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Auch Deutschland bremst: Warum derzeit kaum mehr Getreide aus der Ukraine kommt


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Ukraine im Getreide-Dilemma
Deutschlands Hilfsbereitschaft endet beim Übergewicht


10.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Ein bei einem Bombenangriff zerstörtes Getreidesilo: Es kommt kaum noch Getreide aus der Ukraine raus.Vergrößern des Bildes
Ein bei einem Bombenangriff zerstörtes Getreidesilo: Es kommt kaum noch Getreide aus der Ukraine raus. (Quelle: Alex Chan/Zuma Wire/imago-images-bilder)
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Es ist ein Dilemma: In der Ukraine liegen Millionen Tonnen Weizen, in anderen Staaten fehlen sie. Die EU will das Problem lösen, kommt aber nur langsam voran – auch Deutschland bremst.

Um die derzeitige Lage zu beschreiben, wählen Politiker dramatische Worte: In Ostafrika drohe die "schlimmste Hungersnot seit 40 Jahren", warnte etwa Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sagte: "Russland nutzt Hunger und Getreide, um Macht auszuüben." Alles müsse getan werden, um Getreide aus der Ukraine herauszubekommen – und es in die Staaten zu exportieren, die es am dringendsten brauchen. Das würde auch der Ukraine helfen, weiter Geld zu verdienen, betonte sie.

Doch was ist bisher geschehen? Recherchen von t-online zeigen, dass die EU-Staaten inklusive Deutschland zwar früh ihre Hilfe anboten – tatsächlich aber Maßnahmen nur langsam umgesetzt und teilweise blockiert werden.

EU-Plan kommt nur langsam voran

Dabei stehen vor allem Staaten in Afrika und Nahost am Rande von katastrophalen Lebensmittelkrisen. Steigende Preise, zerstörte Ernten und die Corona-Pandemie haben die Staaten bereits stark belastet, nun treffen sie auch noch die Folgen des Ukraine-Kriegs.

Der Tschad rief bereits den Ernährungsnotstand aus. Denn Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit größten Getreideexporteuren. Die Ukraine kann allerdings nur noch einen Bruchteil exportieren, weil Russland Häfen blockiert sowie Getreidelager und Felder beschießt. Dem Aggressor wird vorgeworfen, die eigenen Exporte gedrosselt zu haben, um die Preise in die Höhe zu treiben.

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Um Schlimmeres zu verhindern, muss Getreide aus der Ukraine in die betroffenen Staaten kommen. Das ist ein Problem, denn der Seeweg, über den die Ukraine normalerweise den Großteil exportiert, ist durch den Krieg blockiert. Die EU hat dafür eine Initiative ins Leben gerufen: "Solidarity Lines". Das Getreide soll aus der Ukraine in die EU gebracht und von dort zu den Kunden oder über Häfen verschifft werden. Vor allem die Ostseehäfen in den baltischen Staaten, Polen oder Deutschland sind dafür wichtig.

Größtes Nadelöhr: Grenzübergang

Das große Nadelöhr sind die Übergänge von der Ukraine in die EU, vor allem nach Polen und Rumänien. Die ukrainischen Bahnen haben eine andere Spurbreite als die der EU. Außerdem erfüllen viele Lastwagen nur eine Abgasnorm, für die es in der EU weitreichende Einschränkungen gibt.

Fortschritte gab es jüngst hinsichtlich der Wartezeit an der Grenze. Bis Ende Mai noch, drei Monate nach Kriegsbeginn, warteten ukrainische Lastwagen im Schnitt drei Tage an der polnischen Grenze. Nun sind es laut Experten noch 50 Stunden. Die EU-Staaten wollen künftig auf bestimmte Zertifikate verzichten, sodass die Lastwagen schneller über die Grenze kommen. Den Plan will auch die Bundesregierung unterstützen, wie ein Sprecher des Verkehrsministeriums t-online mitteilte.

Diese Initiative wurde seitens der EU-Kommission bereits im April angestoßen und soll in Form eines befristeten Vertrags, dem "Road Transport Agreement", mit der Ukraine umgesetzt werden. Verabschiedet allerdings wurde das noch nicht. Warum, ist zumindest öffentlich nicht bekannt.

Dabei wäre die Ukraine jetzt auf schnelle und unkomplizierte Lösungen angewiesen: Nach EU-Angaben aus dem April hätten bis zum Juli 20 Millionen Tonnen Getreide aus dem Land gemusst.

Effektiv aber kamen im April und Mai zusammen gemäß Schätzungen nur 2,7 Millionen Tonnen aus dem Land. Und der Druck wächst: Bald beginnt die nächste Ernte, die Silos aber sind noch voll.

Bundesregierung will auf mehr Lastwagen verzichten

Doch wie kommt die Ware von der Grenze aus weiter? Die EU-Kommission rief in ihrem Aktionsplan die Mitgliedsstaaten dazu auf, die Voraussetzungen zu schaffen, damit möglichst viele Züge, Schiffe und Lastwagen eingesetzt werden können – dabei sollen die Staaten "ein Höchstmaß an Flexibilität walten lassen".

Die Bundesregierung allerdings sieht das anders. Sie will für den Transport durch Deutschland auf Binnenschifffahrt und Bahnverkehr setzen, wie ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums t-online sagte. Von diesen beiden Verkehrswegen verspreche man sich mehr als von Lastwagen.

Vertreter der Agrarlogistik können das nicht nachvollziehen. Um das Potenzial voll ausschöpfen zu können, müsse man alle Wege fördern, sagten t-online Unternehmer und Branchenvertreter, die anonym bleiben möchten. Auch der agrarpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann (CDU), sagt: "Die Straßen können das Problem zwar nicht lösen, aber abmildern."

Denn vor allem das Schienennetz ist bereits ohne zusätzliche Transporte aus der Ukraine völlig überlastet. Nach Angaben von Verkehrsminister Wissing im Mai arbeite die DB Cargo zwar daran, künftig große Mengen Getreide zu transportieren und fahre bereits im Auftrag privater Getreideexporteure. Ende Mai informierte die DB Cargo ihre Kunden allerdings auch, dass es auf zentralen Korridoren wegen Bauarbeiten monatelange Unterbrechungen geben werde, wie das "Handelsblatt" berichtete. Dass über das Schienennetz also im noch größeren Maße Agrarprodukte aus der Ukraine transportiert werden können, bezweifeln die Agrarlogistiker.

Kapazitätssteigerung um 15 Prozent möglich

Sie schlugen der Bundesregierung bereits im April bestimmte Maßnahmen vor, um die Transportkapazität bei Lastwagen zu erhöhen. Denn auch der Güterverkehr auf der Straße kämpft mit massiven Problemen: Es fehlt an Fahrern – und seitdem aufgrund des Krieges russische und ukrainische Arbeitnehmer wegfallen, hat sich die Situation noch verschärft.

Zudem beginnt auch in Deutschland bald die Erntezeit. So forderten die Agrarlogistiker, dass ein Übergewicht für Lastwagen erlaubt werden solle. Statt 40 Tonnen sollten sie 44 Tonnen wiegen dürfen. Zieht man das Gewicht des Fahrzeugs ab, entspricht das einer Kapazitätssteigerung um 15 Prozent.

Die Zahl von 44 Tonnen ist nicht willkürlich gewählt: Auf dieses Gewicht werden Lastwagen in Deutschland getestet. Zudem fahren Lastwagen, die Waren von oder zu Zügen transportieren, bereits mit 44 Tonnen. In bestimmten Notlagen, wie etwa nach einem großen Sturm, können auch Holztransporte diese Ausnahmegenehmigung bekommen. Auf eine solche haben nun auch die Agrarlogistiker gehofft, befristet auf sechs Monate.

Ministerien blocken Initiative ab

Doch die Ministerien blockten die Initiative im Mai ab, wie t-online erfuhr: Das Verkehrsministerium verwies darauf, dass auch eine temporäre Erhöhung das deutsche Straßennetz überlasten könne. Eine Ausnahme für Getreideexporte ist nach Darstellung des Ministeriums nicht verkraftbar.

Zudem verweist das Ministerium auf den Gleichbehandlungsgrundsatz: Wenn die Agrarbranche eine Ausnahmeregel bekommt, wollen das auch andere. Das Landwirtschaftsministerium verwies in seiner Antwort wiederum auf die Entscheidung aus dem Verkehrsministerium und fügte hinzu: Die Lebensmittelversorgung in Deutschland sei grundsätzlich gesichert, trotz Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg.

Stegemann: "Befristete Ausnahmeregelung nötig"

Auf Anfrage von t-online teilten die Ministerien mit, dass sie zusammen mit internationalen und europäischen Partnern an Lösungen arbeiteten. Aus dem Verkehrsministerium hieß es, dass etwa eine Erhöhung der Lastwagenkapazität geprüft werde. Da aber keine Zahlen vorliegen, wie viele Lastwagen diese Ausnahmeregelung nutzen könnten, seien eventuelle Auswirkungen auf die Infrastruktur schwer abzuschätzen. "Gerade für längere Strecken eignen sich insbesondere die Schiene und die Binnenwasserstraßen."

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CDU-Mann Stegemann sagte t-online dazu, er könne die Bedenken des Verkehrsministeriums zwar ein Stück weit verstehen, "aber wir brauchen jetzt Lösungen". Angesichts der Schärfe der Krise halte er eine befristete Ausnahmeregelung für nötig. "Wir sehen ja nicht nur in Deutschland Inflation und stark steigende Lebensmittelpreise, besonders Staaten in Nordafrika leiden massiv unter der Knappheit, Hungersnöte drohen", sagte Stegemann und fügte hinzu: "Wenn wir die Märkte entlasten und den Hunger bekämpfen wollen, dann sollten wir alle Wege nutzen."

Jetzt wird der Grundstein gelegt

Ein Ende des Kriegs in der Ukraine ist unterdessen nicht abzusehen. Dadurch droht sich auch die Ernährungssituation zu verschärfen. Denn in der Ukraine fehlt es an Diesel, Lagerungsmöglichkeiten, Saatgut. Diese Mängel könnten die ohnehin schon durch den Krieg dezimierten kommenden Ernten weiter reduzieren – und so die Ernährungskrise über Jahre verschärfen.

Die EU-Staaten legen dementsprechend jetzt den Grundstein. Scheitern sie oder gibt es keine anderen Lösung, besteht die Gefahr, dass die Weltöffentlichkeit im nächsten Winter zwei Bilder sieht: Verrottetes Getreide in der Ukraine und an Hunger sterbende Menschen in afrikanischen Staaten und Nahost.

Landwirtschaftsminister Özdemir besuchte am Donnerstag Polen und sprach mit seinem Amtskollegen Henryk Kowalczyk darüber, wie Deutschland helfen könne. Konkretes allerdings kündigte er nach dem Treffen nicht an, nur: "Gemeinsam mit den europäischen Partnern gilt es jetzt, alles dafür zu tun, logistische und bürokratische Probleme beim Getreideexport zu überwinden". Er setze sich dafür ein, dass die Bundesregierung bei der Etablierung alternativer Exportrouten ihren Beitrag leiste. Das Ministerium konkretisierte das nicht.

Die Schwierigkeit sei, das Getreide aus der Ukraine herauszukriegen, "weil wir nicht in der Lage sind, die Menge, um die es da geht, über die Alternativrouten abzutransportieren", warnte Özdemir. Deshalb sei es besonders wichtig, der Ukraine bei der Zurückgewinnung ihrer Souveränität zu helfen, damit sie so schnell wie möglich wieder als Produzent auf dem Weltmarkt agieren könne. Es klingt fast, als hätte er schon aufgegeben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Anfragen an Ministerien
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