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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Löst diese EU auf – und schafft sofort eine neue!


Meinung
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Wir brauchen eine Neugründung
Löst diese EU endlich auf!

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

01.11.2021Lesedauer: 4 Min.
Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki: Ungarn und Polen bereiten der EU schon lange Kopfzerbrechen.Vergrößern des Bildes
Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki: Ungarn und Polen bereiten der EU schon lange Kopfzerbrechen. (Quelle: imago images/NurPhoto/imago-images-bilder)
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Großbritannien ist raus, Polen und Ungarn torpedieren, wo sie können: Diese Europäische Union ist wie ein Oldtimer, der nicht mehr zu retten ist. Zeit für ein neues Fahrzeug – mit modernem Antrieb.

Man kann von Glück sagen, dass diese Tasse mit Ayran vor 10 bis 15 Jahren an der Europäischen Union vorbeigegangen ist. Damals waren ernsthafte Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und mit eben jenem Recep Tayyip Erdoğan aufgenommen worden.

Und es gab Politiker in Deutschland wie die schrille Claudia Roth von den Grünen, die in ihrer euphorischen Art den Tag gar nicht erwarten konnten, an dem die Mitgliedschaft der Türkei in der EU Wirklichkeit geworden wäre.

Man darf und muss der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel dankbar sein, dass sie in einer Mischung aus Realismus, Weisheit und Weitsicht in der Frage sehr schnell eine reservierte Position eingenommen hat und immer nur von einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei sprach, was immer das auch sein sollte.

Man kann den Kuchen nicht gleichzeitig essen und haben

Denn möchte sich das jemand vorstellen? Jetzt auch noch den amoklaufenden Erdoğan im Bund der über zwei Dutzend Mitgliedstaaten dabeizuhaben? Großbritannien ist schon draußen, und die Polen und Ungarn und mit leichten Abstrichen auch Tschechien greifen permanent und immer unverfrorener die Wurzeln dieser Wirtschafts- und Wertegemeinschaft an.

Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Polen, das Land mit dem größten Nettogewinn von mehr als 15 Milliarden Euro im Jahr aus dem gemeinsamen Haushalt, stellt mal eben grundsätzlich nationales Recht über europäisches. Manche aus der Regierung in Warschau sprechen von einem drohenden Dritten Weltkrieg, den jene heraufbeschwören würden, die darauf hinweisen, dass das nicht ginge. Ungarns Viktor Orbán flankiert wie erwartet und erklärt das polnische Vorgehen zur selbstverständlichsten Sache der Welt. Auch Ungarn ist übrigens einer der größten Nettoempfänger in diesem Bündnis.

Es ist nicht schofel, das anzumerken. Man kann sich hier nicht die Vorzüge (Geld in großem Umfang) herauspicken und die Zugeständnisse (Autonomieabgabe an die Gemeinschaft in manchen Gebieten) verweigern. Im Englischen sagt man: Du kannst den Kuchen nicht gleichzeitig essen und haben.

Wie Taschengeldentzug bei unartigen Kindern

Ziemlich krumm aber, das muss man zugeben, ist die Logik, nach der nun die Europäische Kommission und deren Chefin Ursula von der Leyen Polen im Rechtsstreit die Überweisung der außerordentlichen Corona-Hilfen verweigert. Fehlverhalten hier mit Geldentzug da zu ahnden, das wirkt hilflos und wenig stimmig. Wie Taschengeldentzug bei unartigen Kindern.

Zu dieser Idee, die aus Verzweiflung geboren ist, kommt es nur, weil die Union keine Handhabe hat, das Vereinsmitglied bei solch grundlegenden Verstößen gegen die Satzung aus dem Verein auszuschließen. Außer Verfahrenseröffnungen (die meist folgenlos sind und auch immer wieder schon mal Deutschland betroffen haben) und dieser streitbaren Geldlogik hat die Gemeinschaft keinen Hebel.

Es gibt keinen Mechanismus, nach dem ein Land aus der Europäischen Union ausgeschlossen werden kann. Ein Geburtsfehler der Gemeinschaft. Schon die Weigerung einiger Länder – seit nunmehr bald zehn Jahren der permanenten Migration – Flüchtlinge aufzunehmen, müsste Grund genug sein, die betreffenden Staaten (es sind wieder die gleichen) vor die Wahl zu stellen: Flüchtlinge aufnehmen oder aus der EU rausgehen.

Problem Einstimmigkeitsprinzip

Geburtsfehler hat die EU einige. Das Einstimmigkeitsprinzip gehört dazu. Und möglicherweise auch der Umstand, dass jedes Land im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs den gleichen Stimmenanteil hat. Diese Klausel sichert etwa dem überaus selbstgewissen luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn seit Jahren eine Dauerpräsenz in den deutschen Medien, die der Bedeutung seines Landes, bei allem Respekt, nicht zukommt.

Das Europa der zwei Geschwindigkeiten kommt in solchen Situationen immer gerne ins Spiel. Das Europa der zwei Geschwindigkeiten gibt's aber längst. Spätestens mit der Einführung des Euro nur in der Hälfte der Mitgliedstaaten.

Es ist Zeit, diesen im Prinzip richtigen Gedanken konsequent zu Ende zu denken. Was ist die logische Konsequenz, wenn man die notorischen Problemländer nicht herausschmeißen kann auf der Basis nachweislicher Verstöße gegen die Grundzüge?

Man tut das, was jedem freisteht: Man geht selbst. Und schafft ein neues Europa. Eine Gemeinschaft derer, die sie wirklich mit allen Konsequenzen wollen. Und bei der alle Gründungsmitglieder sich von vornherein darauf verständigen, nicht die Fehler von damals zu wiederholen.

Die Mitglieder des neuen Clubs sind schnell benannt. Fahren wir die Europakarte von rechts oben bis links unten ab. Es ist das Baltikum, es sind die skandinavischen Mitglieder, es sind die Beneluxstaaten, Frankreich natürlich, die iberische Halbinsel und Italien – also fast der gesamte Euroraum. Bei Griechenland müsste man nochmals genau hinschauen. Aber vielleicht auch Griechenland. Das Land hat sich innerhalb der Gemeinschaft deutlich zum Besseren entwickelt, was man von Polen und Ungarn nicht sagen kann.

Bloß keinen fossilen Verbrenner

Dieses neue Bündnis verständigt sich auf ein abgestuftes Mehrheitssystem. In Deutschland ist es ja auch so: Es gibt Gesetze, da reicht die einfache Mehrheit, es gibt zustimmungspflichtige Gesetze, die auch durch den Bundesrat müssen. Und es gibt verfassungsändernde Vorhaben, die bedürfen der Zwei-Drittel-Mehrheit.

Analog könnte man das auch für die EU 2.0 bauen: Mehrheitsprinzip in den meisten Bereichen, Zwei-Drittel-Mehrheit in den heikleren und Einstimmigkeit in Fragen von Krieg und Frieden wie Auslandseinsätzen. Denn es ist schlechterdings nicht vorstellbar, einem Land, das einem Einsatz nicht zustimmt, zuzumuten, trotzdem dafür Truppen stellen zu müssen.

Beendet werden sollte auch die offene Prozesshaftigkeit. "Ever closer union", wie es in den Verträgen heißt? Mal sehen, was dabei rauskommt? Nein. Keine Weiterentwicklung ins Irgendwo. Sondern Festschreibung des Status quo, auf den sich die Mitglieder verständigen können. Die Möglichkeit des Ausschlusses bei schwerwiegenden Verstößen nicht zu vergessen.

Klingt alles verwegen? Meinetwegen. Aber nach dem für beide Seiten katastrophalen Austritt Großbritanniens und mit dem anwachsenden Dauerproblem der Visegrád-Staaten ist mit Reparatur am Fahrzeug nichts mehr auszurichten. Es hatte von Anfang an Konstruktionsfehler. Und es ist inzwischen heillos verbastelt. So nennt man einen Oldtimer, der nicht mehr zu retten ist, obwohl er gut aussieht.

Es ist also Zeit für ein neues Fahrzeug. Keinen fossilen Verbrenner. Sondern eines mit einem modernen Antrieb. Das alte landet dann von selbst auf dem Schrottplatz. Denn ohne die genannten Länder der EU 2.0 hat sich der verbleibende Rest schnell erledigt.

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