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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit über teures Gas Wer soll das nur bezahlen?
Der Preisschock ist da. Jetzt soll Gas für die Bürger schleunigst billiger werden. Doch es gibt zwei Hürden – und bitteren Streit in der Bundesregierung.
In der beispiellosen Energiekrise, die Deutschland heimsucht, hat die Bundesregierung immerhin schon einiges erreicht: Die Gasspeicher sind aufgefüllt, der bedrohlich wankende Erdgas-Importeur Uniper darf unter den Schutzschirm des Staates flüchten. Doch nun werden die Preisschocks beim Gas für Millionen Bürger und Betriebe schmerzhaft konkret.
Die Abschläge für viele Privatkunden steigen in diesen Wochen um das Vier-, Fünf-, Sechsfache, ausgerechnet in jenen ersten Herbstwochen, in denen man die Heizungen aufdreht.
Wie kann man das Gas billiger machen? Die Ampelregierung muss schleunigst eine Antwort auf diese Frage finden. Doch die Lösung ist noch nicht in Sicht, stattdessen verhakt man sich in immer neuen Streitfragen. Der Krach zwischen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) über die Gasumlage ist dafür der prominenteste Ausdruck.
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Nur wenige Tage vor dem geplanten Inkrafttreten der selbst geplanten Gasumlage streitet die Koalition leidenschaftlich und öffentlich über das Last-Minute-Aus der Maßnahme. Sie sollte Gas zum 1. Oktober eigentlich für alle etwas teurer machen. Jetzt soll Gas aber billiger gemacht werden. Und das bringt die größte Streitfrage mit sich, nicht nur zwischen Habeck und Lindner, sondern in der Koalition als Ganzes: Wer soll das alles bezahlen?
Eifrige Diskussionen hinter den Kulissen
Dabei gibt es durchaus Ideen für Lösungen für den Preisschock. Eine Gaspreisbremse, auch Gaspreisdeckel genannt, fordert die Opposition schon länger. Hinter den Kulissen wird nun auch in der Regierung eifrig daran gearbeitet.
Lindner hat in seinem Finanzministerium in der vergangenen Woche einen Arbeitsstab Gaspreisbremse eingerichtet, der vor allem die Lage für Mittelstand, Handwerk und Industrie in den Blick nimmt. Und auch die kürzlich von Bundeskanzler Olaf Scholz eingesetzte Expertenkommission zu einer Gaspreisbremse für Privatverbraucher nahm am vergangenen Samstag im Stillen ihre Arbeit auf.
Dort wird eine Idee diskutiert, die eine ihrer Vorsitzenden schon vor Wochen in die Diskussion gebracht hat: Die Energieexpertin Veronika Grimm schlägt etwa wie der Ökonom Sebastian Dullien einen Preisdeckel für den Grundbedarf an Gas vor.
Ein solcher Tarif besteht aus zwei Bestandteilen: Für ein Grundkontingent von 75 oder 80 Prozent des Durchschnittsverbrauchs zahlt ein Haushalt einen durch staatliche Subventionen garantierten Preis in Höhe des mittelfristig erwartbaren Gaspreises. Wer mehr verbraucht, wird einen nicht subventionierten Preis zahlen müssen.
Ein ganz praktisches Problem
Diese Idee hat viele Anhänger im politischen Berlin, in erster Linie in Reihen der SPD, die zuletzt besonders viel Kritik an der Gasumlage übte. Denn der Ansatz bietet auch weiterhin einen Sparanreiz, den die Bundesregierung will: Wer weniger verbraucht, zahlt deutlich weniger.
Von der Kommission wird erwartet, dass sie schnell die Details dieses Ansatzes klärt: Wie hoch ist der Grundbedarf – wie kann er rechtssicher definiert werden? Und auf welchen Preis will man die Gastarife drücken?
Es gibt dabei allerdings ein praktisches Problem: Ein Gasversorger weiß in der Regel nur, wem ein Anschluss gehört, aber nicht, wie viele Menschen in dem jeweiligen Haushalt leben. Doch ein Grundbedarf für eine vierköpfige Familie wäre deutlich höher als der für ein kinderloses Paar. Es ist noch nicht bekannt, wie dieses Problem umschifft werden soll.
Der Streit ums Geld
Diese Fragen haben große Auswirkungen auf die Kosten eines Gaspreisdeckels. Im Bundeswirtschaftsministerium rechnet man damit, dass eine Senkung des Gaspreises für Endverbraucher um einen Cent je Kilowattstunde 2,5 Milliarden Euro koste. "Welcher Gesamtbetrag sich im Falle einer Preisdeckelung ergibt, hängt davon ab, wie hoch der Deckel angesetzt wird und wie sich die Endverbraucherpreise weiter entwickeln", antwortete Habecks Staatssekretär Patrick Graichen auf eine Anfrage der Linken-Fraktion.
Erste Schätzungen gehen von einem zweistelligen Milliardenbetrag aus. Um die Finanzierung tobt ohnehin der größte Streit: Wie soll das Milliardenprojekt Gaspreisbremse bezahlt werden?
SPD und die Grünen sind dafür, sogenannte Übergewinne der Energiekonzerne abzuzapfen – also untypisch hohe Margen, die Stromerzeuger den Preisexplosionen auf den Gas- und Strommärkten verdanken. Die FDP sperrte sich lange, sagte dann immerhin im Prinzip zu, als man von Zufallsgewinnen statt von Übergewinnen sprach. Sie sollen bald abgeschöpft werden, um eine Preisbremse auf dem Strommarkt einzuführen. Wie viel Geld dann für eine Gaspreisbremse übrig bliebe?
Die Liberalen wollen nicht, dass eine Gaspreisbremse aus dem Bundeshaushalt finanziert wird – Finanzminister Lindner will die Schuldenbremse im kommenden Jahr bekanntlich wieder einhalten. Er steht nun unter hohem Druck, schnell eine Lösung zu präsentieren, wie denn dann die Gaspreisbremse finanziert werden kann.
Beim Auftritt in der Fernsehsendung "Anne Will" wurde Lindner am Sonntagabend noch nicht konkret. Er deutete immerhin an, er habe da "eine Idee", wie man finanzieren könne. Womöglich schwebt ihm eine rasche Kreditaufnahme noch in diesem Jahr vor, bevor er 2023 dann wieder die Schuldenbremse einhalten will.
Eine weniger bürokratische Lösung
Wie schon bei der Debatte um einen Streckbetrieb der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke scheinen der Knatsch in der Koalition und die bevorstehende Landtagswahl in Niedersachsen den Willen zu politischen Kompromissen nicht zu erhöhen.
Und es gibt auch deutliche Kritik an der grundlegenden Idee der Gaspreisbremse. Clemens Fuest, der Präsident des Münchener ifo Instituts etwa hält sie für "grundfalsch". So kompliziert wie das Konstrukt sei, befürchte er, "dass wir Wochen und Monate darüber reden". Er schlägt stattdessen eine aus seiner Sicht unbürokratischere Lösung vor: Mit einer steuerpflichtigen Energiepauschale von 1.000 Euro könnte man insbesondere Geringverdienern, die weniger Steuern zahlen, mittelbar unkompliziert helfen. Die Gaspreise selbst blieben dann allerdings sehr hoch.
Mehrere EU-Staaten haben immerhin gezeigt, dass eine Gaspreisbremse auch umsetzbar ist. So hat etwa Spanien bereits im Mai beschlossen, den Preis auf 40 Euro pro Megawattstunde zu deckeln – damals lagen die Preise mitunter doppelt so hoch – dort werden wie auch etwa in Griechenland zur Finanzierung auch die Zufallsgewinne der Energiekonzerne herangezogen.
Selbst wenn die Bundesregierung die praktischen und finanziellen Fragen zum Gaspreisdeckel bald klären kann, ist eines zugleich sicher: So günstig, wie es bis zum Vorjahr war, wird Gas in Deutschland künftig nicht mehr sein.
- Eigene Recherchen
- rnd.de: "Bundesregierung: Strom- und Gaspreisdeckel würde Staat mindestens 3,8 Milliarden Euro kosten"