als Gefahr ernst."
Konsens im Landtag
Was Schleswig-Holsteins Politik tatsächlich auszeichnet, ist ein parteienübergreifendes Bündnis gegen die AfD, das keine Risse hat. Wer einmal eine Plenardebatte im Landeshaus an der Kieler Förde mitgemacht hat, war erstaunt, mit welcher Einigkeit Grüne, CDU, SPD, SSW und die FDP die Alternative für Deutschland ignorierten. Keinem Antrag der AfD wurde zugestimmt, häufig hörten die Politiker der anderen Parteien dem politischen Gegner noch nicht mal zu, unterhielten sich auffällig laut während der Reden der fünf Abgeordneten der AfD. Manche nannten es arrogant, andere nordische Coolness. Die scheint es bislang im nördlichsten Bundesland tatsächlich im Umgang mit der AfD zu geben, auch bei den Wählern.
AfD sieht sich im Aufwind
Fragt man bei der AfD in Schleswig-Holstein selbst nach den Gründen ihrer Schwäche, stößt man auf scheinbares Unverständnis. "Zur Kommunalwahl dieses Jahres waren wir in Schleswig-Holstein sogar vor dem SSW der Wahlgewinner mit dem größten prozentualen Zuwachs von 2,6 Prozent", teilte ein Sprecher t-online schriftlich mit. Im Vergleich zur Landtagswahl hätte die Partei ihr Wahlergebnis von 4,4 auf 8,1 Prozent fast verdoppelt. Der Sprecher weiter: "Wir liegen auch hier in Schleswig-Holstein deutlich im Bundestrend, wenn nicht sogar darüber."
So ganz stimmt das nicht. Bei der Kommunalwahl im Mai 2023 bekam die AfD zwar 8,1 Prozent der Stimmen, tatsächlich deutlich mehr als bei der gescheiterten Wahl in den Landtag, liegt damit trotzdem deutlich unter dem Bundestrend.
Daniel Günther, der Ministerpräsident, sagt, dass die Ampel mit nicht nachvollziehbarem Regierungshandeln das Vertrauen der Wähler verliere. "Das spielt der AfD, die in erster Linie Angst verbreiten will, in die Karten." Aber auch als Union gelinge es noch nicht ausreichend, "mit überzeugenden Angeboten wahrgenommen zu werden und die enttäuschten Stimmen abzuholen.“ Trotzdem: Das Politikverständnis im Norden sei förderlich für eine schwache AfD.
Berechtigte Sorge
Doch aufatmen sollte man nicht, sagt zumindest der Oppositionsführer im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Thomas Losse-Müller von der SPD. Auch CDU-Generalsekretär Lukas Kilian gibt keine Entwarnung. Acht Prozent bei den Kommunalwahlen im Mai, das seien "acht Prozent zu viel und ein Grund zur Sorge". Er sieht auch bei der AfD in Schleswig-Holstein eine Tendenz zur weiteren Radikalisierung.
Der SPD-Politiker Thomas Losse-Müller macht sich konkrete Sorgen. Der Schmusekurs der schwarz-grünen Regierungskoalition sei in Wirklichkeit eine fehlende Auseinandersetzung mit Sachthemen und eher kontraproduktiv. Probleme würden so einfach nicht angegangen, etwa die Wohnungsnot, Investitionen in marode Schulen oder die Bekämpfung der Altersarmut in Schleswig-Holstein.
"Das ist Wohlfühlpopulismus"
Stattdessen singe Daniel Günther Layla: "Das ist Wohlfühlpopulismus, was Daniel Günther macht", sagt Losse-Müller. So sichere sich Günther kurzfristig Stimmen, löse aber keine Probleme. Es sei sehr fraglich, ob die Regierung so den "Laden noch auf lange Zeit zusammenhält". Oder ob am Ende im nördlichsten Bundesland nicht doch eines Tages die AfD Wind in die Segel bekommt. Weil Probleme weg gesungen, aber nicht gelöst würden.
- Telefonat mit Lasse Petersdotter (Grüne)
- Telefonat mit Lukas Kilian (CDU)
- Telefonat mit Christopher Vogt (FDP)
- Telefonat mit Thomas Losse-Müller (SPD)
- Eigene Recherche im Landeshaus
- Anfrage der AfD
- "Glücksatlas", jährliche Befragung der Deutschen zu Lebenszufriedenheit und Glücksgefühl
- Anfrage Daniel Günther (CDU)