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Hotspot NRW wird zum Corona-Experiment – droht das in ganz Deutschland?


Hohe Zahlen, neue Regeln
Hotspot NRW wird zum Corona-Experiment

Von Lisa Becke

Aktualisiert am 24.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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NRW-Regierungschef und Kanzlerkandidat Armin Laschet (Archivfoto): "Die Inzidenz ist nicht mehr aussagekräftig."Vergrößern des Bildes
NRW-Regierungschef und Kanzlerkandidat Armin Laschet (Archivfoto): "Die Inzidenz ist nicht mehr aussagekräftig." (Quelle: Imago/Chris Emil Janßen)

Das bevölkerungsreichste Bundesland, regiert von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, hat die höchsten Corona-Zahlen. Warum ist das so – und warum wird nicht darauf reagiert?

Die Umrisse Nordrhein-Westfalens lassen sich derzeit nicht nur auf einer herkömmlichen Landkarte gut erkennen. Auch mit einem Blick auf die Anzahl der Corona-Neuinfektionen pro Landkreis kann man die Grenzen des Bundeslandes einfach ablesen. So deutlich ist der Unterschied zu anderen Teilen Deutschlands.

Am heutigen Montag ist die Corona-Inzidenz in NRW laut Robert Koch-Institut auf den Wert 103,3 geklettert. Erstmals wieder dreistellig und so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Zum Vergleich: Der Bundesschnitt lag am Montagmorgen bei 56,4.

Im Moment ist das von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet geführte Bundesland das schwarze Corona-Schaf Deutschlands. Belege für diese Aussage gibt es einige: Alle Kreise und kreisfreien Städte in NRW haben zum Beispiel nicht nur die Schwelle von 35, sondern auch die Schwelle von 50 gerissen. Und unter den zehn Städten mit der höchsten Inzidenz in Deutschland sind neun aus Nordrhein-Westfalen.

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Warum ist das so?

Eindeutig beantworten lässt sich die Frage nicht, jedoch gibt es einige Erklärungsansätze. In Leverkusen, der Stadt mit der höchsten Inzidenz, werden die Zahlen vor allem durch drei Faktoren erklärt.

Der rasante Anstieg sei erstens "zunehmend die Folge der Rückkehr von Auslandsreisenden in der Urlaubszeit", sagte eine Sprecherin der Stadt Leverkusen t-online. Auch das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen betonte, dass das frühe Ferienende im Bundesland zu dem im Vergleich zu anderen Bundesländern "frühen Anstieg der Infektionszahlen" beitrage.

In Leverkusen wird die ansteckendere Delta-Variante als eine weitere Erklärung genannt. Das Virus verbreite sich nämlich zweitens in betroffenen Familien aufgrund der erhöhten Infektiosität dieser Variante besonders schnell.

Ein Vorbote für den Herbst?

Drittens führe auch ein besonderes Test-Regime zu höheren Zahlen in der Stadt: Während der Quarantäne schreibe Leverkusen zwei PCR-Tests für alle engen Kontaktpersonen vor, so die Sprecherin. Somit würden hier auch Infektionen entdeckt, die sonst unter Umständen verborgen blieben.

Häufigere Tests nennt auch das Gesundheitsministerium in NRW als eine Erklärung für hohe Zahlen: Durch die seit Freitag neu geltende Corona-Schutzverordnung gebe es "jetzt in einigen Bereichen zusätzliche Testerfordernisse". Damit würden Infektionen früher aufgedeckt.

Reiserückkehrer, Delta-Variante, mehr Tests? Das haben auch andere Bundesländer. Die Corona-Lage in Nordrhein-Westfalen könnte damit ein Vorbote dafür sein, was ganz Deutschland im Herbst droht. Das bevölkerungsreichste Bundesland muss nun zuerst die schwierigen Fragen einer deutschlandweiten Debatte beantworten.

Im Kern geht es darum, wie die neue Phase der Pandemie gestaltet werden soll – nun, da viele Menschen durch eine Impfung geschützt sind. Welche Einschränkungen sollen für wen gelten? Und wie können wir messen, wie schlimm es um die Corona-Lage in einem bestimmten Gebiet bestellt ist?

Lauterbach: "NRW verliert die Kontrolle"

Die Landesregierung in NRW hat darauf mit ihrer neuen Corona-Verordnung eine Antwort gegeben. Sie beinhaltet eine Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz als entscheidendem Indikator. In NRW stehen viele Angebote des gesellschaftlichen Lebens nun unabhängig von diesem Wert allen unter Einhaltung der "3G"-Regel offen. Geimpfte, Genesene und negativ Getestete können also teilnehmen. Dazu gehören Besuche in der Innengastronomie, Hotelübernachtungen, Friseurbesuche oder Sport in Hallen.

"Wir stehen an einer entscheidenden Schwelle zur Normalität. Ein immer größerer Teil der Gesellschaft ist geimpft und damit fast sicher vor schweren Krankheitsverläufen geschützt", erklärte der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Diese dürfe der Staat nicht mehr einschränken. "Mit einer konsequenten Umsetzung der 3G-Regel tragen wir dieser Situation Rechnung – wir schützen die Ungeimpften, ohne die Geimpften einzuschränken."

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte angesichts der explodierenden Zahlen, NRW verliere die Kontrolle. Er plädierte in diesem Zusammenhang für die sogenannte "2G"-Regel. Weite Teile des öffentlichen Lebens sollten also nur noch für Genesene und Geimpfte zugänglich sein.

Neumann: Die Landesregierung hat "keinen Plan"

Die jetzige Corona-Schutzverordnung in Nordrhein-Westfalen sieht das jedoch nicht vor, ganz im Gegenteil. Ausdrücklich gibt es keinen Mechanismus bei ansteigenden Infektionszahlen. Weiter verschärfte Regeln oder gar ein Lockdown sind nicht vorgesehen.

Was aber passiert nun, wenn die Fallzahlen immer weiter ansteigen? Die Landesregierung habe "keinen Plan, wie sie künftig auf steigende Infektionszahlen reagieren und nach welchen Kriterien sie mögliche Maßnahmen konkret begründen will", kritisiert der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Josef Neumann, die Landesregierung aus CDU und FDP.

Auch die Kontaktverfolgung wurde mit der neuen Verordnung abgeschafft. Demnach müssen Besucher eines Restaurants ihre Daten nicht mehr hinterlegen, um Infektionsketten nachvollziehen zu können. "In der gegenwärtigen Situation ist es völlig unverantwortlich und nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet jetzt die Kontaktnachverfolgung nicht mehr Gegenstand der Corona-Schutzverordnung ist. Die Kontaktnachverfolgung ist eines der wichtigsten Instrumente, um das Pandemiegeschehen zu beobachten und zu managen", sagt Neumann t-online.

Spahn: "Die 50er-Inzidenz hat ausgedient"

Die Regierung hält jedoch weiter unbeirrt an ihrem Kurs fest. Das Land betrachte die einschlägigen Indikatoren zum Infektionsgeschehen sehr genau, so das NRW-Gesundheitsministerium. "Hierzu gehören neben der Inzidenz unter anderem auch der R-Wert und die Situation in den Krankenhäusern."

NRW-Landesvater Armin Laschet betonte am Sonntagabend auch bei "Bild Live", dort in seiner Funktion als Kanzlerkandidat der Unionsparteien: "Die Inzidenz ist nicht mehr aussagekräftig. Die steht aber immer noch im Infektionsschutzgesetz. Da steht immer noch die Inzidenz 50 drin. Obwohl jeder weiß: 50 ist nicht mehr das Gleiche wie vor einem Jahr, weil so viele Menschen geimpft sind".

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn pflichtete Laschet am Montag bei: Die 50er-Inzidenz habe ausgedient. "Mein Vorschlag ist, sie aus dem Gesetz zu streichen. Als neuer Parameter gehört die Zahl der ins Krankenhaus aufgenommenen COVID-Patienten ins Gesetz", so der CDU-Politiker.

Ob das die richtigen Antworten auf die neue Phase der Pandemie sind? In Nordrhein-Westfalen werden sie das als Erstes wissen.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Josef Neumann
  • Anfrage an das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
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