Wahlkampfauftakt Baerbock fordert Abschied vom "fossilen Status quo"
Hildesheim (dpa) - Mit Appellen für mehr Tempo beim Klimaschutz hat die Grünen-Spitze die heiße Phase des Wahlkampfs eingeläutet. Bei der Auftaktveranstaltung ihrer deutschlandweiten Tour forderte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Montag in Hildesheim einen Abschied vom "fossilen Status quo".
Mit Blick auf Geld, das zur Ankurbelung der Wirtschaft in der Corona-Krise fließt, sagte Baerbock: "Wenn wir Milliarden jetzt in die Hand nehmen, dann will ich, dass wir sie für saubere Energien nutzen." Die Bundestagswahl am 26. September sei eine Richtungswahl, rief Baerbock den nach Polizeiangaben 850 Zuschauern zu.
Die Erderwärmung als drängendstes Problem der kommenden zwei Jahrzehnte habe im Wahlkampf bisher keine ausreichend große Rolle gespielt, sagte Co-Parteichef Robert Habeck. "Der Wahlkampf ist bisher weit, weit unter seinen Möglichkeiten geblieben." Er führte aus: "Wir sagen Klimaschutz, aber das Klima braucht unseren Schutz nicht." Wer das Klima schütze, schütze die offene und freie Gesellschaft. Es sei "kein Tag mehr zu verlieren".
Andere Parteien kritisierten die Vorschläge der Grünen, legten aber keine eigenen Konzepte auf den Tisch. "Wir werden es nicht mehr durchgehen lassen, dass das Weiter-so und Laisser-faire den Stil dieses Wahlkampfs bestimmt", betonte Habeck. Die notwendigen großen Veränderungen bräuchten aber gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine gerechte Politik. "Klimapolitik hat eine soziale Dimension."
Mitbewerber interessierten sich erst dann ernsthaft für soziale Belange, wenn es um Klimaschutz gehe, sagte Baerbock. "Niemand in der Welt hindert euch daran, eine gute Sozialpolitik zu machen", die unter anderem einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde forderte. Investitionen in sozialen Zusammenhalt seien wichtig, wofür die Schuldenbremse gelockert werden müsse.
Nach den Worten von Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfchef Michael Kellner wollen die Grünen auch weiterhin das Kanzleramt gewinnen. Es sei ein etwas "rumpliger Weg" gewesen, sagte er. Gleichwohl habe seine Partei vor einer Bundestagswahl noch nie bei 20 Prozent in den Umfragen gestanden. "Wir wollen das Unwahrscheinliche möglich machen und die nächste Regierung anführen", sagte Kellner.
Nach der Nominierung von Baerbock als Kanzlerkandidatin im April schlossen die Grünen zu CDU/CSU auf und überholten sie in einzelnen Umfragen mit bis zu 28 Prozent sogar. Nach ungenauen Angaben in Baerbocks Lebenslauf, verspätet gemeldeten Sonderzahlungen und Textähnlichkeiten zwischen ihrem Buch und anderen Texten sanken die Werte wieder. Auch Baerbock verwies in ihrer Rede kurz auf eigene Fehler.
Auf ihrer Wahlkampftour wollen Baerbock und Habeck bis Ende September mehr als 90 Ortstermine absolvieren. Zwei Tage vor der Bundestagswahl, also am 24. September, wollen die beiden Parteichefs die Tour gemeinsam beenden - ausgerechnet in Düsseldorf, also dem Regierungssitz von Unions-Kanzlerkandidat und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Schon am Dienstag absolviert Baerbock Termine in Bochum und Duisburg.