Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutschlands Russland-Politik Das reicht nicht!
Die Verantwortlichen unserer Russland-Politik brechen ihr Schweigen. Doch den entscheidenden Fragen weichen sie aus. Wie konnte Deutschland sich nur so verrennen?
Nun reden sie also seit ein paar Tagen doch, wenn auch ganz vorsichtig. Über die schweren Fehler der deutschen Russland-Politik. Fehler, die sie selbst begangen haben. Nach anderthalb Monaten Krieg.
Da ist Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, die mit gewieften Manövern die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 gegen die erbitterten Widerstände vieler Partner in der Welt bis zuletzt retten wollte. "Ein Fehler", sagt sie jetzt über die Pipeline, "und auch ich habe diesen Fehler gemacht".
Und da ist der Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier traf am Montag ein paar ausgewählte Journalisten und ließ sie ein paar ausgewählte Sätze seines Mea Culpa zitieren. Er habe sich in Putin getäuscht, "wie viele andere auch". So lautet einer dieser Sätze.
Steinmeier gab nun zwei Interviews zum Thema, ein Anfang ist also gemacht. Falsch ist weder sein "Wie viele andere" noch Schwesigs "Auch ich".
Doch sie sagten diese Worte leider erst, als der Druck bereits riesig geworden war. Und sie verschleiern damit ihren eigenen Anteil. Mit solchen Sätzen dürfen die Hauptakteure unseres fatalen Russland-Irrtums nicht davonkommen.
Die Folklore in der SPD
Deutschland hat sich vollständig abhängig gemacht von billiger Energie aus Moskau. Deshalb sind wir jetzt von einem Diktator erpressbar, der sich mit einem Krieg der brutalsten Sorte ein neues russisches Reich schnitzen will.
Das ist nicht einfach so passiert. Es gibt tief liegende Gründe wie eine diffuse Angst der Deutschen vor Russland. Da ist insbesondere in der SPD die Folklore von "Entspannung", "Ostpolitik" und "Dialog", die es manch einem erspart hat, sich unbequeme Fragen über die heutige Welt und Putins Russland zu stellen.
Der Architekt der Russland-Politik
Frank-Walter Steinmeier etwa war der Architekt dieser unbedingten Annäherung an Putins Russland, die sich als Irrweg entpuppte.
Noch als Kanzleramtschef Gerhard Schröders fädelte er die erste Pipeline Nord Stream 1 ein, als zweimaliger Außenminister Angela Merkels wandte er acht Jahre lang beachtliche Energie auf, um Nähe zu Putins Russland herzustellen. Natürlich war nicht alles falsch, was er in diesen Jahren tat.
Doch im Zweifel triumphierten bei Steinmeier der Wunsch nach Verständigung mit Russland und der Hunger nach günstiger Energie über sehr viele andere Erwägungen: über die Ängste der Nachbarn im Osten, über den Widerstand der Partner im Westen.
Putin ließ früh Grosny und später Städte in Syrien in Schutt und Asche bomben, führte Krieg gegen Georgien und die Ukraine, ließ Widersacher vergiften. All das wirkte nur wie eine lästige Nebensache in der deutschen Russland-Politik.
Gabriel, Merkel, Schröder
2014, nach dem Krim-Krieg, hätte es einen Kurswechsel geben müssen. Doch was machte die Bundesregierung nur ein Jahr nach Putins Überfall auf die Ostukraine? Man unterzeichnete feierlich die Papiere für Nord Stream 2 – ein Projekt, das sich von Anfang an gegen die Ukraine richtete. Steinmeier warb noch vor einem Jahr dafür.
Steinmeier war nicht allein. Sigmar Gabriel wollte schon Monate nach dem Krim-Krieg die laschen Sanktionen gegen Moskau einkassieren. Auch Bundeskanzlerin Merkel (CDU) – deren Umfeld gern betonte, sie mache sich keine Illusionen über Wladimir Putin – schaltete nicht um. Sie hatte bereits 2008 der Ukraine die Mitgliedschaft in der Nato verweigert, aus Rücksicht auf Putin. Von der Rolle des Lobbyisten Gerhard Schröder ganz zu schweigen.
Wie weit reichte die Korruption?
Deutschland braucht eine Aufarbeitung dieser Verirrung. Warum haben sich so viele erfahrene deutsche Staatsmänner und -frauen von Putin belügen lassen? Wie weit reichte die Korruption durch die Gelder von Rosneft, Gazprom, Nord Stream und undurchsichtige Netzwerke russischer Sponsoren?
Der Bundestag könnte eine Enquete-Kommission einrichten oder einen Untersuchungsausschuss. Die SPD könnte Historikern relevante Unterlagen zugänglich machen. Leider kommen solche Vorschläge bislang nur aus der Opposition.
Natürlich: Eine solche Aufarbeitung wird insbesondere der SPD weh tun, zu deren DNA der enge Draht zu Moskau gehört, und Steinmeier selbst. Doch gerade der Bundespräsident hat eine Vorbildfunktion. Er sollte sie in dieser Sache wahrnehmen und sich für eine Aufarbeitung des Russland-Irrtums starkmachen, die diesen Namen auch verdient.
Denn die deutsche Politik muss es beim nächsten Mal merken, wenn sie sich hoffnungslos verrennt. Vielleicht geht es in einigen Jahren wieder um Russland, vielleicht schon in wenigen Monaten um China.
Ohne eine ehrliche Rückschau auf unseren Irrtum werden wir auch beim nächsten Mal nicht schlauer sein. Und Fehler wiederholen, die in einem Krieg enden können. So naiv wie bei Putin dürfen wir nie wieder sein.