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Wladimir Putin vs. Olaf Scholz: Wer sitzt am längeren Hebel?


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Putin vs. Scholz
Wer sitzt am längeren Hebel?


Aktualisiert am 15.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Wladimir Putin und Olaf Scholz: Laut Carlo Masala braucht Europa angesichts der russischen Bedrohung nicht mehr Institutionen, sondern Pragmatismus und Soldaten.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Olaf Scholz: Wo können Sie sich wehtun? (Quelle: Montage: U. Frey/t-online/dpa)
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Wladimir Putin drosselt Deutschland das Gas. Olaf Scholz reist in die Ukraine. Beide packen Druckmittel auf den Tisch. Über ein Kräftemessen, das immer deutlicher zutage tritt.

Wieder einmal steht das Schreckgespenst im Raum. Dreht Wladimir Putin den Deutschen doch noch das Gas ab? Die Frage erhielt am Dienstagnachmittag plötzlich mit einer Eilmeldung neue Dringlichkeit: Der russische Konzern Gazprom will künftig 40 Prozent weniger Gas durch die wichtigste Pipeline Nord Stream 1 leiten.

Die deutsche Politik und die Wirtschaft mussten sich zunächst sammeln. Erst am Mittwochmittag gab Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Einschätzung zu Protokoll: Er habe den Eindruck, "dass das, was gestern passiert ist, eine politische Entscheidung ist und keine technisch begründbare Entscheidung".

Zuvor war noch spekuliert worden, ob tatsächlich Wartungsprobleme hinter dem Abfall stecken könnten, wie Gazprom es verkündet hatte. Nun dominiert in Berlin eine andere Interpretation: die politische.

Gut möglich also, dass es sich bei der Gas-Drosselung in erster Linie um eine symbolische Warnung kurz vor der geplanten Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz in die Ukraine handelt.

In jedem Fall zeigt sich, wie sehr Putins Hand am Gashahn noch immer die Abhängigkeiten und das Machtverhältnis zwischen Deutschland und Russland prägt. Das weiß natürlich auch Putin selbst – und der Umstand verleiht ihm weiterhin ein großes Druckmittel.

Putins Gas bleibt unverzichtbar

Sobald es ums Gas geht, ist in Deutschland die Aufmerksamkeit groß. Aus gutem Grund: Deutschland hat viel versucht, um diese verhängnisvolle Abhängigkeit zu korrigieren, und dabei auch viel erreicht. Der Anteil des russischen Gases am deutschen Import ist von 55 auf 30 Prozent gesunken, Deutschland sichert sich teureres Flüssiggas aus anderen Quellen, übernimmt wieder Kontrolle über Speicher und füllt diese – doch für den kommenden Winter reicht all das nicht.

Schon jetzt lässt jede Verknappung aus Russland die Gaspreise in die Höhe schießen. Und Putins Gas abschwören kann Deutschland noch lange nicht.

Es geht bei weitem nicht nur um geheizte Wohnungen und Häuser. Eine Mehrzahl der Betriebe könnte russisches Gas nicht kurzfristig ersetzen, heißt es in einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Hunderttausende Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel, betonten Bundeskanzler Scholz und Vizekanzler Habeck in der Anfangsphase des Krieges.

Hunger als Waffe

Gas ist und bleibt also der größte Hebel Putins, aber er ist längst nicht mehr der einzige. Aktuell nutzt der Kremlchef etwa die große Weizenkrise, um Druck zu machen. Weil die Exporte aus den Kornkammern der Ukraine und Russlands über das Schwarzmeer blockiert sind, stehen Länder in Nordafrika oder Asien kurz vor einer Hungerkrise.

Putin verlangt ein Ende westlicher Sanktionen gegen Russland und die Räumung ukrainischer Minen vor der Hafenstadt Odessa, um den Weizen auszuliefern. Doch Teil seines Kalküls ist es offenbar, mit der Hungerkrise in Afrika neue Fluchtbewegungen Richtung Europa und Deutschland auszulösen. Ein Ausweg ist hier bislang nicht in Sicht.

Und dann ist da noch Putins Unberechenbarkeit, die immer wieder das Machtverhältnis prägt. Man sieht es etwa bei der Drohung mit Atomwaffen, die nicht nur in der deutschen Bevölkerung verfängt, sondern auch Entscheidungen der Regierung in der Ukraine-Politik mitgeprägt hat. Die Vorstellung, dass ihm alles zuzutrauen ist, ist die vielleicht größte Machtbasis für Putin. Eine neue Drohung mit einem Gasstopp würde nur allzu gut ins Bild passen.

Zwei Probleme für Scholz

Das alles wirkt so, als säße Putin eindeutig am längeren Hebel. Und in der Tat gibt es für Scholz zwei grundlegende Probleme. Der Westen hat ausgeschlossen, sich Putin selbst als Kriegspartei entgegenzustellen – um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Das beschränkt den Einfluss auf Putins Krieg ganz objektiv, selbst wenn man die Entscheidung richtig findet.

Zugleich führt Putins Unberechenbarkeit eben auch dazu, dass nie ganz klar sein kann, wodurch er sich dann eigentlich aufhalten lässt. Schon den Angriff auf die Ukraine selbst haben viele Experten für quasi ausgeschlossen gehalten, eben weil er sich für Putin nicht lohne. Nur war Putin das egal.

Mehr Waffen, mehr Munition

Das heißt aber natürlich nicht, dass Scholz und die westlichen Verbündeten machtlos wären, also gar keinen Hebel hätten. Auch durch die Lieferung moderner, schwerer Waffen kann der Westen einen möglicherweise entscheidenden Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen. Da sind sich die Experten weitgehend einig.

In der aktuellen Situation wären neue Waffen und Munition umso entscheidender. Denn Russland kämpft sich im Donbass gerade langsam, aber stetig und vor allem blutig voran. Und zwar besonders, weil die Feuerkraft der russischen Artillerie überlegen ist.

Aussichtslos ist die Lage Experten zufolge zwar nicht. Doch um Russland aufzuhalten und vor allem um Gegenoffensiven beginnen zu können, bräuchte es schnell mehr schwere Waffen und Munition. Gerade Deutschland könnte da aus Sicht der Ukraine und internationaler Partner mehr tun.

Ein Sanktionspaket nach dem anderen

Waffenlieferungen sind jedoch nicht der einzige Hebel, den der Westen hat. Stolz ist die EU auch auf ihre Sanktionen gegen Russland. Untätigkeit kann man ihr tatsächlich nicht vorwerfen. Erst vor zwei Wochen hat sie das sechste Sanktionspaket seit Februar beschlossen. Die Strafmaßnahmen des Westens zielen auf Oligarchen, den Handel, den Finanzsektor und auf die Energie.

Auch in Deutschland wird oft und gerne betont, dass die Sanktionen der russischen Wirtschaft stark zusetzten. Dafür gibt es durchaus objektive Anhaltspunkte. Der Haken: Ganz offensichtlich reicht das bisher eben nicht aus, um Putin zur Umkehr zu bewegen.

Das liegt daran, dass es noch immer bedeutende Lücken im Sanktionsregime gibt. Als man etwa die russischen Banken vom Zahlungsdienstleister Swift ausschloss, sparte man diejenigen aus, über die der Westen selbst seine Rohstoffrechnungen begleicht. Und als man kürzlich das Ölembargo beschloss, sparte man die Druschba-Pipeline aus, über die noch lange weiter Öl aus Russland nach Europa fließen wird.

Es liegt aber eben auch einmal mehr am unberechenbaren Wladimir Putin, dessen Kosten-Nutzen-Rechnung für den Ukraine-Krieg offensichtlich nicht mehr viel mit Ökonomie und Mathematik zu tun hat.

Waffen – und ein Signal

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in diesen Tagen also nach Kiew reist, dann hat er sicherlich nicht die Hebel in der Hand, über die ein unberechenbarer und vor allem skrupelloser Wladimir Putin verfügt. Aber Hebel hat er eben schon.

Scholz könnte neue Waffenlieferungen ankündigen (und wichtig: die Waffen dann auch schnell liefern). Das würde der Ukraine ganz praktisch helfen. Und er könnte der Ukraine zusichern, EU-Beitrittskandidat zu werden. Das würde ihr zwar nicht direkt helfen. Aber es wäre eine wichtige Perspektive. Und ein Signal an Putin: Der Westen steht zusammen, auch wenn du am Gashahn drehst.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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